Süß, rund und verführerisch: Eines der bekanntesten französischen Gebäcke hat eine neue Form angenommen. Bei „Croissant Couture“ in Berlin-Mitte lassen sich die kompakten Rollen in verschiedenen Geschmacksrichtungen vernaschen.

Wenn es um Kulinarik geht, streiten sich die einzelnen Nationen oft um die Herkunft der ein oder anderen Delikatesse. Das ist auch bei einer der berühmtesten, international bekannten, französischen Backware der Fall. Die Rede ist vom Croissant. So ranken sich Legenden darum, ob es die Österreicher oder die Ungarn waren, die das Croissant während der osmanischen Belagerung erfunden haben sollen. So soll der Geburtsort des Plundergebäcks entweder Wien oder Buda gewesen sein. Der Legende zufolge sollen die Osmanen nachts versucht haben, unterirdische Tunnel zu graben, um die Stadt anzugreifen. Doch dabei sollen die Tunnelbauer von einigen Bäckern in den frühen Morgenstunden gehört worden sein. Die Nachtarbeiter schlugen Alarm und retteten so ihre Stadt. Um ihre Rettung zu feiern, backten die dortigen Bäcker Köstlichkeiten aus Blätterteig und sollen sich dabei von der Mondsichel der türkischen Flagge haben inspirieren lassen. Ob das ungarische oder österreichische Kipferl tatsächlich das Vorbild des Croissants gewesen ist, bleibt ungeklärt.

Einer weiteren Legende zufolge soll das gebackene Hörnchen durch Kaiserin Marie-Antoinette an den französischen Hof gebracht worden sein. Es heißt, dass danach das österreichische Hörnchen in Frankreich nach der Sichelform des Mondes umbenannt wurde. Der Begriff „croissant de lune“ oder kurz „croissant“ bedeutet so viel wie zunehmender Mond, Mondsichel oder Halbmond.
Jahrhunderte nach Marie-Antoinettes Tod arrivierte das blätterige Sichelgebäck zu einem der bekanntesten Vertreter französischer Backkunst. Dabei ist die Geschichte des Croissants längst noch nicht auserzählt. Vor zirka zwei Jahren haben Patisseure der bekannten New Yorker „Lafayette Bakery“ die französische Backware dekonstruiert und neu erfunden: Die ursprünglich dort unter dem Namen Suprême verkauften Blätterteigteilchen sind eine Mischung aus Croissant und Krapfen. Dabei sind die Hybrid-Backwerke geformt wie kleine Heuballen und mit einer süßen Creme-Füllung versehen. Die New York Rolls wurden über soziale Netzwerke wie TikTok und Instagram berühmt gemacht, gingen viral und wurden weltweit bekannt. „Es ist DAS Trendgebäck des Augenblicks!“, schrieb eine Journalistin der französischen Frauenzeitschrift Marie Claire voll Begeisterung. Dieses Croissant mit amerikanischer Füllung mache süchtig, schwärmte sie weiter.
Das Einrollen ist Kunst für sich
Nun muss nicht jeder Hype in Sachen Kulinarik das halten, was er verspricht. Ich jedenfalls bin neugierig geworden und habe mich auf die Suche nach dem trendigen Teilchen in Berlin gemacht. Fündig geworden bin ich in einem neuen Café unweit des Rosenthaler Platzes, das den schnittigen Namen „Croissant Couture“ trägt. Schon das Interieur verströmt den frischen Atem eines neuen Jahrzehnts. Der Café-Raum ist hell, lichtdurchflutet und in schlichtem Industrie-Stil mit grauem Betonboden gehalten. An den weiß verputzen Wänden hängen bunte, runde Kunstwerke. Erstellt wurden die Bilder im Spin-Painting-Stil, der von dem Berliner Künstler Jans Echternacht entwickelt wurde. Dabei wird flüssige Acrylfarbe auf eine rotierende Leinwand gegeben, und so entstehen abstrakte Motive. „Wir haben die Bilder alle selbst gemacht“, erzählt Adar Meshulam im Gespräch.

