Unterwegs auf Irlands Flüssen und dem Meer finden Freizeitkapitäne und Hobbyangler ideale Bedingungen und erleben eine wunderbare Landschaft mit sympathischen Einheimischen.

Was war dann wohl doch eine Schleuse zu viel. Kein Schleusenwärter weit und breit. Es ist kurz nach 19 Uhr, die tiefe Sonne lässt das satte Grün links und rechts des Camlin River im Herzen Irlands noch ein bisschen satter leuchten und die Urwaldriesen am nahen Ufer noch mächtiger erscheinen, als sie eh schon sind. Aber das massive hölzerne Tor vorm Bug des Hausboots bleibt dicht. Einer stummen Anklage gleich, das Frühstück künftig nicht mehr genüsslich bis zum Mittag zu ziehen.
Den Iren scheinen Feierabend und Geselligkeit wohl heilig zu sein. Kein Wunder. Direkt hinter der Richmond Schleuse liegt der überschaubare Richmond Harbour voller betagter, bunt gepinselter Stahlkähne, das eigentliche Ziel der gemütlichen Tagesetappe. Aber – vermutlich noch viel wichtiger – direkt am Pier dringt ein buntes Stimmengewirr aus dem „Richmond Inn Pub“.
Der sechsjährige MJ alias Marc Junior nimmt all seinen Mut zusammen und fragt die betagte Dame hinterm Tresen in gebrochenem Englisch, wo man denn hier im Dorf noch etwas zu Essen kaufen könne. Papa leistet Schützenhilfe. Die Vorräte auf dem Boot gingen bedenklich zur Neige. Der Tante-Emma-Laden in Cloondara hätte schon vor Jahren dicht gemacht, so die alte Dame, aber sie sollten einen Augenblick warten, sie würde sie zum Discounter nach Longford kutschieren. Die Hobby-Cruiser sehen sich ungläubig an. Lost in Translation? Doch Frances McPartland, die eloquente Chefin des Hauses, meint es offensichtlich ernst. Sie zapft dunkles Guinness für sämtliche Gäste, auch für die, die noch vor einem halbvollen Glas sitzen und braust mit den Urlaubern davon. Willkommen in Irland!
Gute lokale Küche und irische Live-Musik

In der nächsten halben Stunde können die Festlandseuropäer spüren, was es auf sich hat mit der irischen Seele. Die 73-jährige Frances ist neugierig geblieben und erzählt ihrerseits offenherzig aus ihrem Leben. 45 Jahre stehe sie nun schon hinterm Tresen ihres Pubs, meist sieben Tage die Woche. Ein Leben ohne ihre Gäste könne sie sich nur schwerlich vorstellen. Sogar richtige Freundschaften mit einigen Hausboot-Skippern „aus Europa“ seien entstanden.
Der Pub ist so etwas wie das soziale Epizentrum der Gegend, insbesondere in den dunklen Wintern, wenn sich eine undurchdringliche Wolkendecke wie Blei auf Häuser und Gemüter legt. Hier trifft sich der Kajak-Nachwuchs genau wie die Cloondara Community Defibrillator Group. Serviert wird eine erstaunlich gute lokale Küche und immer mittwochs gibt es sogar irische Live-Musik. Der Abschied fällt schwer, ein gebührendes Trinkgeld lehnt die sympathische Dame dankend ab. Man helfe sich gerne hier. Das sei doch selbstverständlich.

Spätestens als die Rotfedern und Plötzen an der Kaimauer munter anfangen zu beißen, entpuppt sich die geschlossene Schleuse endgültig als Glücksfall. Wenig später brutzeln ein paar von ihnen in Alufolie auf dem Grill. Fangfrischer Fisch schmeckt eben unvergleichlich besser als jeder tiefgekühlte Verwandte, der bereits Monate zuvor irgendwo in einem der sieben Weltmeere mit riesigen Schleppnetzen an Bord gehievt wurde.
In der Dämmerung beißt dann noch ein kapitaler Aal an. Der teilt nicht das Los der Weißfische, die auch auf dem Speisezettel stehen. Der Europäische Aal gilt als vom Aussterben bedroht und ist – im Gegensatz zu Deutschland – in Irland seit Jahren geschützt. MJ setzt den Räuber mit recht gemischten Gefühlen zurück. Es ist sein erster Aal überhaupt. An diesem Abend lernt der Junge, dass Turbinen in Wasserkraftwerken, Flussbebauungen wie Dämme und Wehre sowie Wasserverschmutzung und Überfischung dem schlangenartigen Tier den Garaus machen.

