Vom 6. bis zum 9. Juni läuft im Saarland der größte deutschsprachige Kurzfilm-Wettbewerb für Nachwuchs Filmschaffende: das Bundesfestival junger Film.
Die Idee mit dem Kunstblut fand Sören Betker „total cool“. Die Umsetzung sei „aber sehr ätzend“ gewesen. Aber zum Glück hatte jemand eine Mandarine dabei. Als dann auch noch einer seiner Mitschüler eine Ananas kaufte, eröffnete sich eine ganz neue Welt. Sven Betker war 13 oder 14 – „so in dem Alter“, sagt er – und drehte seinen ersten Film. „Wir haben eine Art Augsburger Puppenkiste gemacht“, erzählt er.
Dass das mit der Kunstblut-Produktion im Schul-Chemielabor nicht so geklappt hat, wie er und seine Mitschüler sich das vorgestellt hatten, war ein Glücksfall. Obst ist leichter zu dirigieren als menschliche Darsteller – für einen jungen Filmemacher keine schlechte Ausgangssituation. Wobei das Obst Sören Betker nie ganz losgelassen hat. Zehn Jahre nach seiner fruchtigen Puppenkiste hat er aus der Obst-Session einen 2D-Animationsfilm gemacht und das Projekt zur Trilogie ausgeweitet.
Die Sache mit dem Kunstblut ging schief
Der dritte und letzte Teil der Reihe wird am 8. Juni im Open-Air-Kino auf dem Marktplatz der saarländischen Stadt St. Ingbert gezeigt. Er ist Teil des Bundesfestival junger Film, das vom 6. bis zum 9. Juni für einen ganz speziellen Filmgenuss sorgt. Der Wettbewerb, bei dem Preise im Wert von rund 20.000 Euro vergeben werden, zeigt gut 80 Kurzfilme von Filmschaffenden, die nicht älter als 30 Jahre sind. Die Organisatoren sprechen vom größten Nachwuchs-Kurzfilmfestival im deutschsprachigen Raum.
Gegründet wurde das Festival 2018 von einem Saarbrücker, der damals selbst bereits Preise in anderen Wettbewerben gewonnen hatte: Jörn Michaely. Deshalb ist die Veranstaltung im Saarland zu Hause. Bereits mit 16 Jahren bekam er für seinen ersten Kurzfilm den Preis für die beste Regie und den besten Nachwuchsfilm bei den Weltfilmfestspielen der Union Internationale du Cinéma in Österreich. Das war 2013. Ein Jahr später schaffte es sein Kurzfilm „Leon lügt“ in den Wettbewerb des Filmfestivals Max Ophüls Preis. Für seinen Film „Helldunkel“ erhielt er den Hauptpreis des Bundesfestivals Film in Mainz.
In „Weißer Kragen“, dem Kurzfilm, mit dem Michaely die Jury der Weltfilmfestspiele überzeugt hat, geht es um einen Bewerber, dem es nicht gelingt, so zu sein wie seine Konkurrenten: gut gekleidet, arrogant und ignorant. Er versucht, sich anzupassen, alle menschlichen Regungen abzulegen, scheitert aber – und bekommt genau deshalb am Ende den Job. Sich nicht zu verstellen, Mitgefühl zu haben und dennoch ehrgeizig zu sein – ist es das was gute Filmemacher ausmacht?
„Genau das ist es, was wir uns von den Filmen erhoffen“, sagt Jörn Michaely, der künstlerischer Leiter des Wettbewerbs ist. Als er mit anderen das Festival konzipierte, habe man sich natürlich gefragt: Nach welchen Kriterien werden die Filme ausgesucht? Man habe über Standards gesprochen, über Technik, über alles Mögliche. Aber es sei dann recht schnell klar gewesen, was das Wesentliche ist: „Ist der Film so einzigartig, so ungewöhnlich, so persönlich, dass wir sagen: Den wollen wir der Welt zeigen?“
Wobei die Welt in diesem Fall die große Leinwand ist. Jeder kann heute seine Filme auf Youtube stellen oder auf einer anderen Internetplattform streamen. „Aber man will seinen Film ja auf der Leinwand sehen, ihn mit anderen zusammen schauen und spüren, wie das Publikum reagiert“, sagt Michaely. Er habe es immer „schade gefunden, dass an den Hochschulen und darüber hinaus jedes Jahr viele Kurzfilme gedreht werden, die meisten aber in Schubladen verschwinden“. Um wenigstens einigen seiner Kolleginnen und Kollegen den großen Auftritt zu ermöglichen, habe er das Festival gegründet. Es sei „quasi aus der Not geboren“.
