Ein Lied genügte, um ihm für alle Zeiten einen Platz im Schlagerhimmel zu sichern, doch er ist mehr als nur „Ti Amo“. Von Howard Carpendale, 78, erfuhren wir, warum es von ihm keine weiteren Alben geben wird, was ihm an Stadionkonzerten missfällt und worüber er sich Sorgen macht.

Herr Carpendale, wenn Sie sich auf eine Tour vorbereiten, wie sehr quälen Sie sich dann für solch ein Ziel?
Komischerweise je älter ich werde, umso mehr. Aber eigentlich ist kreative Arbeit keine Qual. Man ist immer sehr erleichtert, wenn man das Gefühl hat, etwas gefunden zu haben. Ich habe meine eigene Art, an so etwas zu arbeiten: Ich fahre dann an einen Ort, wo ich ganz einsam sitze, am liebsten auf einem großen Feld. Da höre ich zwei, drei Stunden lang Musik und überlege, welche Titel am besten zusammenpassen und wie die Ansagen sein sollten. Die sind im Grunde genommen der wichtigste Teil eines Konzertes. Sie sind der Moment, wo das Publikum den Menschen auf der Bühne irgendwie kennenlernt. Meine Ansagen sind manchmal witzig, manchmal ernst, manchmal politisch. Bei einem Konzert geht es immer um Emotionen.
Sie haben in einem anderen Interview betont, dass bei Ihnen alles live ist. Aber vieles von dem, was man heute in Konzerten hört, ist gar nicht mehr live. Wie finden Sie das?
Schade. Es umfasst die ganze Branche. Eigentlich müsste jemand, der heute auf einer Bühne steht, dazu verpflichtet sein, zu sagen, dass nicht alles live ist, was die Leute zu hören bekommen. Ich gehe diesen Weg nicht und bin glücklich, dass ich einen Musical Director habe, der das auch ablehnt.
Wie viel von Ihrer Show ist geplant, wie viel entsteht spontan?
Mein persönliches Gefühl ist, dass jeder Abend spontan ist. Was natürlich nicht ganz stimmt, denn ich überlege mir ja im Vorfeld eine Reihenfolge und Stichworte für Ansagen. Da die aber nicht auswendig gelernt sind, kommt es mir jeden Abend spontan vor. Man kann die ganze Produktion aber nicht wie früher einfach umschmeißen und etwas ganz anderes machen, weil es ein digital vorgeplantes Event ist. Aber wichtig ist, dass das Publikum das Gefühl hat, dass ich den Witz noch nie erzählt habe.
Wie stellen Sie Wärme her in einer Halle mit 10.000 oder mehr Menschen?

Das ist ein Phänomen, über das ich immer wieder in Briefen lese, die ich bekomme. Es klingt verrückt, aber es ist tatsächlich so, dass ich sehr oft höre: „Ich hatte das Gefühl, du singst nur für mich“. Letzten Endes ist es wohl dem Charisma geschuldet, was man nur schwer erklären kann. Man sollte als Künstler auch nicht versuchen, es zu sehr zu verstehen, weil man dann anfängt, Dinge zu tun, die gar nicht charismatisch sind. Wenn ich zehn Minuten vor einem Konzert die Aufregung da draußen höre, ist das immer etwas Besonderes. Leute kaufen sich die Tickets ja bis zu 15 Monate vor dem Termin. Deshalb möchte ich, dass sie nach der Show mit einem guten Gefühl nach Hause gehen.
Diese Tournee soll angeblich Ihre letzte zusammenhängende Konzertreise sein. Planen Sie einen Abschied in Raten?
Ich möchte in Zukunft gerne mehrere Konzerte in Folge an einem Ort wie dem CCH in Hamburg spielen, wenn meine Gesundheit das erlaubt. Denn nicht nur der Künstler, auch das Publikum hat mehr davon. Das einzige, was ich an Tourneen nicht mag, sind die Tausenden von Kilometern, die man da fährt. Für mich wäre die schlimmste Art von Konzert ein volles Fußballstadion. Man verdient dabei viel Geld, aber es würde mir keinen Spaß machen. Ich hatte schon ähnliche Auftritte vor bis zu 300.000 Menschen an Silvester in Berlin, aber es ist grausam, weil man sich auf der Bühne sehr allein vorkommt. Mindestens 90 Prozent des Publikums kriegen da von der Show gar nichts mit.
„Let’s Do It Again“ soll angeblich auch das letzte Howard-Carpendale-Studioalbum sein.
Ja, das ist ganz sicher. Aber nicht nur mein letztes, denn ich bezweifle, dass in Zukunft generell noch viele Alben produziert werden. Vielleicht geht es nur noch ein paar Jahre. Im Grunde genommen sind Alben nur noch für die paar Menschen gedacht, die nicht mit Streaming klarkommen.
Glauben Sie auch, dass es unmöglich ist, noch bessere Songs zu schreiben als beim letzten Mal?
Nicht wenn man wie ich mit einem Team von jungen Menschen arbeitet, die sehr kreativ sind. Vorgestern habe ich im Studio ein sehr schönes, erwachsenes Liebeslied eingesungen. Aber am Ende stellt man fest, ich singe da über das Land Amerika. Solche kreativen Ideen bereiten mir immer noch viel Spaß. Ich glaube, dass es immer Themen gibt, über die man gute Lieder schreiben kann. Aber die Stücke, die heute zu Hits werden, sind zum großen Teil Party- und Tanzlieder. Das ist eine Richtung, die mir persönlich überhaupt nicht liegt.

