Archäologen konnten jüngst den Nachweis erbringen, dass die antiken römischen Tropfen qualitativ weitaus besser gewesen sind als bislang angenommen. Zum Vergleich nutzten sie die traditionelle, auf Jahrtausende altem Wissen beruhende Weinherstellung in Georgien.
Wein und dessen Konsum spielten eine ganz zentrale Rolle im Alltag der römischen Gesellschaft. Antike Texte und archäologische Relikte können heute noch wertvolle Einblicke in die Methoden und Techniken des römischen Weinbaus, die Trinkrituale und den Handel mit dem auch wirtschaftlich höchst bedeutsamen Gut geben. Allerdings hatte es kaum den Rang eines Genussmittels, sondern den eines Alltagsgetränks, das in der Regel mit Wasser verdünnt wurde. Was aber keineswegs ausschließt, dass die römischen Vinum-Kenner sehr wohl die verschiedensten Qualitäten des antiken Weins zu erschmecken wussten. Wobei die besten Tropfen schon damals etwas ins Geld gehen konnten. Der meist geschätzte Wein des antiken Rom war der sogenannte Falerner, der im Norden Kampaniens hergestellt und von den gehobenen Gesellschaftsschichten präferiert wurde. Er war viermal so teuer wie ein normaler Landwein, der vom einfachen Volk in den zahlreichen Tavernen aus schlichten Krügen getrunken wurde. Selbst Sklaven wurde pro Jahr ein Pro-Kopf-Verbrauch von 260 Litern Wein zugestanden. Laut Plinius dem Älteren gab es auf den ihm bekannten Teilen der Erde 80 edle Weinsorten, von denen jedoch allein zwei Drittel in Italien beheimatet waren.
Dolia fasste bis zu 2.500 Liter
Wie der römische Wein schmeckte, sollte jedoch bis in die heutigen Tage ein Mysterium bleiben. Als gängige Behältnisse zur Lagerung des Weins wurden die in vielen Exemplaren noch erhaltenen henkellosen Amphoren angesehen, riesige eiförmige Tonkrüge mit abgerundetem Körper, flachem Boden und breiter Öffnung (mit einem Fassungsvermögen von bis zu 2.500 Litern), die in der Antike auf den Namen „Dolia“ (Singular: Dolium) getauft worden waren.
Dass die Dolia bei der römischen Weinherstellung eine elementare Rolle gespielt hatten, war bislang weithin unbekannt. Einem belgischen Archäologen der Universität Gent namens Dr. Dimitri Van Limbergen, der den römischen Weinbau zu seinem persönlichen Forschungsschwerpunkt auserkoren hat, waren allerdings bei einer Reise durch Georgien Ähnlichkeiten zwischen den Dolia und den im georgischen Weinbau traditionell verwendeten sogenannten Qvevri aufgefallen. Der Weinausbau mit Hilfe dieser Qvevri in Gestalt riesiger Tongefäße wurde von der Unesco 2013 in die Liste des immateriellen Kulturguts der Menschheit aufgenommen. Schließlich gilt die Kaukasusregion als Wiege des antiken Weinbaus. Georgien und das Nachbarland Armenien können auf rund acht Jahrtausende ungebrochener Weinbautradition zurückblicken. Was durch kugelförmige Keramikfunde aus frühneolithischen Stätten in Georgien aus der Zeit von 6000 bis 5800 v. Chr. belegt werden konnte. Es wird vermutet, dass die Weinkultur samt Rebsorten sowie An- und Ausbaumethoden von Ost nach West bis nach Italien transferiert worden war.
Dr. Van Limbergen war auf die Idee gekommen, durch die Untersuchung der Rolle, die die in die Erde vergrabenen Qvevri bis heute bei der georgischen Weinherstellung spielen, Rückschlüsse auf die wohl ähnliche antike römische Weinproduktion mit Hilfe der Dolia und erstmals auch fundierte Erkenntnisse über Geschmack sowie Farbe römischen Weins zu ziehen. Gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Paulina Komar von der Universität Warschau, auch sie eine Spezialistin in Sachen antikem Wein, machte er sich an die Arbeit und veröffentlichte eine Studie mit dem Titel „Weinherstellung in Tongefäßen – eine vergleichende Annäherung an die römische Weinbereitung“ im Fachmagazin „Antiquity“. „Der Grundverlauf der Weinbereitung sowohl in Qvevri als auch in Dolia ist“, so die beiden Studienautoren, „wie moderne anthropologische Beobachtungen und antike Quellen zeigen, bemerkenswert ähnlich.“
Wobei die am meisten überraschende Erkenntnis gewesen ist, dass die Dolia-Amphoren eine ganz wesentliche Rolle bei der spontan ablaufenden Gärung beziehungsweise Fermentation und zur Ausbildung der Geschmacksaromen des römischen Weines gespielt hatten. Denn ähnlich wie die Qvevri wurden die Dolia nahezu gänzlich in der Erde vergraben, nur der breite Behältnis-Hals blieb oberirdisch. Nach dem Einfüllen der Maische wurden die auf ihrer Innenseite mit einer dünnen Pechschicht abgedichteten Dolia neun bis 30 Tage offengelassen, wodurch im Rahmen der Hauptgärung der Großteil des Zuckers in Alkohol umgewandelt werden konnte. Wobei die römischen Winzer allerdings die Gärbedingungen kaum kontrollieren konnten, weil sie nicht über moderne Standardhefen verfügt hatten, sondern sich auf diejenigen Hefen beschränken mussten, die sich natürlicherweise auf den Trauben befanden. Während des Gärprozesses setzten sich die festen Überreste nach und nach auf dem schmal zulaufenden Boden der Tonbehältnisse ab. An der Oberfläche kam es zur schaumigen Ausbildung sogenannter Florhefen, was maßgeblich für Geschmack, Aromen und Textur der entstehenden Weine gewesen war.
