Der US-Präsident liegt in wichtigen Bundesstaaten hinter Trump – ein Weckruf
Eigentlich müsste US-Präsident Joe Biden mit einer Welle der Zustimmung in eine zweite Amtszeit getragen werden. Die Wirtschaft wächst laut Internationalem Währungsfonds in diesem Jahr um knapp drei Prozent. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekord-Tief. Die Börsenkurse kletterten seit November um 25 Prozent – ein bedeutender Indikator, da viele Amerikaner einen Großteil ihrer privaten Altersvorsorge in Aktien angelegt haben. Die Inflationsrate ist von mehr als neun Prozent auf 3,4 Prozent gefallen. Und Bidens republikanischer Herausforderer Donald Trump hat vier Gerichtsverfahren am Hals, die einen beträchtlichen Teil seiner Energie binden.
Vor diesem Hintergrund müsste der demokratische Amtsinhaber einen Lauf haben. Das Problem: Die Daten sickern nicht in das öffentliche Bewusstsein ein. In wichtigen „battleground states“ – das sind die US-Bundesstaaten, die zwischen den beiden Kandidaten heiß umkämpft sind und die am Ende die Wahl entscheiden – liegt Trump vor Biden.
Nach einer aktuellen Umfrage der New York Times, des Siena College und des Philadelphia Inquirer führt Trump in Pennsylvania, Arizona, Michigan, Georgia und Nevada. Lediglich in Wisconsin hat Biden eine Nasenlänge Vorsprung. 2020 hatte Biden alle sechs Bundesstaaten gewonnen. Bei den US-Präsidentschaftswahlen zählt nicht die Summe aller national gezählten Stimmen. Der Gewinner eines Bundesstaates bekommt je nach Bevölkerungsgröße ein Kontingent an Wahlmännern. Die Kontingente werden am Schluss addiert.
Die Lage in Georgia zeigt exemplarisch, dass die Bedingungen für den Präsidenten nicht mehr so günstig sind wie 2020. Damals gewann Biden mit einem hauchdünnen Plus von rund 12.000 Stimmen. Dabei wirkten sich auch Sonderfaktoren zu seinen Gunsten aus. So litt Georgia stark unter der Corona-Pandemie, was auch an der fahrlässigen Gesundheitspolitik des damaligen Staatschefs Trump lag. Zudem hatte die Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizeibeamten in dem südlichen Bundesstaat für besonders große Empörung gesorgt. All dies mobilisierte viele Wähler für Biden.
Trumps derzeit relativ gute Werte haben jedoch noch weitere Ursachen. Zum einen hat Biden bei jungen Wählern, Schwarzen und Latinos an Rückhalt verloren. Deren Stimmen hatten 2020 maßgeblich zum Sieg des Demokraten beigetragen. Vor allem die Jungen kreiden dem Präsidenten an, Israel nicht entschlossen genug im Gaza-Krieg zu bremsen und so für die hohe Zahl ziviler Opfer mitverantwortlich zu sein. Die vielen pro-palästinensischen Demonstrationen an den Hochschulen zwischen Los Angeles und New York speisen sich aus dieser Unzufriedenheit.
Darüber hinaus ist in Amerika die Einschätzung weit verbreitet, dass es mit der Wirtschaft nicht rund laufe. Viele US-Bürger sind der Meinung, dass die Inflation trotz sinkender Rate noch immer zu hoch sei. Das betrifft insbesondere die Benzinpreise, die in den Vereinigten Staaten ein wichtiger Indikator dafür sind, ob die Haushaltskasse eher voll oder eher leer ist.
Das Ganze verdichtet sich zu einem Lebensgefühl, das Zweifel daran lässt, ob Biden eine Wende zum Besseren bringen kann. Aktuell glauben fast 70 Prozent der Amerikaner, dass das politische und wirtschaftliche System des Landes größere Veränderungen brauche.
Viele Wähler trauen dem 81-jährigen Präsidenten nicht zu, eine derartige Kurskorrektur zu schaffen. Seine physische Erscheinung, sein mitunter wackeliger Gang und seine gelegentlichen Versprecher unterstreichen diesen Eindruck. Die Altersfrage legt sich wie Mehltau über die Kandidatur des Amtsinhabers. Dass Trump mit 77 Jahren nicht viel jünger ist, fällt dagegen nicht so sehr ins Gewicht. Der Herausforderer strahlt Energie und Dominanz aus, was dem Bedürfnis nach einem Bruch mit der gegenwärtigen Lage entgegenkommt.
Biden hat sich bislang zu sehr darauf verlassen, dass seine Kritik an Trump als faschistoidem Politiker-Typen und Demokratie-Gefährder ausreicht. Die seit Monaten gleichbleibend schlechten Umfrage-Werte sind ein Weckruf. Der Präsident muss jetzt kämpfen, um seinen Alters-Malus vergessen zu machen. Seine politische Bilanz ist durchaus ordentlich. Er hat eine „Story“. Die muss er nun der Bevölkerung erklären. Bis zum 5. November ist noch Zeit, aber die Uhr tickt.