Auf Ihrem Album stellen Sie sich besorgt die Frage: „Was wird nach uns sein?“ Sind Sie eigentlich noch optimistisch, was die Zukunft der Menschheit angeht?
Es klingt furchtbar, wenn man darauf mit Nein antwortet, aber es ist so. Ich glaube, wir haben im Moment einen Knoten von Problemen. Man weiß gar nicht, wo man da überhaupt anfangen soll, ihn zu lösen. Ganz vorne dran zwei Kriege, über die wir nicht genug reden. Das ist schon sehr bedenklich.
Kann die momentane Weltenlage Ihnen zuweilen die Lebensfreude rauben?
Wenn jemand heute sagt, er sei rundum glücklich, dann frage ich mich, wo dieser Mensch lebt. Allein bei dem Wissen, dass während dieses Gesprächs irgendwo im Krieg Kinder sterben, fällt es mir schwer, zu sagen, alles ist in Ordnung.
Haben Sie wegen unserer klimaschädlichen Lebensweise gewisse Schuldgefühle gegenüber der Generation Ihres Enkels, der heute sechs Jahre alt ist?
Meine Generation war schon sehr gierig, keine Frage. Vielleicht haben wir es nicht mit Absicht gemacht, aber wir haben nicht viel darüber nachgedacht, was unsere Lebensweise für spätere Generationen bedeutet. Das werfe ich uns vor.
Wird Ihr Enkel als Erwachsener dieselbe Lebensqualität haben wie Sie und ich heute?
Ich mache mir mehr Sorgen um die nächsten zehn, 20 Jahre; die Phase, wo alles sich verändert. Diese Veränderung wird dazu führen, dass irgendwann eine neue Welt entsteht. Wie die sein wird, weiß man nicht. Aber wir haben jetzt schon unglaubliche Phänomene wie Künstliche Intelligenz. Man weiß nicht, wo uns das hinführt. Manche sagen, die Menschheit wird bald viel mehr Freizeit haben, aber ist das gut oder schlecht? Meine Generation hat im Lauf der Zeit bereits etliche enorme Veränderungen erlebt, vielleicht viel zu viele. Das ist möglichweise unser großes Problem, denn wir kommen da gar nicht so richtig mit. Wenn ich mit meinen beiden Söhnen rede, merke ich, wie weit entfernt ich von der Realität wirklich bin.

Mit der App Suno kann jetzt schon jeder Mensch KI-generierte Hit-Songs schreiben. Ist das Ende der menschlichen Kreativität nahe?
Die Gefahr besteht. Mein jüngster Sohn, der in Amerika lebt, ist einer von denen, die mit KI und Gaming arbeiten. Er entwirft neue Spiele für die größten Silicon-Valley-Firmen, obwohl er nicht dort wohnt. Das ist ein kompliziertes Berufsleben, über das ich mit ihm eigentlich gar nicht reden kann, weil es eine ganz andere Welt ist. Das ist schon schade. Natürlich hat alles Neue irgendwo auch etwas Gutes. Als das Internet aufkam, dachten alle, was für eine wunderbare Erfindung. Aber was haben wir daraus gemacht! KI wird per Gesetz schon reguliert werden, aber die andere Frage ist, ob China und Nordkorea die Regulierung mitmachen werden.
Ihr Tatendrang ist legendär, auch ohne Internet: über 700 aufgenommene Lieder, 20 Top-Ten-Alben, über 65 Millionen verkaufte Tonträger und Tausende von Konzerten. Ging das manchmal an die Grenze des Machbaren?
Nein, das habe ich nie so empfunden. Ich bin sehr dankbar, dass ich in dieser Zeit leben durfte. Müsste ich heute in der Musikbranche anfangen, dann wüsste ich nicht, wie das geht. Ich werde oft nach Ratschlägen gefragt. Im Moment kann ich aber keine geben. Es ist heute wie ein Spiel im Lotto: Die junge Generation von Künstlern sitzt zu Hause und macht dort Musik, ohne dabei Live-Musiker zu sehen. Das Ergebnis uploaden sie auf Spotify in der Hoffnung, von jemandem entdeckt zu werden. Mit den Möglichkeiten, die man übers Streaming hat, werden viel mehr junge Leute versuchen, in der Branche Fuß zu fassen, aber 98 Prozent werden daran scheitern. Und alle würden gern bei Germany’s Next Top Model mitwirken.
Der bedeutende österreichische Komponist Fred Jay hat in den 1970ern und 1980ern für Sie beziehungsweise mit Ihnen 87 Lieder geschrieben. Wäre Ihre Karriere anders verlaufen ohne diesen Mann, der sich als Autor von „Qualitätstexten für normale Leute“ beschrieb?
Meine Karriere ist vor allem geprägt durch die Texte, die ich singe. Wenn ich heute das lese, was Fred Jay und Joachim Horn für mich geschrieben haben, entdecke ich zwischen den Zeilen immer noch Dinge, die mir damals gar nicht aufgefallen sind. Neulich sagte der Chefredakteur einer großen Zeitung zu mir, meine lebensnahen Texte gehörten zu den schönsten, die es überhaupt gibt. Immer, wenn ich auf eine neue Tournee gehe, bin ich erstaunt, dass die Leute immer noch zu mir kommen.

