Rainer Sagawe kennt das Geheimnis nahrhafter Erde. Was im ersten Moment vielleicht seltsam klingt, funktioniert: Eine Mischung aus Erde, Pflanzenkohle – und menschlichen Ausscheidungen.
Die Erde, die Rainer Sagawe aus seinem Klo holt, duftet nach Waldboden. Auf seinem Grundstück bei Hameln hat Sagawe eine Kompost-Toilette gebaut. Von oben sieht die Toilette aus wie jede andere. Nur die Wasserspülung fehlt.
„Urin und Kot werden getrennt gesammelt. Deshalb stinkt es nicht“, erklärt Sagawe und kippt einen Schuss gelblicher Flüssigkeit hinein. Es sind „effektive Mikroorganismen“: Milchsäurebakterien, Hefe und einige weitere Zutaten wie Zucker. Diese fermentieren den Urin und binden unter anderem den Ammoniak. „Das ist der Stoff, der dem Urin seinen beißenden Gestank verleiht.“
In die beiden Auffangbecken unter der Toilette gibt der Tüftler anschließend Erde und Pflanzenkohle. Diese entsteht, wenn man Biomasse, wie Gartenabfälle, Grünschnitt oder Holz bei großer Hitze in einem Pyrolyseofen verschwelt. Bevor die Pflanzenkohle verbrennt, wird sie aus dem Ofen geholt, mit Wasser gelöscht und zerkleinert. Übrig bleibt eine stabile Kohlenstoff-Verbindung. Deren zahlreiche Poren und Windungen speichern Wasser und Nährstoffe. Sie bieten Lebensraum für Mikroorganismen. „Ein Gramm Holzkohle hat 300 Quadratmeter Oberfläche“, schwärmt Sagawe, der zusammen mit dem Maschinenbau-Ingenieur Stephan Martini den Förderverein Terra preta Weserbergland gegründet hat. 60 Mitglieder hat der Verein.
Sagawes Verein hat mittlerweile 60 Mitglieder
Als einer von ganz wenigen in Deutschland sammelt der Landkreis Hameln-Pyrmont Grünschnitt und Gartenabfälle aus Haushalten und Betrieben getrennt ein. „35.000 Tonnen wertvoller Rohstoff“, nennen Martini und Sagawe die Ausbeute. Ihr Plan: Der Kreis soll diese in einer Pyrolyseanlage zu Pflanzenkohle verschwelen und daraus Terra preta herstellen – so wie es Rainer Sagawe in seinem Garten macht.
Er fermentiert das Erd-Kot-Urin-Gemisch aus seinem Kompostklo zusammen mit Gartenabfällen in einer fast luftdichten Kiste zu nährstoffreichem Kompost. Darunter mischt er die Pflanzenkohle aus seinem Pyrolyseofen. Nach ein paar Monaten entsteht daraus ohne weiteres Zutun Roh-Terra-preta: ein besonders fruchtbares, nährstoffreiches Substrat, in dem Nutzpflanzen bestens gedeihen. Jedes Jahr erntet Hobby-Gärtner Sagawe damit große, intensiv schmeckende Kürbisse, Tomaten, Zucchini und anderes Gemüse. Terra preta entsteht, wenn das Rohmaterial einige Monate im Erdreich geblieben ist. Von alleine siedeln sich darin Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen an, die das Wachstum der Pflanzen und den Humusaufbau im Boden fördern.
Sagawe und Martini haben in Hameln zwei Schulgärten von der Terra preta überzeugt. Die Garten-AG des Albert-Einstein-Gymnasiums hat eine Kleingartenparzelle neben dem Schulgrundstück damit in ein blühendes Paradies verwandelt. Ähnlich positiv fällt die Bilanz im Viktoria-Luise-Gymnasium in der Innenstadt aus.
Stefan Martini und Rainer Sagawe haben mit ihrem Verein große Pläne: Mit Unterstützung des Landkreises soll eine Genossenschaft, eine Pyrolyseanlage mit angeschlossenem Nahwärmenetz, eine Terra-preta-Modellgärtnerei und ein Bildungszentrum mit Tagungszentrum und Hotel zum Thema entstehen. „Die wenigen Pyrolyseanlagen, die es bisher in Deutschland gibt, nutzen die Abwärme nicht“, erklärt Martini und verweist auf den österreichischen Heizungsbauer Guntamatic. Dieser bietet inzwischen eine Hackschnitzelheizung mit Pyrolyseofen an. Statt die Holzpellets klimaschädlich zu verbrennen, verschwele die Anlage das Holz zu Pflanzenkohle, die die Betreiber anschließend verkaufen oder zu Terra preta weiterverarbeiten können.
