Wie geht es nach dem Mega-Fight in Riad zwischen Olexandr Usyk und Tyson Fury im Schwergewichtsboxen weiter? Ein Rückkampf ist vertraglich festgelegt, aber es gibt Zweifel. Der Deutsche Agit Kabayel hat sich für einen WM-Kampf in Stellung gebracht.
Der eine Jahrhundertkampf war erst wenige Minuten vorbei, da kündigte Tyson Fury schon den nächsten an. „Wir kehren heim, ruhen uns ein wenig aus, verbringen etwas Zeit mit unseren Familien – und machen im Oktober weiter“, sagte der entthronte WBC-Weltmeister im Schwergewicht nach seiner Punktniederlage im WM-Vereinigungskampf gegen den nun unumstrittenen Champion Oleksandr Usyk aus der Ukraine noch im Ring. „Ich komme wieder. Ich habe eine Rückkampfklausel“, bestätigte der Brite, und mit Blick auf seinen um 15 Zentimeter kleineren Rivalen sagte er frech: „Ich habe gegen einen guten kleinen Mann durch Split-Decision verloren.“ Und das auch nur, so Fury, weil er nicht als Gewinner den Ring beim Box-Spektakel im saudi-arabischen Riad verlassen sollte. Der Brite fühlte sich von zwei der drei Punktrichter, die gegen ihn gewertet hatten, um den seiner Meinung nach verdienten Sieg betrogen. Doch er werde jetzt „nicht weinen und Ausreden suchen“, sagte Fury, „es war ein guter Kampf“.
Es war sogar ein fantastischer Kampf. Die Erwartungen waren angesichts der Klasse der beiden Schwergewichts-Weltmeister und der insgesamt fünf WM-Gürtel, die auf dem Spiel standen, riesengroß. Doch die zwölf größtenteils spektakulären Runden vor 22.000 begeisterten Zuschauern in der Kingdom Arena – darunter die in Saudi-Arabien angestellten Fußballstars Cristiano Ronaldo und Neymar – erfüllten die Erwartungen komplett. Die historische Dimension durfte an einem solchen Abend nicht fehlen: Usyk kürte sich zum ersten „Undisputed Champion“ seit 25 Jahren. Damals hatte Lennox Lewis alle wichtigsten WM-Titel auf sich vereint. Usyk ist nun sogar Besitzer von vier wichtigen Gürteln der Verbände WBA, WBO, IBF und WBC. Spätestens jetzt ist er in die Riege der ganz großen Boxstars wie Lewis, Muhammad Ali und Mike Tyson aufgenommen.
„Es war eine brillante Nacht für den Boxsport“, sagte Promoter Frank Warren nicht unberechtigt. Die beiden Protagonisten schenkten sich im Ring nichts, doch nach dem letzten Gong behandelten sie sich mit großem Respekt. „Viel Glück, Oleksandr, gut gemacht. Gott segne dich, ein frohes neues Jahr!“, sagte Fury in Richtung von Usyk, der für seinen Widersacher ebenfalls nur lobende Worte übrig hatte. Und alle Boxfans auf der Welt freuten sich schon auf den Rückkampf, eine entsprechende Klausel war nach monatelangen und zähen Verhandlungen in den Vertrag mit aufgenommen worden. Doch kommt es wirklich dazu?
Vor allem bei Fury sollte man diesbezüglich niemals sicher sein. Der exzentrische Brite ruderte schon kurze Zeit nach seiner klaren Revanche-Ansage im Ring wieder zurück. „Ich werde in ein paar Monaten 36 Jahre alt. Ich habe geboxt, seit ich ein Kind war. Also ist es, wie es ist“, sagte Fury, der öffentlich über seinen Rücktritt sinnierte. Es wäre nicht sein erster. „Wo soll das alles enden? Hundert Kämpfe und ein Hirnschaden, in einem Rollstuhl? Ich bin mir nicht sicher“, sagte er. Doch der „Gipsy King“ gab zu, dass er im hochklassigen Duell mit Usyk „wirklich Spaß“ hatte, und das sei für ihn das Wichtigste, um weiterzumachen. „Eines ist sicher, wenn ich den Sport immer noch liebe, dann werde ich es auch weiterhin tun.“ Vor einer endgültigen Entscheidung werde er aber zunächst in den Urlaub fahren, sich erholen und mit seiner Frau und den Kindern besprechen, „und dann sehen, was ich tun will“.
