Die US-Wirtschaft brummt nach massiven Finanzspritzen der Regierung. Und trotzdem glaubt die Hälfte der Amerikaner, sie stecken in einer Rezession fest. Beste Voraussetzungen für eine zweite Amtszeit von Donald Trump.
Glaubt man amerikanischen Medien, blenden die Demokraten und ihr Kandidat, Amtsinhaber Joe Biden, gerade die schlechten Umfragewerte aus. Die Botschaft, die die Partei und das Weiße Haus gerade verbreiten, arbeitet sich vor allem an der Angst vor einem autoritären Systemumbau der Republikaner ab, sollten sie im November die Macht in Washington übernehmen. Die Wählerschaft scheint sich, wie üblich, jedoch über die Wirtschaft mehr Sorgen zu machen als um das politische Überleben der demokratischen Institutionen.
Die hohe Inflation kühlt sich immer weiter ab, eine gute Grundlage für die Zentralbank, um konkret über Zinssenkungen nachzudenken. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp unter vier Prozent, das Bruttoinlandsprodukt wächst kontinuierlich, aber auch der Schuldenberg, wie im Übrigen seit vielen Jahrzehnten. Kein US-Präsident hat bislang Schulden abgebaut, im Gegenteil. Besonders steil ist der Anstieg der Schuldenkurve während der Präsidentschaft von Donald Trump, aber auch während der Ära Biden. Während die Schulden Trumps unter anderem durch die massiven Steuerkürzungen entstanden, gab Biden Geld für die dringend benötigten Modernisierungsmaßnahmen der Infrastruktur aus.
„Bidenomics“, wie das Weiße Haus die Gesetzes- und Investitionspakete im Wert von mehreren Billionen Dollar nennt, kommen aber zumindest bei der amerikanischen Bevölkerung überhaupt nicht gut an – aus europäischer Sicht ist dieser Umstand einigermaßen merkwürdig. Nicht so in den USA. Nach Aussage des stramm rechten Think-Tanks Heritage Foundation, der gerade das grundlegende politische Gerüst einer zweiten Trump-Präsidentschaft legt, liegt dies an der Inflation. Um 17 Prozent seien die Preise im Durchschnitt seit Bidens Amtsübernahme gestiegen, zuvor nur um 1,4 Prozent. Vor allem Energie, Benzin und Diesel seien teurer geworden. Was der Think-Tank nicht sagt: Grund dafür sind die Kriege in Nahost und in der Ukraine und keine politischen Entscheidungen in den USA. Denn die Reallöhne, also die Löhne unter Einberechnung der Inflationsrate, sind in den USA nach der Amtsübernahme Bidens gestiegen, und zwar je nach Einkommen zwischen 1,7 und 3,2 Prozent.
Allein, es hilft dem Amtsinhaber in Umfragen wenig. Trotz guter Zahlen sagen nur ein Viertel der Amerikaner, dass die Wirtschaft in guter Verfassung sei. Sie sind nach wie vor eher ängstlich und wütend über den Zustand der Nation – und das ist weitgehend der Fall, seit das unabhängige Pew Research Center diese Fragen im Juni 2020 erstmals gestellt hat. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Befragten je nach Parteizugehörigkeit. Demokraten zeigen sich eher „hoffnungsvoll“ über den Zustand des Landes; Republikaner sind eher „ängstlich“ und „wütend“.
Staatsinvestitionen statt „Trickle-down“
Das Roosevelt Institute, ein liberaler Think-Tank, identifiziert mehrere Gründe für die Gefühlslage der US-Amerikaner gegenüber ihrer Wirtschaft. Sie alle haben mit den Nachwirkungen der Pandemie zu tun. Die Rezession der Pandemie-Ära und die hohe Inflation von 2022 seien in den Köpfen der Menschen noch immer präsent. „Mit der Zeit, wenn Rezession und Inflation weiter im Rückspiegel liegen, werden mehr Amerikaner erkennen, wie der neue Wirtschaftsansatz die Wirtschaft zum Positiven verändert hat“, so das Institut. Die Kluft zwischen der Wahrnehmung und der Realität der Wirtschaft sei nach 2020 entstanden. Demnach wird die Diskrepanz durch die Erfahrungen der Menschen mit der Pandemie verursacht – wie sie diese erlebten, unter welchem Druck sie standen, ob sie Angehörige verloren. Den größten Anteil an der US-Sicht auf die Dinge hat die Wahrnehmung der Inflation. In einer Umfrage nach der anderen sagen die Amerikaner, dass sie über steigende Preise sehr besorgt sind und sich Sorgen über die Auswirkungen auf ihren Gewinn machen. Höhere Preise im Lebensmittelgeschäft oder an der Zapfsäule sind für die meisten Amerikaner, die ohnehin schon um ihr Auskommen kämpfen, ein Schock.
Die Krise bei den Lebenshaltungskosten ist dabei sehr real: Im September 2023 ergab eine Umfrage der Bank of America, dass 67 Prozent der Arbeitnehmer sagen, dass die Lebenshaltungskosten stärker steigen als ihre Gehälter und Löhne. Die Preissteigerungen für Kraftstoffe und Lebensmittel haben sich zwar verlangsamt, sind aber immer noch höher als vor der Pandemie. In der Zwischenzeit sind die Wohnkosten gestiegen, die Kreditaufnahme ist teurer geworden, und es wurde nichts unternommen, um die hohen Kosten für Gesundheitsversorgung, Bildung, Kinderbetreuung oder Altenpflege in den Griff zu bekommen – unter anderem auch deshalb, weil die ursprünglich angedachten Gelder für Kinderbetreuung die Verhandlungen zwischen Republikanern und Demokraten im Kongress rund um den sogenannten „Build Back Better Act“ Bidens in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar nicht überlebten. Gerade solche Maßnahmen hätten Bidens wirtschaftspolitische Ansätze deutlicher im Alltag sichtbar und erlebbar gemacht.
Vereinfacht gesagt, ist das Bild der US-Wirtschaft, von oben betrachtet, ein gutes. Doch im alltäglichen Leben des durchschnittlichen US-Amerikaners sieht dieser vor allem Schilder mit höheren Preisen als vor der Pandemie. Dass sich diese Wahrnehmung bis zur Wahl ändert, ist kaum zu erwarten. Vor allem Think-Tanks und Medien, die aufseiten Trumps stehen, betonen immer wieder die hohe Inflation und die gestiegenen alltäglichen Preise – auf dass der US-Wähler dies bloß nicht bis in den Herbst vergessen möge. Hinzu kommt, dass Biden mit den „Bidenomics“ ein geradezu jahrhundertelang eingeübtes Axiom der US-Wirtschaft auf den Kopf stellte: „Trickle-down“ (auf Deutsch: nach unten rieseln) war zuvor das Gebot jeder Stunde, in der Hoffnung, bessere Bedingungen und Steuererleichterungen für Unternehmen kämen schon irgendwann bei den Arbeitern in Form besserer Löhne und höheren Konsums an. Bidenomics versucht es andersherum, mithilfe massiver staatlicher Investitionen, und dies offenbar mit Erfolg. In der Perspektive der US-Amerikaner ein geradezu revolutionärer Ansatz, um nicht zu sagen, aus dem Lehrbuch des in den USA bekanntlich als Schimpfwort gebrauchten Sozialismus. Ob Joe Biden von einer besseren Wahrnehmung seiner Maßnahmen bis in den Herbst profitieren wird, ist jedoch nach aktuellem Sach- und Umfragestand mehr als fraglich.