Im Kreis St. Wendel bewirbt sich Landrat Udo Recktenwald (CDU) für eine weitere Amtszeit. Aus seiner Sicht hat der Landkreis den Strukturwandel bislang „gut bewältigt“. Schwerpunkte für die nächsten Jahre sieht er in der Weiterentwicklung des Katastrophenschutzes, bei der Digitalisierung und beim Klimaschutz.
Herr Recktenwald, Sie gehen mit einem Amtsbonus in diese Wahl, die politische Lage im Kreis St. Wendel ist bekannt. Also alles klar?
Es ist ja völlig normal, dass ein Amtsinhaber einen Vorteil hat, sofern er gute Arbeit während seiner Amtszeit geleistet hat. Ich glaube schon, dass ich in den letzten 16 Jahren erfolgreiche Arbeit im Landratsamt St. Wendel geleistet habe und vor allem sehr bürgernah unterwegs bin. Nichtsdestotrotz habe ich hohen Respekt vor dieser Wahl. Im Übrigen glaube ich, dass ich gerade in diesen schwierigen Zeiten jemand bin, dem die Menschen aufgrund meiner 30-jährigen Erfahrung in der Kreispolitik vertrauen und auf den sie sich verlassen können.
Wenn Sie selbst Bilanz ziehen: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre?
Wir sind der einwohnerkleinste Kreis im Land, trotzdem haben wir gute Zahlen und den Strukturwandel gut bewältigt. Das liegt aus meiner Sicht an vier Faktoren: Wir haben eine funktionierende Sozialstruktur mit starkem Ehrenamt und Gemeinschaftsgefühl. Dafür tun wir auch was. Wir pflegen das „Wir-Gefühl“. Das Zweite ist die Wirtschaftsstruktur. Wir haben wenige Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten, sondern insbesondere kleine und mittelständische Familienbetriebe, wofür ich sehr dankbar bin. Familienunternehmer fühlen sich ihrem Betrieb, der Region und ihren Beschäftigten gegenüber verantwortlich. Das Dritte ist die politische Stabilität. Damit meine ich nicht nur die CDU-Mehrheit, sondern die Stabilität der demokratischen Mehrheit. Das bringt Zuverlässigkeit. Der vierte Faktor: Mut, neue Wege zu gehen. Wir halten an Bewährtem fest, wenn es gut funktioniert, wir haben aber auch den Mut, innovativ zu sein.
Wo war der Landkreis mutig?
Ich nehme das Thema Tourismus. Als wir den Bostalsee gebaut haben, hat im Saarland kein Mensch über Tourismus geredet. Jetzt haben wir eine Million Übernachtungen, ein Drittel aller Übernachtungen im Land. Oder Digitalisierung und Katastrophenschutz. Wir haben als erster Landkreis ein Katastrophenschutzzentrum eingerichtet, übrigens lange vor der Flutkatastrophe im Ahrtal. Wir sind gut durch die Coronazeit gekommen, auch weil wir funktionierende Strukturen hatten. Es war eine schwierige Zeit, weil wir den Menschen auch viel abverlangt haben. Ich hatte wochenlang mein Büro im Gesundheitsamt, am Schluss habe ich auch die Impfpflicht nicht umgesetzt, da ich nicht eingesehen habe, Pflegekräften ihre Arbeit zu nehmen, nur um ein Gesetz umzusetzen, das dann am Ende des Jahres ausläuft.
Das Verhältnis Landkreis zu Kommunen ist überall ein Thema. Wie kommen Sie im Kreis St. Wendel damit klar?
Entscheidend ist, dass man miteinander redet. Es ist völlig klar, dass die Kommunen mit den Kreisen nicht immer zufrieden sind, weil wir uns über die Kommunen finanzieren müssen. Das sind wir nicht schuld. Aber es ist trotzdem ein Faktum, dass die Gemeinden kaum Bewegungsspielräume haben, um zu investieren – und die Infrastruktur in den Dörfern braucht dringend Investitionen – und wenn sie irgendwo einsparen, kommen wir mit der Kreisumlage. Das ist aber ein Systemproblem. Deshalb müssen wir irgendwann zu einer anderen Finanzierungsgrundlage für die Kreise kommen. Wir müssen in erster Linie soziale Aufgaben erledigen, die wir von oben, insbesondere vom Bund, bekommen, wie etwa der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Der Rechtsanspruch richtet sich gegen uns als Jugendhilfe, aber die Ganztagsplätze bauen müssen die Kommunen. Das ist auch so bei Kitaplätzen. Trotzdem haben wir im Kreis St. Wendel ein gutes Miteinander, weil wir viel zusammen tun. Zum Beispiel haben alle Gemeinden und der Kreis zusammen den Feuerwehrzweckverband auf den Weg gebracht.
