Eine Kandidatur gegen einen langjährigen Amtsinhaber ist immer eine besondere Herausforderung. Erst recht für eine SPD-Politikerin im Landkreis St. Wendel. Réka Klein will die Überraschung schaffen und neue Landrätin werden.
Frau Klein, Sie treten gegen einen Amtsinhaber an in einem Landkreis, der als CDU-Hochburg bekannt ist. Trotzdem zuversichtlich?
Wir haben in den letzten beiden Wahlen gezeigt, dass St. Wendel tatsächlich auch rot wählen kann (Bundes- und Landtagswahl, Anm. d. Red.) in diesem früher tiefschwarzen Landkreis. Von daher bin ich durchaus optimistisch. Wir machen den Wählerinnen und Wählern ein Angebot und können dabei nur gewinnen.
Welche Schwerpunkte sehen Sie für den Landkreis und für Sie im Fall eines Wahlsiegs?
Ich sehe eine Hauptaufgabe darin, dass wir die gute Struktur, die es im Landkreis gibt, erhalten. St. Wendel hat die größte Ehrenamtsdichte. Um das weiter zu erhalten, braucht es ein Umdenken. Die Gesellschaft hat sich gewandelt, viel mehr Menschen sind berufstätig, die Schulen haben sich gewandelt in Richtung Ganztag. Vereine haben Schwierigkeiten, ihren Platz zu halten. Daran müssen wir arbeiten, dass wir dieses riesige Potenzial erhalten. Wir wollen die Vereine in die Schulen reinnehmen, mit den Vereinen Konzepte entwickeln. Im außerschulischen Bereich der Jugendarbeit wollen wir Familien entlasten, etwa durch Ferienprogramme. Eltern werden dadurch entlastet und Vereine können für sich werben. Das wird beispielsweise in Marpingen mit gutem Erfolg gemacht.
Wirtschaftlich steht der Landkreis ganz ordentlich da, der Tourismus boomt. Ist da möglicherweise sogar eine Grenze erreicht?
Der Tourismus läuft tatsächlich sehr gut, wir sind Spitze bei den Übernachtungen. Ich sehe die Herausforderungen, die mit dieser guten Entwicklung auf uns zukommen, ich sehe aber auch noch sehr viel Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird. Vieles konzentriert sich auf den Bostalsee. Wir können aber auch mit mehr Schwung und guten Konzepten mehr in die Fläche gehen, damit der ganze Landkreis noch mehr profitieren kann. Wir haben ja viele tolle Orte, die Benediktinerabtei (Tholey), die Innenstadt von St. Wendel, die vielen Wanderwege. Hier könnte man mit noch mehr Verflechtung die Entwicklung weitertreiben auch mit anderen Schwerpunkten, wenn sie an die kirchlichen und historischen Orte denken, neben der Abtei, auf die wir stolz sein können.
Der Landkreis verzeichnet die geringste Arbeitslosigkeit aller Kreise im Land. Also alles easy?
Schön wär’s. Es gibt noch viele Baustellen, etwa das Thema Fachkräfte. Es gibt beispielsweise Modelle, um Frauen, die schon länger nicht mehr einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wieder für den Arbeitsmarkt zu gewinnen und in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen.
Inwieweit ist der ziemlich ländliche Kreis vom großen Strukturwandel betroffen?
Ich sehe im Strukturwandel zunächst einmal viele Chancen, wenn wir das auch in die Kommunen transportieren. Wir müssen in allen Bereichen klimapolitische Folgen mitdenken und gleichzeitig Strukturwandel gesellschaftspolitisch sehen. Arbeitsplätze ändern sich, ein Prozess, den man durch Beteiligung und Mitbestimmung gut gestalten kann. Ich denke beispielsweise auch an Bürger- oder Energiegenossenschaften, aber auch an Beteiligungsformate für die Entwicklung des ÖPNV. Wenn wir gute Alternativen zur privaten Nutzung von Pkw aufbauen wollen, müssen wir die Bürger fragen, wie sie sich das vorstellen können.
Und das in einem Landkreis, der mit die höchste Pkw-Dichte hat?
Das ist eine Riesenherausforderung. Wir haben mit die höchste Pkw-Dichte einfach auch deshalb, weil man das Auto braucht. Wir haben durch das Saarlandticket eine Chance gehabt, dass sich Menschen einmal auf den ÖPNV einlassen. Aber es ist für viele ein Umdenken. Ich bin aber überzeugt, dass wir einen Umschwung schaffen können. Die jüngere Generation ist nicht mehr so sehr auf das eigene Auto fixiert.