Auch in der Landwirtschaft kann diese auf kargen Böden Kunstdünger ersetzen und dem Klimawandel entgegenwirken. Die Pflanzenkohle bindet Kohlenstoff über Generationen und verringert so den Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre. Pro Kilo Eigengewicht entzieht Pflanzenkohle der Umgebungsluft etwa drei Kilogramm CO₂. Kaum ein Stoff wirkt so klima-positiv.
Temperatur für die Lagerung
Naturland-Bauer Barthel Gammel aus Geisenhausen bei Landshut setzt seit zehn Jahren Biokohle und Terra preta ein. Seinen Kühen streut er mit effektiven Mikroorganismen angereicherte Pflanzenkohle in den Stall. Die Tiere treten die Kohle klein. Dabei mischt sie sich mit dem Dung der Rinder. Angereichert mit Erde reift diese Mischung zwei bis fünf Monate lang zu einem Bodenverbesserer. Dieser habe seine Erträge spürbar gesteigert. Allerdings müsse er dabei „genau aufpassen“, dass das Material nicht zu heiß und nicht zu kalt lagere. Auch dürfe das Material nicht zu feucht oder zu trocken werden.
Agraringenieurin Claudia Crawford von Pflanzenkohle-Anbieter EM Chiemgau bestätigt diese Erfahrungen und berichtet von einer jüngst erschienenen Studie. Mit Biokohle in der Einstreu hätten Landwirte den Ammoniak-Ausstoß ihrer Schweine um rund 30 Prozent verringert.
Hinzu kommt, dass Pflanzenkohle Nitrat bindet und Terra preta den Aufbau von Humus im Boden fördert. Humus erhöht die Fruchtbarkeit der Erde und bietet zahlreichen Kleinstlebewesen Nahrung: ein Beitrag im Kampf gegen das Artensterben. Außerdem bindet er auch Kohlendioxid aus der Luft und bremst damit die Erderwärmung.
Noch im 19. Jahrhundert hatten gute Böden in Mitteleuropa einen Humusanteil von 20 Prozent. Heute seien es nur noch zwei Prozent, berichtet die Fachautorin Ute Scheub, die ein Buch zum Thema geschrieben hat. Kurzfristig gleiche man diesen Verlust an Bodenfruchtbarkeit mit Kunstdünger aus. Um die gleichen Erträge zu erzielen, benötige man davon jedoch von Jahr zu Jahr mehr.
Die Herstellung von Stickstoff-Dünger verbraucht große Mengen an fossiler Energie, deren Verbrennung die Erderwärmung beschleunigt. Der Rohstoff Phosphat, den man für die Produktion braucht, wird weltweit knapp. Sein Abbau und Transport belastet ebenfalls Umwelt und Klima.
In einer im Januar 2023 veröffentlichten Studie nennt die Boston Consulting Group auch deshalb „biologisch aktivierte Pflanzenkohle“ einen „Beitrag zu einer nachhaltigeren, regenerativen Landwirtschaft“.
Kohlenstoff-Speicher
Sie bindet Kohlenstoff und hält „vor allem in sandigen, kargen Böden“ die Feuchtigkeit, bestätigt Christoph Müller vom Institut für Pflanzenökologie der Uni Gießen. Er arbeitet eng mit dem landwirtschaftlichen Forschungsinstitut des brasilianischen Agrarministeriums zusammen. Die Böden im Amazonasgebiet seien unter anderem wegen ihres niedrigen Phosphatgehalts wenig fruchtbar. Anders ist es an den Stellen, wo Wissenschaftler*innen Terra preta (portugiesisch für Schwarze Erde) gefunden haben. Über Jahrhunderte haben Menschen dort organische Abfälle mit Pflanzenkohle vermischt im Boden vergraben. Daraus entstanden Inseln besonders fruchtbarer Erde. Untersuchungen haben auch hier ergeben, dass Mikroorganismen, die sich auf den Oberflächen der Pflanzenkohle ansiedeln (oder gezielt dort aufgebracht werden), sehr fruchtbares Erdreich hervorbringen.