Es gehe aber für die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher nicht nur um die paar Minuten Ruhm und Gänsehaut, während ihr Film über die Leinwand läuft. So ein Festival sei für viele ein wichtiger Karriereschritt. „Man macht einen Film und jemand, ein Redakteur oder eine Redakteurin beim Fernsehen zum Beispiel, wird darauf aufmerksam – auch dafür sind Festivals wichtig“, erklärt Michaely. Aus Aufmerksamkeit könne das Vertrauen entstehen, einem jungen Regisseur oder einer jungen Regisseurin „auch einen Langfilm anzuvertrauen“.
Deshalb sei das Ziel: „Die Filmemacher zusammenbringen, ihnen eine Austauschplattform bieten und ein Sprungbrett für zukünftige Karrieren sein.“ Denn: „Fast alle bedeutenden Regisseurinnen und Regisseure haben die ersten Schritte ihrer Filmlaufbahnen mit Kurzfilmen gemacht.“ Leider seien es aber gerade die Kurzfilme, die jenseits der Festivals kaum ein Publikum finden. Wenn überhaupt, sagt Michaely, dann laufen sie im Fernsehprogramm spät in der Nacht. Die Zeiten, in denen in Kinos vor dem Hauptfilm Kurzfilme gezeigt wurden, sind auch vorbei.
Die Jungen drehen sehr persönliche Filme
Dabei könne sich das, was die Jungen produzieren, sehen lassen. Die Werke seien nicht selten politisch, fast immer mutig und „bieten der heranwachsenden Generation eine Stimme“. Die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher erzählen oft sehr persönliche Geschichten und lassen das Publikum so sehr nahe an sich ran. „Filme über die eigene Familiensituation sind im Kommen“, erklärt Michaely. „Da wird sich gefragt: Was gab es da für Huddel? Daraus entsteht dann zum Beispiel eine Doku mit den eigenen Eltern.“ „Huddel“ ist ein saarländisches Wort für Ärger, Unannehmlichkeiten, Stress.
Aus über 500 Einreichungen wählt eine Jury jedes Jahr die stärksten aus. „Die, die was zu sagen haben. Uns bewegen. Uns umdenken lassen. Die abseits von gängigen Klischees neue Wege gehen“. Auch im siebten Festivaljahr sei er „immer noch überrascht, was da kommt“, sagt Michaely. Es sei eben nicht so, dass man irgendwie alles schon mal gesehen hat, jede Geschichte schon mal gehört, gelesen oder gesehen hat. Und wenn er und sein Team, dann solche Filme bekommen, die faszinieren, dann gehe es einfach nicht anders: „Die müssen raus, die müssen draußen gezeigt werden.“
Wobei „draußen“ wörtlich gemeint ist. Der zentrale Ort ist der St. Ingberter Marktplatz. Diese Atmosphäre unter freiem Himmel sei nicht zu toppen. Bei Regen werden die Filme in der Stadthalle gezeigt. Aber: „Wenn das Wetter nicht stimmt, kommen weniger Leute“, weiß der künstlerische Leiter.
Die Bandbreite dessen, was in St. Ingbert läuft, ist groß: Es gibt einen Musikvideopreis, eine Veranstaltung, bei der Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren ihre aktuellen Projekte präsentieren können, um womöglich eine Stoffentwicklungsförderung zu bekommen. In der „Junge Piloten“-Reihe werden erste Folgen von Fernseh-, Web- und Kinoserien gezeigt. Filmschaffende bis 21 Jahre können am Newcomer-Wettbewerb teilnehmen. Schulklassen können bei speziellen Vorstellungen mit den Macherinnen und Machern über deren Filme diskutieren.
„Auch für die Fans besonders schräger Filme haben wir etwas im Angebot: Beim Wettbewerb der schrägen Filme zeigen wir ausgefallene und besonders skurrile Werke“, wirbt Michaely. In dieser Reihe wird auch der letzte Teil von Sören Betkers Obst-Trilogie gezeigt. „Der Wald gehört uns“ lautet der Titel des Acht-Minuten-Werks. Es geht darin wie in seiner ganzen Obst-Reihe „um Themen, die zeitlos sind und doch aktuell – um Dinge, die uns als Menschheit beschäftigen“, erklärt er.
In „Der Wald gehört uns“ geht es um Krieg und Klimawandel. Es ist sehr heiß geworden im Land des Obstes. Aber da ist ein Wald, der Schatten und damit Schutz bietet. Den Wald hat sich aber auch das Gemüse als Zufluchtsort ausgesucht. Und mit dem Gemüse versteht sich das Obst in Betkers Geschichte leider gar nicht gut. Nun muss sich das Obst entscheiden: teilen oder Krieg führen. Es geht um Leben und Stolz. Apropos Stolz: „In St. Ingbert dabei zu sein, ist eine große Ehre. Es zeigt, dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat und nicht nur auf der Computer-Festplatte liegt“, sagt Sören Betker.