Ist die Bühne für Sie ein Ort, der Ihnen Kraft gibt?
Sie gibt mir ein starkes Gefühl. Die Leute, die zu mir kommen, vermissen irgendetwas in ihrem Leben und es liegt an mir, ihnen dieses Gefühl zweieinhalb Stunden lang zu geben. Natürlich geht es in dieser Branche um Geld und Erfolg, aber auch wenn es kitschig klingt: Das Publikum gibt mir sehr viel, wenn ich merke, es geht zufrieden nach Hause. Für die Leute ist es viel mehr als ein netter Abend mit Schlagern.
Vor Ihrer Zeit in Deutschland lebten Sie in England, wo Sie 1965 eine Zeit lang als Bodyguard für die Rolling Stones arbeiteten.
Das ist ein bisschen übertrieben. Ich und ein paar andere große Männer wurden gebeten, bei einer Veranstaltung der Rolling Stones das Publikum ein bisschen zurückzuhalten. Und daraus ist das entstanden.
Haben Sie sich damals bei Mick Jagger etwas abgeschaut?
Naja, er ist ein Phänomen und heute gar nicht viel anders als früher. Diese Art von unfassbarem Erfolg ist aber mit nichts anderem zu vergleichen. Ich will nicht sagen, dass ich von ihm etwas gelernt habe, er macht ja eine andere Art von Konzerten. Außer, dass man auf der Bühne sehr präsent sein muss.
1969 hatten Sie mit einer deutschen Version des Beatles-Songs „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ Ihren ersten Hit.
Das stimmt nicht ganz, aber es klingt besser als meine Geschichte.
Ist Ihre Version von den Beatles persönlich autorisiert worden?
Ich habe sie besucht, ja. Ich war in London bei ihrer Firma Apple, in deren Büro. Bis auf John Lennon habe ich alle persönlich kennengelernt, und die Stimmung bei dem Treffen war sehr schön. Die Autorisierung findet in der Regel über einen Musikverlag statt, ich habe sie nicht selber gefragt, ob ich dieses Lied singen dürfe. Coverversionen waren damals gang und gäbe. Wenn ich zurückdenke, dann ist es schon ungewöhnlich gewesen, dass eine solch erfolgreiche Band und ihr Team es erlaubten, den Song in einer anderen Sprache zu singen. Aber sie haben es getan.

Paul McCartney ist fast 82, Ringo Starr wird 84. Beherrschen die beiden die Kunst, stilvoll älter zu werden?
Mit der Hilfe von Musik kann man das, ja. Vor ein paar Jahren habe ich Ringo in Monte Carlo wiedergetroffen. Er ist derjenige von den Beatles, mit dem ich damals am ehesten zu tun hatte. Ein sehr lustiger Typ.
Was ist das Gute am Älterwerden?
So lange der Kopf dabei jung bleibt, ist es gut. Ich habe fast ausschließlich jüngere Menschen um mich herum. Ich glaube, ich kann denen viel erzählen. Da ist man schon ein bisschen cool und sieht nicht jedes Problem gleich als eine Weltkatastrophe an. Viele kleine Wehwehchen, die man hat, sind eigentlich nicht wichtig. Ich glaube, man wird im Alter größer. Aber man muss auch ein bisschen Kind bleiben.