Für interessierte Kinder, die Spaß am Angeln haben, ist das Hobby Edutainment pur. Sie lernen zu planen, die Ausrüstung zu konfigurieren, zu pflegen und notfalls auch zu reparieren. Und müssen sich in Geduld üben, wenn mal nichts beißt – die vermutlich schwerste Lektion, die in Irland glücklicherweise recht selten auf der Agenda steht. Zudem entdecken die Petrijünger ganz nebenbei verschiedene Ökosysteme und ihre Bewohner am und im Wasser.
In Geduld und Gelassenheit müssen sich zuweilen auch die Erwachsenen üben. „Zumindest in den ersten zwei, drei Tagen in Irland, denn hier läuft alles ein bisschen ruhiger und entspannter als in Deutschland“, weiß Manuela Schwabe von der Firma Le Boat zu berichten. Die gebürtige Schwarzwälderin lebt mit ihrem Mann seit über 20 Jahren auf der grünen Insel. Im herausgeputzten Provinzstädtchen Carrick-on-Shannon verleiht Monika von März bis Oktober die schwimmenden Domizile. „Dabei sind die Bedingungen ideal zum Entspannen. Im Shannon-Erne-Flusssystem wird keine Berufsschifffahrt betrieben und die Strömung ist schwach. Ideal für unerfahrene Freizeitkapitäne ohne Bootsführerschein. Denn den benötigt man selbst für unsere größten Boote nicht.“ Im hektischen Deutschland zu leben könne sie sich nicht mehr so recht vorstellen. Nur an den Dauerregen im Winter werde sie sich wohl nie gewöhnen. „Sowie ich in Rente gehe, werden wir uns einen Camper mieten und die Winter am Mittelmeer verbringen.“
Auf dem Meer kann es stürmisch werden
Am nächsten Tag heißt es Leinen los, tschüss Cloondara, Camlin River und Pub. Stromabwärts geht die Reise weiter Richtung Nordatlantikküste, dort, wo sich die richtig kapitalen Fische tummeln. Schon die vielen Seen auf dem Weg dahin lassen jedes Anglerherz in Allgemeinen und das vom Junior im Speziellen höher schlagen. Sie sind legendär für die stattlichen Hechte, die dort auf Beute lauern. Zwei von ihnen, wenn auch nicht stattlich, werden einem Gummifisch beim Jiggen auf den Leim gehen und anschließend mit knackfrischem Gemüse und Petersilienkartoffeln serviert. Fressen und gegessen werden. Die aggressiv leuchtenden rot-gelben Köder scheinen den Jagdinstinkt der beiden pfeilschnellen Gesellen besonders getriggert zu haben.

Doch entgegen allen guten Vorsätzen geht es auch heute erst wieder gegen Mittag los. Warum auch nicht? Schließlich sind Ferien und der Alltag ganz weit weg. Ein Frühstück mit warmen Brötchen, herzhaftem regionalen Käse, fruchtiger Konfitüre und frischer irischer Landmilch vom Bio-Bauern um die Ecke hat schon seine ganz eigene Qualität. Besonders auf dem Sonnendeck eines Hausbootes. Süßes Nichtstun bei einem duftenden Kaffee sowieso. Wieso soll man denn auch an seiner Erholung arbeiten, wenn man nach ein paar Tagen auf dem Wasser bereits erholt ist? Das Schönste am 370 Kilometer langen Shannon River mit all seinen lieblichen Nebenflüssen und Kanälen und den vielen kleinen und großen und richtig großen Seen ist doch genau das, was es dort nicht gibt: Urbanität. Dafür Natur im Überfluss. Unwirklich breite Schilfgürtel, Seerosen, Schwäne, Kormorane, Haubentaucher, Fischotter und natürlich die glücklichen irischen Kühe und Schafe, die gemächlich auf saftigen Wiesen entlang der Ufer grasen.
Aber nein, eine Erkundung Irlands vom Wasser aus wäre nicht komplett ohne das Meer, das es vollständig umgibt. Ein Angelurlaub erst recht nicht. So komfortabel und sicher so ein fast zwölf Meter langes Horizon-Hausboot von Le Boat auch sein mag, für das offene Meer taugt es nichts. Auch wenn es auf den großen Seen schon mal recht stürmisch werden kann, der Nordatlantik ist eine andere Liga. Eine ganz andere.
Die Möwen begleiten das Boot