Als ländliche Region steht der Landkreis auch noch vor anderen Herausforderungen. Was sind aus Ihrer Sicht die dringlichsten Aufgaben?
Eine der großen Herausforderungen ist der demografische Wandel. Altenhilfe ist eine originäre Aufgabe des Kreises. Ich bin überzeugt, dass wir auch da neu denken müssen. Altern heißt nicht nur Altenheim, sondern würdevolles selbstbestimmtes Leben im Alter. Was ich mir vorstelle, sind beispielsweise Seniorenbüros als Anlaufstellen. Ich kann mir auch Modelle vorstellen wie Wohngemeinschaften. Es gibt in den Dörfern viele große Wohnhäuser, wo ältere Menschen zum Teil Probleme haben, die noch zu halten. Umgekehrt haben wir junge Menschen, die Wohnraum suchen. Wir wollen ja auch nicht mehr so viele Neubaugebiete, weil es sonst diesen Donut-Effekt gibt: Alles ist draußen rum, in der Mitte ist nichts mehr. Auch in dieser Hinsicht könnten neue Wohnformen weiterhelfen. Und beim Thema Altern geht es auch sehr viel um Barrieren. Ich könnte mir vorstellen, wenn wir demnächst die Special Olympics hier im Land haben, dass uns das bei Barrierefreiheit weiterbringt: Barrieren sehen und abschaffen, das wäre ein wunderschöner Beitrag zum selbstbestimmtem Leben im Alter. Dazu kommt das Thema Versorgung. Supermärkte am Rande eines Dorfes werden uns nicht viel weiterbringen, wir müssen wieder in die Orte gehen. Auch dafür gibt es schöne Beispiele, die wir weiterentwickeln müssen.
Dazu gehört auch Gesundheitsversorgung. Der klassische Hausarzt auf dem Land wird eher die Ausnahme. Wie soll Versorgung gewährleistet sein?
Zunächst einmal: Das St. Wendeler Krankenhaus bleibt! Ansonsten brauchen wir ein Präventionsangebot, ein neues Bewusstsein für Gesundheit, und ich glaube, die Menschen brauchen Sicherheit. Wir haben ein schönes Modell mit der Dorfschwester im Ostertal. Es geht dabei nicht um medizinische Versorgung, sondern darum, dass es einen Ansprechpartner, eine Kümmererin vor Ort gibt. Natürlich brauchen wir die ärztliche Versorgung im Dorf. Wir sehen jetzt die Entwicklung zu MVZ (Medizinische Versorgungszentren), die das leisten können.
Was würden Sie als Landrätin in der Verwaltung ändern?
Ich will eine Verwaltung mit Vorbildfunktion, die eine gute Arbeitgeberin ist. Wichtig ist, dass wir selber ausbilden. Ich würde auch gerne die Teilzeitverträge überprüfen. Digitalisierung ist natürlich auch ein Thema, ein Stück Strukturwandel. Meine Vorstellung dabei ist, einen hybriden Weg zu gehen. Man muss Menschen, die den digitalen Zugang wollen, die Möglichkeiten bieten, man muss aber auch den anderen den Zugang offenhalten. Das ist im ersten Atemzug natürlich eine Doppelbelastung, aber durch gutes Handling zu managen. Mein Ziel ist Bürgernähe und natürlich gleichzeitig auch, die Prozesse effektiv zu gestalten. Der Landkreis ist auch für Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Meine Vorstellung ist, dass man für den Landkreis einen Kita-Planer macht, wo Eltern sich mit Prioritäten anmelden können und auch Rückmeldungen bekommen. Im Moment ist es so, dass es dabei ein Riesenchaos gibt. Wir brauchen mehr Transparenz und Sicherheit, und das muss über den Landkreis laufen.
Wie beurteilen Sie selbst auf den letzten Metern die Stimmung im Wahlkampf?
Unsere Stimmung ist sehr, sehr gut. Es ist eine Herausforderung, bei den vielen Wahlen, die anstehen, den Menschen zu erklären, um was es geht. Ich bin von tiefem Herzen Demokratin, und deshalb ist auch mit meiner Kandidatur der Wunsch verbunden, vielleicht das Bild von Politik und Politikern etwas zu verändern, dass auch andere Frauen vielleicht Lust haben und sich motiviert fühlen, sich zu engagieren. Dass sich da etwas bewegt, habe ich schon mit meiner Kandidatur für den Landtag gesehen.