Stolz und Hoffnung für sein Land
Auch der Sieger wollte nach seinem historischen Coup nur noch nach Hause zu seiner Familie. „Ich habe Neujahr verpasst, den Geburtstag meines Sohnes, dann den Geburtstag meines zweiten Sohnes, dann den meiner Tochter, dann die Geburt meiner Tochter“, berichtete Usyk über die Unannehmlichkeiten der Vorbereitung auf den Mega-Fight: „Mein Fokus war nur auf diesem Kampf. Nun bin ich glücklich, zurück nach Hause zu kommen.“ In seiner Heimat Ukraine erwartete den Champion ein triumphaler Empfang. Seinen vom russischen Angriffskrieg gebeutelten Landsleuten hat der Profiboxer Freude, Stolz und auch Hoffnung geschenkt. „Es war eine so große Möglichkeit für mich, für meine Familie und mein Land“, sagte er unmittelbar nach seinem Sieg, den er den ukrainischen Soldaten im Kampf gegen Russland widmete: „Ruhm der Ukraine!“
Von Anfang an war klar, dass Usyk auf einer ganz besonderen Mission unterwegs war. Dass Landsmann und Ex-Weltmeister Wladimir Klitschko am Ring saß und als einer der ersten Gratulanten erschien, war kein Zufall. „Dieser Sieg ist extrem wichtig für uns Ukrainer“, sagte Klitschko: „Jede Nacht und jeden Tag bombardieren uns die Russen mit Raketen und Kamikaze-Drohnen.“ Für den Bruder von Witali Klitschko, früher ebenfalls Schwergewichts-Champion und aktuell Bürgermeister von Kiew, ist Usyks Triumph auch ein Symbol für den Krieg in der Heimat: „Wir werden nicht nur im Boxring kämpfen und einen Sieg erringen, sondern auch in dem sinnlosen Krieg, den Russland begonnen hat.“ Fury deutete in einer ersten Reaktion, ein Opfer genau dieser Symbolik geworden zu sein. Er habe die meisten Runden gewonnen, sagte der Brite bei DAZN, aber Usyks Heimatland befinde sich „im Krieg. Die Menschen sind auf der Seite des Landes, das sich im Krieg befindet.“
Faktisch lässt sich diese steile These nicht belegen. Der WM-Vereinigungskampf war eng, Usyks Sieg aber keinesfalls unberechtigt. Die Wertungen der drei Richter lauteten: 115:112 für Usyk, 114:113 für Fury, 114:113 für Usyk. Beide Boxer starteten abwartend in den Kampf, ehe der exzentrische Fury mit seinen Psycho-Spielchen begann und Usyk damit etwas aus dem Konzept zu bringen schien. Fury spielte zudem seine Reichweitenvorteile clever aus, in der famosen sechsten Runde lief sogar alles für ihn: Er platzierte einen heftigen Uppercut bei Usyk, der den Knock-out aber verhindern konnte. Danach gelang es dem Ukrainer immer besser, in den Infight mit seinem 2,06 Meter großen Widersacher zu kommen – auch, weil sich Furys Kondition sichtlich verschlechterte. In der neunten Runde schützte nur die Ringglocke den „Gipsy King“ vor dem K.o., nachdem er in den Seilen hängend von Usyks Schlaghagel eingedeckt worden war. In der Schlussrunde mobilisierten beide Kämpfer nochmals letzte Kraftreserven und lieferten sich einen spektakulären Schlagabtausch.