Da müssen Profis ran. Richtige Seeleute mit richtigem Untersatz. Brian McGilloway aus der Hafenstadt Killybegs im windgepeitschten County Donegal ist so einer. Seit nunmehr 30 Jahren bietet der Haudegen mit dem wettergegerbtem Gesicht Angeltouren in der grau-schwarzen See an. Wer den Skipper auf seiner 420 PS starken „MV Meridian“ am Blackrock Pier ausmacht, weiß, dass dies keine gepflegte Sundowner-Spazierfahrt à la Bacardi Romantik werden wird.
Die Begrüßung ist irisch: schlicht, rau, herzlich. Brians erwachsener Sohn John weist die Ferienangler ein. Kurzes Briefing: Boot, Meer, Wetter, Angelausrüstung und eine Rettungsweste für den Junior. Sicher ist sicher. Schon durchpflügt die „Meridian“ die grau-schwarz-düsteren Wellen unter einem schwer über dem Meer hängenden grau-schwarz-düsteren Himmel. Seekrank möchte man hier lieber nicht werden. Die Möwen scheinen indes genau zu wissen, dass die McGilloways etwas von ihrem Handwerk verstehen. Laut kreischend begleiten sie das Boot in die Weiten des Ozeans. „Escort Service à la Irland“, lacht John. „Für die Möwen fällt immer etwas ab.“
Kein leeres Versprechen. Als die Silhouette von Killybegs auf Miniaturgröße geschrumpft ist, werden die Angeln ausgeworfen. Ganz einfache Montage: Sehne, Blei, drei Haken, bestückt mit Garnelen. 16 Meter ist das Meer hier tief. Die Köder werden kurz über Grund gehalten und der Spaß beginnt im Handumdrehen. Die Bisse sind heftig, eine Pose überflüssig. Im Minutentakt ziehen die Angler Pollacks aus dem Wasser. Rund ein Kilogramm wiegen die meisten, ein paar weit mehr. Die kleinen werden zurückgesetzt, die Möwen versuchen im Sturzflug ihr Glück.

Obwohl die Schwarmfische aus der Familie der Dorsche hervorragende Speisefische sind, haben sie nur eine untergeordnete wirtschaftliche Bedeutung. In Irland landen sie als Beifang der kommerziellen Dorschfischerei meist als Fischstäbchen, Frikadelle oder Backfisch auf dem Teller.
Hin und wieder geht den Anglern auch eine Makrele an den Haken. Für die McGilloways der leckerste Fisch überhaupt, der es locker mit Dorsch, Lachs und Tuna aufnehmen kann. Während John die ersten Filets mit etwas braunem Zucker, Senf und ein paar Spritzern Zitronensaft brät, zieht MJ unter vollem Einsatz und mit größter Mühe einen kapitalen Pollack an Bord. Knappe vier Kilo bringt der Bursche auf die Waage, ganz ohne Anglerlatein. Es sollte der größte Fisch des Tages werden. Der Junge ist mächtig stolz, die Eltern natürlich auch.
Am frühen Nachmittag gehen die Urlauber mit ein paar Kilo Fischfilets und noch viel mehr Eindrücken von Bord. Der Wild Atlantic Way führt sie zu den schönsten Buchten Donegals und der launische Wettergott meint es gut mit ihnen. Plötzlich reißt der Himmel auf und lässt das Meer karibisch blau und die breiten Strände goldgelb leuchten. Fast menschenleer sind sie. Dabei könnten sie es locker mit denen jenseits des Atlantiks aufnehmen. Zum Glück wissen das offensichtlich nicht allzu viele Menschen.