Frankreich ist kaum einen Kilometer Luftlinie vom Festivalgelände entfernt. Die Sängerin Camille Bertault kommt mit den Songs eines französischen Nationalheiligen.
Chansonnier Serge Gainsbourg (1928 – 1991) galt einerseits als Enfant terrible der Grande Nation, versorgte diese aber neben Skandalen regelmäßig auch mit traumhaften Melodien. Unvergessen ist das Duett mit seiner langjährigen Partnerin Jane Birkin „Je t’aime … moi non plus“, das den Geschlechtsakt so freizügig thematisierte wie wohl kein Musikstück zuvor. 1969 war das ein extremer Tabubruch. Ein paar Jahre davor feierte Gainsbourg den Sieg beim damaligen Grand Prix Eurovision de la Chanson mit „Poupée de cire, poupée de son“. Die 17-jährige France Gall sang das Lied mit der Ohrwurm-Melodie und dem zweideutigen Text, dessen Anzüglichkeiten ihr selbst gar nicht bewusst waren. Die 1986 geborene Camille Bertault sagt, dass sie sich nicht besonders für Gainsbourgs Skandale interessiere. „Ich trenne sie stark von seiner Arbeit. Größtenteils handelte es sich um Skandale im Fernsehen, also mit dem Ziel, die Einschaltquoten zu steigern.“ Da ist etwas dran. Schließlich ließ man 1986 den betrunkenen Gainsbourg in einer TV-Show gewähren – was dazu führte, dass er beim Anblick von Whitney Houston äußerte, er wolle sie gerne ficken. Heute unvorstellbar. „Ich denke, dass Gainsbourgs schlechter Ruf auch zu seinem Erfolg beigetragen hat“, meint Bertault, die gleichwohl mit ihrer Hommage nichts beschönigen will. „Ich möchte nur meine Persönlichkeit in jene Phase seines Werks einbringen, die ich liebe.“
In seinem Werk gibt es viel zu entdecken, gerade wenn man auf seine frühen Chansons blickt. Das spiegelt sich in Bertaults Repertoire: „Die Auswahl der Stücke war schwierig. Wir haben uns ganz natürlich am Anfang von Serges Karriere orientiert, die dem Jazz sehr verbunden war.“ Mit „wir“ meint die Sängerin sich und Frank Vaganée. Der belgische Saxofonist ist einer der Gründer und Leiter des Brussels Jazz Orchestra, das Bertault begleitet.
Camille Bertault singt Lieder von Gainsbourg zwischen Jazz und Chanson
Für Festivalleiter Oliver Strauch ist ein Traum wahr geworden: „Wir haben die für viele Kenner beste europäische Bigband, das beste Jazzorchester gewinnen können.“ Aber wie kam es zu der nicht alltäglichen Konstellation, dass eine Frau die alten Gainsbourg-Chansons singt? „Frank Vaganée hat mich vor einigen Jahren mit einem anderen Projekt gesehen und mir dann den Vorschlag gemacht. Ich war sofort begeistert von der Möglichkeit, als Frau viele Lieder verkörpern zu können, die nie von Frauen gesungen wurden“, erzählt Bertault. Mit Gainsbourg verbinde sie die „Vorliebe für Worte, Jazz und klassische Musik“. Außerdem habe sie die Ambivalenz zwischen seiner extremen Sensibilität und seiner provokanten Seite fasziniert.
Vor zwei Jahren brachte die Sängerin mit dem Brussels Jazz Orchestra die CD „Gainsbourg“ heraus. Gainsbourgs größte Erfolge, die bereits erwähnten „Je t’aime … moi non plus“ und „Poupée de cire, poupée de son“ sucht man darauf vergeblich. Man habe nicht alle Lieblingsstücke machen können, meint Bertault. Gainsbourgs Werk sei einfach zu umfangreich. Dafür erklingen beispielsweise „Couleur Café“ oder „La Javanaise“ in ausgefeilten Bigband-Arrangements. Ihr Lieblingssong sei aber „Les Goémons“, meint die Sängerin. Dieser sei nicht besonders bekannt, aber überwältigend, vor allem durch das Arrangement der belgischen Jazzpianistin Nathalie Loriers. In der Tat ist damit dem Orchester ein besonderes Schmuckstück gelungen, das die düstere Atmosphäre des Liebeskummer-Stücks gut einfängt. Ob das nun in der Atmosphäre eines lauen Sommerabends gut funktioniert, wird sich zeigen – aber da ist ja eben noch der Rest des Gainsbourg-Kosmos mit Lebensfreude, Herzeleid und Frivolität.
Man glaubt Festival-Chef Strauch gerne, wenn er sagt: „Das wird ein toller Schlusspunkt für den Deutsch-Französischen Garten, das Brussels Jazz Orchestra und diese fantastische Sängerin.“