Für die einen war es der Beginn der Befreiung, für die anderen der Anfang der Niederlage. Doch warum erinnern sich die Völker Frankreichs und Deutschlands so unterschiedlich an die wohl größte Logistik-Leistung der Geschichte? Eine Spurensuche.
Ronald Reagan war der erste. Dann kamen Bill Clinton und George Bush in die Normandie. Elisabeth II. und ihre belgischen, niederländischen und norwegischen Pendants nahmen gar mehrfach teil. Lech Walesa aus Polen kam zur Gedenkfeier, und auch die Staatenlenker aus Kanada, den Niederlanden sowie die Könige von Belgien und Norwegen und der Großherzog von Luxemburg waren da. Doch es dauerte bis zum Jahr 2004, bis erstmals ein deutscher Kanzler zu einem runden Gedenktag anlässlich des D-Days in Frankreich eingeladen wurde. Gerhard Schröder war der erste deutsche Regierungschef, der an der offiziellen Gedenkfeier teilnehmen durfte.
Schröders Besuch ein starkes Zeichen
Zehn Jahre später war es dann die bis dato größte Feier: Frankreichs damaliger Präsident François Hollande empfing 19 Staats- und Regierungschefs zur Hauptveranstaltung, während parallel mehr als zehn verschiedene binationale Feiern stattfanden. Diesmal war es Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die Deutschland repräsentierte. Am Rande der Gedenkfeiern traf sie Russlands Präsidenten Wladimir Putin und sein ukrainisches Pendant Petro Poroschenko. Es handelte sich dabei um das erste Treffen zwischen den Staatschefs Russlands und der Ukraine seit der Annektierung der Krim und im Beisein von Deutschland und Frankreich um die Geburtsstunde des „Normandie-Formats“.
Normandie – der Name wird wohl auf ewig mit der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 verbunden sein. Die „Operation Neptune“ als Teil von „Operation Overlord“ darf als Anfang des Endes der Schreckensherrschaft Hitlers gesehen werden. Daher ist es denn auch kaum verwunderlich, dass Deutschlands Führungsriege im Vergleich mit Staats- und Regierungschefs anderer Länder erst spät in die Feierlichkeiten des D-Days mit eingebunden wurden. Zumal in der Nachkriegszeit die deutsch-französischen Beziehungen immer wieder von Phasen der Feindseligkeit geprägt waren. Von der Einladung Schröders zum 60. Gedenktag ging also ein starkes Zeichen für die deutsch-französischen Beziehungen aus.
Jacques Chirac, seinerzeit Frankreichs Präsident, war noch Monate nach dem Besuch des Bundeskanzlers bewegt und betonte, dass die Franzosen Schröders Anwesenheit in Caen am 6. Juni 2004 nicht vergessen werden: „Ihre Worte, Ihr Blick, das wird in den Herzen bleiben.“ Die innige Umarmung der zwei Staatschefs wurde von einigen deutschen Medien gar als Symbol der „Stärke des deutsch-französischen Paares und seiner Zusammenarbeit im Dienste eines neuen, freien und demokratischen Europas“ hochgejubelt.
Die Normandie möchte sich aufgrund der Geschichte noch stärker der „Normandy for Peace“-Strategie widmen. Sie möchte international anerkannte Region für Themen zu Frieden, Freiheit und Versöhnung sein. Als Bewahrer dieser Werte, die uns alle mehr vereinen als teilen sollten. Die Normandie soll das Land des Erinnerns und der Geschichte werden, in das Menschen aus der ganzen Welt kommen, um die Erinnerung an jene zu entdecken, die für Frieden und Freiheit gearbeitet und gekämpft haben.
Streng genommen ist die Landung in der Normandie nur eine von vielen Schlachten im Zweiten Weltkrieg. Dennoch atmet der D-Day wohl am ehesten den Geruch von Freiheit und Aufbruch. Immerhin war es eine Allianz von mehr als 150.000 Soldaten aus Staaten wie den USA, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Polen, Neuseeland sowie einigen mehr und läutete das Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Trotzdem unterscheidet sich die Art und Weise, wie die beteiligten Nationen auf diese Schlacht zurückblicken.
Deutschland 2004 erstmals dabei
Frankreich zum Beispiel: Es war im Mai 1945, als Raymond Triboulet, ehemaliger Sekretär des „Comité français de Libération nationale“ (Französisches Komitee für die Nationale Befreiung), einen Verein für die Erinnerung an den D-Day ins Leben rief. Damit sollten nicht nur die am D-Day gefallenen Soldaten geehrt werden, sondern auch der Tourismus in der Normandie gefördert werden, etwa durch die Organisation von Gedenkfeiern und Vorträgen sowie das Errichten von Denkmälern und Museen.