Kontrollierte Oxidation
Ganz entscheidend ist zudem gewesen, dass während des Gärprozesses die Flüssigkeit ständig in Bewegung bleiben musste, was durch Strömungen gewährleistet werden konnte, die sich aufgrund des gebildeten Kohlendioxids bestens in den ovalen Gefäßen ausbreiten und die wie ein natürliches Pumpsystem die Feststoffe kontinuierlich mit dem Most vermischen konnten. Vor der Versiegelung der Dolia mit einer Terracottascheibe, einem Holzdeckel oder gegebenenfalls auch einfach nur mit Tierhäuten wurde zur Minimierung des Luftkontaktes mit Most aufgefüllt und danach der Wein fünf bis sechs Monate reifen gelassen. Wobei trotz der Versiegelung durch Pech beziehungsweise Bienenwachs bei den Qvevri aufgrund der porösen Beschaffenheit der Tongefäße während des gesamten Fermentationsprozesses dennoch ständig eine gewisse Sauerstoffzufuhr möglich war. „Unkontrollierter Kontakt zur Luft verwandelt den Wein in Essig“, so das Archäologen-Team, „aber durch kontrollierte Oxidation entstehen mitunter großartige Weine, da so die Farbe konzentriert wird und angenehme grasige, nussige und Aromen von getrockneten Früchten hervorgebracht werden können.“
Aufgrund der für die Gefäße verwendeten Tonmischungen, die nach Beobachtungen in Georgien ihren Mineralienreichtum an den Wein abzugeben pflegen, gehen die beiden Forscher davon aus, dass die römischen Tropfen am Gaumen ein damals offenbar sehr geschätztes trockenes Gefühl erzeugt hatten, das in der modernen Weinsprache als „adstringierend“ bezeichnet wird. Schon Plinius der Ältere hatte darauf hingewiesen, dass das Vergraben der Dolia die römischen Weine vor Temperaturschwankungen schützen könne. Wobei er natürlich noch nichts davon wissen konnte, dass Temperaturen zwischen 13 und 28 Grad, wie sie heute noch im Innern von Qvevri vorherrschen, ideale Voraussetzungen für die malolaktische Gärung oder die Umwandlung von unangenehmen Apfelsäuren in weichere Milchsäuren während der Nachgärung sind. Auch für die optimale Florhefebildung spielt das durch das Eingraben gewährleistete Vermeiden großer Temperaturschwankungen neben dem pH-Wert eine wichtige Rolle.
Laut den Studienautoren zeichneten sich die oxidativen römischen Weine durch einen „leicht würzigen“ Geschmack aus mit Aromen von „geröstetem Brot, Äpfeln, gerösteten Walnüssen und Curry“. Dr. Van Limbergen: „Die Ergebnisse unserer Studie zwingen uns, mehrere langjährige Annahmen über die römische Weinherstellung in- frage zu stellen. Die Römer produzierten viel bessere, schmackhaftere und stabilere Weine als gemeinhin angenommen wird.“
Die Farbe antiker Weine ist seit jeher ziemlich umstritten. „Die Weinfarben wurden nicht standardmäßig in Weiß und Rot unterteilt, wie es heute der Fall ist, sondern für die Römer gehörten sie zu einem breiten Farbspektrum, das von weiß, gelb, über goldfarben, bernsteinfarben und braun bis hin zu rot und schwarz reichte“, so Dr. Van Limbergen. Was letztlich auf die Mazeration während der Maischegärung rückführbar war. Wodurch aus den in den Behältnissen verbleibenden Schalen kontinuierlich Farbe extrahiert wurde. Was die Weine in der Regel zunehmend dunkler werden ließ.