„Wir“, damit meint der Berliner Jungunternehmer und studierte Betriebswirt sich selbst und seinen ehemaligen Schulfreund Daniel Digilov. Inspiriert vom Manhattener Vorbild wollte Adar Meshulam das Hörnchen der besonderen Art auch in Berlin bekannt machen. Der 27-Jährige tat sich mit seinem Kompagnon zusammen, und die beiden fanden am Weinbergsweg das passende Objekt. Nach einer über dreimonatigen Renovierungsphase konnten die Entrepreneure das „Croissant Couture“ im Sommer vergangenen Jahres eröffnen.
Die beiden ergänzen sich gut. Während Adar Meshulam beim Service hilft und direkten Kontakt zu den Gästen hat, agiert Daniel Digilov als Chef der Backstube naturgemäß eher im Hintergrund. Der 26-jährige Berliner hat zuvor eine Kochausbildung im renommierten Sterne-Restaurant „Hugos“ absolviert, war ein Jahr in der Patisserie und zwei Jahre als Gardemanger beschäftigt. Hier am Weinbergsweg führt er wieder Regie über die süße Küche.
„Ich habe lange getüftelt, wie man die Croissants richtig einrollt“, erzählt Daniel Digilov im Gespräch. „Das ist Handarbeit, dabei muss man auf jedes Detail achten und man kann an jeder Kleinigkeit scheitern.“ Die knusprig-fluffigen Roll-Kunstwerke brauchen insgesamt drei Tage, bis sie fertig in der Auslage liegen. Schließlich arbeitet das Küchen-Team ohne Backenzyme und künstliche Zusatzstoffe. Am ersten Tag werde der Teig fermentiert und müsse dann eine Nacht lang kühlen, erläutert der Backchef. Am Tag darauf wird der Plunderteig touriert. Dabei wird der Teig mehrfach ausgerollt, gefaltet und mit Butter zwischen den einzelnen Schichten versehen. Die aufwändige Falt- und Ruhetechnik bei der Herstellung sorgt für die charakteristische Schichtung des Gebäcks.

Und so können sich auch komplexe Aromen entwickeln, die das Plundergebäck nicht einfach nur nach Blätterteig, sondern nach einem echten französischen Croissant schmecken lassen. Am dritten Tag kommt der Teig erneut in den Kühlschrank, um aufzugehen, bevor er mit Creme gefüllt und in den Ofen geschoben wird. Als I-Tüpfelchen erhalten die fertigen Rollen nach dem Backen noch eine Schoko-Glasur, ein paar Mandelsplitter oder ein Meringue-Krönchen obendrauf – je nach Geschmacksrichtung. Dabei sollte für jede Naschkatze etwas mit dabei sein. Außer den Butter-Croissants gibt es zusätzlich auch mindestens zwei vegane Varianten, zum Beispiel mit Schokoladen- oder Himbeer-Cremefüllung.
Zuckerschock bleibt aus
Mein erster Besuch in dem kleinen Café am Weinbergsweg findet an einem Vormittag um 11 Uhr statt. Die perfekte Zeit für ein Frühstück, das ich mit einem Croissant genießen möchte. Ich beginne allerdings mit einer der herzhaften Optionen und bestelle das Gebäck – très ordinaire – in seiner bereits bekannten Hörnchenform. Kurze Zeit später steht vor mir ein aufgeschnittenes Croissant mit einer verheißungsvollen Füllung aus geräuchertem Lachs, Frischkäse, Kapern, Zwiebeln, Dill und Honigsenf. Ich beiße hinein und bin sofort angetan von den ausbalancierten Aromen aus süß, säuerlich, scharf und dezent salzig. Die vielschichtige, zartblättrige Textur des Backwerks lässt meine Gedanken sofort in die fabelhafte Welt von Amélie Poulain in Montmartre reisen.
Nicht weniger fabulös schmeckt auch der Kaffee, den ich mir als Latte mit Mandelmilch bestelle: Das Heißgetränk hat eine leicht fruchtige Note und ist erstaunlich säurearm. „Das ist der Istanbul Blend“, verrät mir Inhaber Adar Meshulam, der die ausgewählten Bohnen direkt von der Berliner Kaffeerösterei Zazza bezieht.

Rundherum satt und glücklich könnte ich jetzt eigentlich schon wieder gehen. Doch meine eigentliche Mission ist schließlich die kulinarische Erkundung der Roll-Croissants. Äußerst attraktiv aneinander gereiht liegen und stehen sie da in der Auslage – die süßen Sünden mit ihren verheißungsvollen Füllungen wie etwa Nougat, Vanillecreme mit gesalzenem Karamell oder Lemon Pie. Ich entscheide mich für die Kreation mit der grünen Creme: Pistachio White Chocolate Couture. Die kompakte Rolle hat mit knapp sieben Euro einen stolzen Preis. Trotzdem ist es Liebe auf den ersten Biss: Die Textur ist zugleich knusprig wie filigran und fluffig. Währenddessen ist der flüssige Inhalt aus Pistazien und weißer Schokolade so cremig wie köstlich. Außen auf seinem vielgeschichteten Mäntelchen trägt das gerollte Kunstwerk noch ein paar Kleckse etwas dunklerer Pistaziencreme. Daneben kleben auch noch ein paar ganze, überaus knackige Vertreter der grün-elliptischen Steinfrucht.
Und dennoch: Der erwartet Zuckerschock bleibt aus! Die Rolle überzeugt durch Ausbalancierung von Süße und Aromen. Ähnliche Erfahrungen habe ich auch bei meinen nächsten Besuchen gemacht. Wieder haben mich die tollen Rollen angelächelt. Bei der Kreation mit Vanille und gesalzenem Karamell konnte ich einfach nicht widerstehen. Auch die Rolle mit Passionsfrucht-Kokosnuss-Füllung hat mich schwach werden lassen. Sie schmeckt einfach nach Sommer. Leicht und sehr fruchtig bei einer perfekt austarierten Süße. Keep on rolling, Croissants!