Seit Mitte März hat eine freie Gruppe von Klimaaktivisten ein Protestcamp im Berliner Regierungsviertel aufgeschlagen. Einige der Bewohner befinden sich im Hungerstreik, doch die öffentliche Wahrnehmung findet quasi nicht mehr statt.
Für Klimaaktivisten ist es keine einfache Zeit, nachdem sie fünf Jahre lang die Berichterstattung medial bestimmt haben. Doch der Überfall Russlands auf die Ukraine und dann im letzten Herbst der Terroranschlag der Hamas auf Israel hat die öffentliche Wahrnehmung völlig verändert. Zwar gibt es monatlich regelmäßig Meldungen über Rekord-Messergebnisse bei den Temperaturen, doch der Aufschrei bleibt aus.
„Es ist für uns wirklich schwierig geworden, in den Medien noch eine Meldung zu platzieren. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Menschen an die ganzen Horrormeldungen zur Klimaentwicklung längst gewohnt haben“, so eine Sprecherin eines Klimacamps, das seit Mitte März in Berlin seine Zelte aufgeschlagen hat. Anfangs stand es im Spreebogen gegenüber dem Kanzleramt. Fast schon symptomatisch für die Verweigerung der öffentlichen Wahrnehmung der Klimademonstrationen war der erste Umzug der Aktivisten im Mai. Die Versammlungsbehörde entzog ihnen die Genehmigung für ihr Protestcamp an dieser prominenten Stelle zwischen Berliner Hauptbahnhof und Bundestag, an dem jeden Tag Tausende Touristen vorbeiflanieren.
Hungerstreik gegen Gewöhnung
Die Klima-Hungerstreikenden mussten König Fußball weichen. Berlin bereitet sich jetzt schon auf die größte Fanmeile während der Fußball-Europameisterschaft im Juni vor. Jetzt sitzt die Truppe mit ihren Zelten knapp 800 Meter entfernt im Invalidenpark an einer sehr dicht befahrenen Hauptmagistrale der Hauptstadt, genau zwischen Bundeswirtschafts- und Bundesverkehrsministerium. Doch da werden sie kaum wahrgenommen. Es sind drei große, weiße Zelte, wie man sie vom Technischen Hilfswerk in Katastropheneinsätzen kennt, aber natürlich nicht vom THW gestellt, sondern privat organisiert. Drum herum sind acht private Einzelzelte aufgebaut, es sieht wie auf einem Campingplatz aus. Am Eingang ist eine große Holztafel aufgestellt, darauf sind die Namen der aktuell im Hungerstreik befindlichen Bewohner aufgelistet. Jeden Morgen um kurz vor zehn, kommen die Klimaaktivisten und malen mit einem kleinen Pinsel, mit roter Farbe aus einem kleinen Töpfchen, einen neuen Balken hinter ihrem Namen zur Strichliste dazu. Es erinnert ein wenig an Kinoszenen.
Spitzenreiter auf der selbstgebauten Flipchart ist Wolli. Mitte Mai war er bei fast 70 Hungertagen. „Das muss man ertragen können, die Aktion macht doch nur Sinn, wenn wir sie lang genug durchhalten. Damit wird klar, dass wir es ernst meinen.“ Der bald 50-jährige Wolfgang Metzler-Kick, wie Wolli mit bürgerlichem Namen heißt, ist überzeugt von solchen Aktionen. Wobei das mit dem Hungerstreik ja auch nur die halbe Wahrheit ist, wenn man es ganz genau nimmt. Denn „Wolli“ und seine mittlerweile drei Mitstreiter ernähren sich schon noch: Per Kraftriegel, trinkbaren Milchprodukten aus der Plastikflasche (da ist aber Pfand drauf) und Traubenzucker in Würfelform.
Es geht den Klima-Hunger-Aktivisten auch nicht um die sofortige Revolution, sondern erstmal bescheiden darum, dass der Kanzler zugibt, dass es eine Klimakrise gibt, die bekämpft werden muss, erläutert Wolli. Allerdings räumt der Ingenieur ein, dass er sich in den letzten Wochen ein bisschen mehr Solidarität von den anderen Klimagruppen erwartet hätte. Doch die Aktivisten von Extinction Rebellion, Fridays for Future oder der Letzten Generation waren mit ihren „Solidaritäts-Adressen“ an das Hungercamp der unabhängigen Klimarebellen im Invalidenpark eher zurückhaltend. Darum bleibt sich die kleine Zeltstadt ihrem Slogan treu: „Hungern, bis ihr euch ehrlich macht.“ Nur blöd, wenn es keiner mitbekommt.