Der in 22 Profikämpfen noch unbesiegte Usyk hat damit alles erreicht, was man im Boxen erreichen kann. Als Amateur war der in Simferopol auf der von Russland besetzten Krim geborene Ukrainer Europameister und Olympiasieger, nach seinem Wechsel dominierte er erst das Cruisergewicht als unumstrittener Champion und nun die Königsklasse Schwergewicht. Rein sportlich gesehen kann der 37-Jährige nur noch verlieren, wenn er sich zum Weitermachen entschließt. Doch neben dem vertraglich festgelegten Rückkampf gegen Fury dürfte sich sehr wahrscheinlich noch eine zweite Herausforderung für Usyk auftun: Der Verband IBF dürfte ihm den Gürtel demnächst entziehen, weil er wegen des Fury-Kampfs nicht gegen Pflichtherausforderer Philip Hrgovic antreten konnte. Ein zweiter WM-Vereinigungskampf gegen den Kroaten ist also möglich.
Prominente Zuschauer
Und auch ein deutscher Schwergewichtler macht sich berechtigte Hoffnungen auf ein prestigeträchtiges und lukratives Duell gegen den Super-Champion. Agit Kabayel bestritt in Riad einen Vorkampf – aber nicht irgendeinen. Sein Duell gegen den Kubaner Frank Sanchez war vom Verband WBC als finaler WM-Ausscheidungskampf angesetzt worden. Durch seinen K.-o.-Sieg in der siebten Runde darf der 31 Jahre alte Bochumer auf einen baldigen WM-Kampf hoffen. „Jetzt ist Deutschland wieder auf der Box-Karte. Ich habe die Unterstützung von zu Hause im Ring gespürt. Ich bin so unendlich stolz auf diesen Sieg“, sagte Kabayel nach dem 25. Sieg im 25. und wohl wichtigsten Kampf seiner Karriere.
Der von ihm und Trainer Sükrü Aksu ausgeheckte Kampfplan ging komplett auf. „Ich sollte immer nah an ihm dran sein, das war unser Plan“, verriet Kabayel: „Ich habe gemerkt, dass er mit Druck nicht klarkommt.“ Und dass der bis dahin ungeschlagene Kubaner mit zunehmender Kampfdauer merklich an Kondition einbüßte. „Ab der vierten Runde habe ich ihm richtig wehgetan“. Als Belohnung wurde bei der Sieger-Verkündung im Ring nicht nur sein Arm in die Höhe gehoben, sondern Kabayel bekam auch ein sehr begehrtes Selfie: Noch in der Siegernacht postete er ein Bild von sich und Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo, der den Kampf live am Ring verfolgt hatte. „Er hatte mir schon vor dem Kampf via Instagram viel Glück gewünscht und hat mir dann einfach nur gratuliert und gesagt: Geiler Kampf“, verriet Kabayel über die Begegnung mit dem Portugiesen.
Ein interessierter Beobachter des Deutschen war auch Anthony Joshua, der Kabayel hinterher ebenfalls beglückwünschte. „Absolut krasser Kampf hat er zu mir gesagt“, verriet Kabayel. Joshua, der seit seinen zwei WM-Niederlagen gegen Usyk auf eine neue Chance hofft, den Box-Thron zu erklimmen, dürfte sich Kabayel als nächsten Gegner sicher gut vorstellen können. Doch der hat sich nun als Pflichtherausforderer des WBC-Weltmeisters in Stellung gebracht, der aktuell Usyk heißt. Sollte Fury seine Karriere beenden, könnte Kabayels Traum von einem WM-Kampf noch in diesem Jahr wahr werden. Ansonsten 2025 – sollte Usyk auch die Revanche gegen Fury für sich entscheiden und danach weitermachen. Wie immer gibt es im Profiboxen viele Konjunktive, und nicht selten entscheidet allein das Geld und nicht die Rangliste über die Kampfansetzung. Doch für Spannung ist auch nach dem Schwergewichts-Spektakel in Riad gesorgt.