Agraringenieur Bernhard Osterburg forscht am Thünen-Institut zu Klima und Boden. Er sieht in der Pflanzenkohle einen „sehr sicheren“ Kohlenstoff-Speicher, der „auf die Klima-Ziele einzahlt“. In mehreren Städten habe man Straßenbäume in Roh-Terra-preta gepflanzt. Diese litten weniger unter Schadstoffen, Hitze und Trockenheit.
Osterburg sieht im Einsatz von Pflanzenkohle und Terra preta eine „große Chance“, wenn man sie „aus sicheren Quellen“ bezieht. Damit meint er Pyrolyseanlagen, die Biomasse bei mindestens 800 Grad unter Sauerstoff-Abschluss verschwelen. Bei niedrigeren Temperaturen entstehen giftige, krebserregende polyaromatisierte Kohlenwasserstoffe (PAKS).
Die Agrarwissenschaftlerin und Geografin Andrea Beste warnt allerdings – wie einige andere Fachleute – vor dem Einsatz von Pflanzenkohle in hiesigen Böden. Die Pflanzenkohle enthalte auch nach Pyrolyse bei sehr hohen Temperaturen zu viele Schadstoffe, darunter auch die genannten PAKS. Diese „können nicht beseitigt werden, weil sie zu stark an das Material gebunden sind“. Deshalb ließen sie sich auch nicht zuverlässig messen.
Das European Biochar Certificate EBC, das die Unbedenklichkeit von Pflanzenkohle nachweisen soll, nennt sie ein „Lobbysiegel“, das nicht von unabhängiger Seite kontrolliert werde.
Außerdem fehle bisher der Nachweis, dass der Einsatz von Pflanzenkohle die grundsätzlich nährstoffreichen mitteleuropäischen Böden verbessern könne.
Beste hält es für sinnvoller, Biomasse zu kompostieren.
Pflanzenkohle sei für den Klimaschutz auch „zu ineffizient“. Bei der Pyrolyse entweiche etwa die Hälfte des in der Biomasse gebundenen Kohlenstoffs in die Umgebung. „Um ein Prozent des deutschen Treibhausgas-Reduktionsziels zu erreichen“, müsse man „die gesamte Biomasse Deutschlands zu Pflanzenkohle verarbeiten.“
Unkontrolliertes „Lobbysiegel“
Stefan Martini und Rainer Sagawe widersprechen. Dabei berufen sie sich auf mehrere Studien. Eine davon habe nachgewiesen, dass sich der Ertrag durchschnittlicher Böden wie im Weserbergland mit Terra preta um „durchschnittlich 130 Prozent“ steigern lasse. Auch das EBC-Zertifikat sei von mehreren unabhängigen Stellen unter anderem in der Schweiz geprüft und für zuverlässig befunden worden.
Allein die 35.000 Tonnen Grünschnitt, die der Kreis Hameln-Pyrmont jedes Jahr einsammelt, reichten für 24.000 Tonnen Terra preta. Nehme man die Abfälle der Straßenbaumeistereien hinzu, könne man schon damit fast die ganze Stadt mit einer Pyrolyseanlage heizen, ohne einen einzigen Baum dafür zu fällen.
Auch Bernhard Osterburg vom Thünen-Institut sieht das Potenzial der Pflanzenkohle. Zu beachten sei jedoch, dass rohe Pflanzenkohle, die nicht mit effektiven Mikroorganismen und nährstoffreichem Kompost oder Dung angereichert wurde, den Wurzeln der Pflanzen Wasser und Nährstoffe entzieht. Diese Erfahrung machten auch die Hamelner Stadtförster. 2022 pflanzten sie Eichen in mit Pflanzenkohle angereicherten Waldboden. Dort sind im ersten Jahr fast doppelt so viele neu gepflanzte Bäume eingegangen wie auf einer vergleichbaren Fläche ohne Pflanzenkohle. Stadtforstamtsleiter Carsten Bölts gibt aber nicht auf: „Wahrscheinlich war es unser Fehler, dass wir das Material zu trocken und mit zu wenig Mineralstoffen hineingegeben haben“, vermutet er. Das sehr trockene Frühjahr habe das Problem noch verschärft.