Mit der Zeit ist aus den ersten Touristen, die die Normandie ab den Fünfzigern besuchten und die mehrheitlich aus den Angehörigen der Verstorbenen bestanden, ein regelrechter „Erinnerungstourismus“ gewachsen: Fast 100 Gedenkstätten, rund 50 Museen, mehr als 20 Denkmäler und um die 30 Friedhöfe wurden gegründet und angelegt. Im Fokus lagen natürlich Veranstaltungen zum Gedenken an die Landung. Die Museumsrundgänge erzählen zudem einzelne Schicksale aus der Perspektive der Alliierten.
Oft geht es darum, die Geschichte eines Soldaten, eines Truppenkorps, eines Regiments oder einer Division zu erzählen, um die Vergangenheit greifbarer zu machen. Dies trägt laut einigen Kritikern aber auch zu einer gewissen Verzerrung der Vergangenheit bei, da dies oft eher einer Heldengeschichte gleiche, die Grausamkeiten des Krieges außen vor lasse und außerdem die ideologische Bedeutung des Zweiten Weltkrieges nur wenig thematisiere: den Kampf der Demokratien gegen den Nationalsozialismus.
Erst am 6. Juni 2004 übrigens fand im Mémorial de Caen, das jährlich von etwa 630.000 Menschen besucht wird, die erste deutsch-französische Gedenkfeier statt. Zehn Jahre später würdigte François Hollande dort die zivilen Opfer des D-Days. Außerdem organisieren zahlreiche Museen jedes Jahr verschiedene Veranstaltungen mit den Gemeinden, etwa Militär-Reenactment-Camps oder Militaria-Verkäufe, und sind so ein zentraler erinnerungspolitischer Treffpunkt. Die Anzahl der offiziellen Zeremonien zum Gedenken an den D-Day steigt kontinuierlich: Waren es 1984 gerade einmal acht, fanden 2004 bereits 19 Veranstaltungen statt und 2014 insgesamt 27. Für das diesjährige Jubiläum sind 87 Gedenkfeiern geplant.
Im Mittelpunkt der Gedenkfeiern an die gigantische Invasion steht in diesem Frühling und Sommer zum Beispiel das D-Day Festival Normandy, das vom 1. bis zum 16. Juni stattfindet. Den Höhepunkt bildet der Besuch zahlreicher Staatsoberhäupter, die am 6. Juni am Omaha Beach eintreffen, dem Küstenabschnitt bei Colleville-sur-Mer, Saint-Laurent-sur-Mer und Vierville-sur-Mer. Die Veranstaltungen, Feierlichkeiten und Ausstellungen werden noch bis Mitte Oktober zu sehen und zu besuchen sein.
Russland ist ohne Putin willkommen
Auf der anderen Seite Deutschland: Die Nachkriegszeit hier war von dem Gedanken geprägt, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen solle. Dies liegt wohl vor allem an den monströsen Ausmaßen und Folgen dieses Angriffskrieges, der von Deutschland ausgegangen war – zum Glück bislang einzigartig in der Geschichte: Mehr als 60 Millionen Tote. Völkermord, Flucht, Vertreibung, darunter auch etwa 6,3 Millionen Deutsche. Kaum eine Familie blieb von den Auswirkungen des Krieges verschont.
In Deutschland gilt eher der 8. Mai als Gedenktag sowie als „Tag der Befreiung“ und als Ende des Zweiten Weltkriegs – obwohl dieser im Pazifik noch bis in den August weiter wütete. Doch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss thematisierte den schwierigen Umgang mit der Erinnerung an das Kriegsende bereits früh im Parlamentarischen Rat: „Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“
Ein „Tag der Befreiung“ war es ohne Zweifel für all jene, die vom NS-Regime verfolgt worden waren, für die Insassen der Konzentrationslager, der Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager und der Gefängnisse, für Unterdrückte und für Widerständler. Doch gleichzeitig war der 8. Mai für viele Deutsche auch der Beginn einer ungewissen Zukunft. Für Millionen war es der Anfang von Flucht und Vertreibung aus der Heimat oder es war der ungewisse Weg in die Kriegsgefangenschaft, die je nach Gewahrsamsmacht viele Jahre unter menschenverachtenden Bedingungen andauern konnte und für Hunderttausende den Tod bedeutete.
Vielleicht war es nie wichtiger, diesen D-Day zu feiern als in diesem Jahr und in dieser Zeit, in der in direkter europäischer Nachbarschaft wieder ein Krieg tobt. Begonnen, um illegal alte Grenzen und veraltetes Denken wiederherzustellen. Das 80-jährige Jubiläum der Landung der Alliierten ist Anlass, um für Frieden, Demokratie und Aussöhnung zu werben. Frankreichs Präsident Macron setzte bereits ein klares Signal gegen die Instrumentalisierung der Vergangenheit: Russland ist zum 80. Jubiläum des D-Days herzlich willkommen – Putin aber explizit nicht.