Ein großes Thema gerade im ländlichen Raum ist die Gesundheitsversorgung. Ändern sich die Strukturen?
Gesundheit ist absolut ein Riesenthema der Daseinsvorsorge. Wir sind mit dem Krankenhaus in St. Wendel sehr gut aufgestellt, profitieren von mehreren Investitionen wie jetzt mit dem Herzkatheterlabor. Was die stationäre Versorgung betrifft, bin ich im Gespräch mit Bürgermeistern, auch über das Thema ärztliche Versorgungszentren. Das ist eigentlich kommunale Aufgabe. Medizinische Versorgungszentren sind eine Chance, und ich glaube, dass das den heutigen Ansprüchen von Ärztinnen und Ärzten gerecht wird. Den Hausarzt 24/7 gibt es nur noch in Ausnahmefällen.
Ein für St. Wendel markantes Thema ist die Zukunft des Missionshauses. Da gibt es jetzt Perspektiven. Wie realistisch sind die?
Das Missionshaus ist eine Landmarke. Ich bin sehr froh, dass wir es nach vielen Jahren geschafft haben, einen Investor zu finden, der bereit ist, viel Geld in die Hand zu nehmen und das Missionshaus zu erhalten. Es gibt einen Optionsvertrag zum Kauf. Der Investor muss natürlich auch wirtschaftlich rechnen. Es hängt davon ab, ob es ein paar Ankermieter gibt, einen Träger für das Seniorenheim, einen Bildungsträger und in begrenztem Rahmen Wohnbebauung. Es hatten sich auch Bürgerinitiativen gegründet, dafür und dagegen, aber ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit die Pläne als Chance sieht und wir im Dialog die beste Lösung herbeiführen. Die Steyler Missionare sehen das auch selbst als eine gute Lösung.
Was werden Sie im Fall der Wiederwahl in den nächsten Jahren für den Landkreis anpacken?
Ich will in allererster Linie die Arbeit fortführen, denn ich bin überzeugt, dass wir erfolgreich unterwegs sind. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit, eine dynamische Wirtschaftsentwicklung, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, und müssen jetzt eher zusehen, dass wir Fachkräfte bekommen. Im Tourismus haben wir eine sehr gute Entwicklung, am Bostalsee eigentlich all das umgesetzt, was umzusetzen war. Wir haben die Themen Schaumberg, die Stadt St. Wendel und als neues Thema den Nationalpark. Mitten in der Umsetzung ist unsere Digitalisierungsstrategie, die Weiterentwicklung Katastrophenschutz, dazu Klimaschutz. Wir haben schon vor Fukushima ein Klimaschutzkonzept entwickelt. Da haben wir noch viel zu tun. Das ist im ländlichen Raum eine Herausforderung. Beim Thema Strom sind wir gut aufgestellt, bei Wärme weiß man im Moment nicht genau, wo die Reise hingeht, und beim Verkehr sind wir einer der Landkreise mit der höchsten Pkw-Dichte bundesweit. Wir tun, was wir tun können im ÖPNV. Aber im ländlichen Raum kriegt man die Flexibilität des eigenen Autos nicht ersetzt.
Die gesellschaftliche Stimmung hat sich verändert, Angriffe gegen Wahlkämpfer oder auch Einsatzkräfte sorgen immer öfter für Schlagzeilen. Wie nehmen Sie die Entwicklung wahr?
Man spürt schon, dass sich etwas geändert hat. Der Umgang miteinander, das Vertrauen in „den Staat“ hat gelitten. Als Landkreis sind wir kein Gesetzgeber, müssen aber mit den Menschen vor Ort auch das, was teilweise nicht so positiv gesehen wird, umsetzen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat gelitten, manche setzen sich ganz von der Demokratie ab. Deshalb geht es darum, Demokratie wieder zu stärken. Viele Menschen sind unzufrieden mit der Politik, und diese Unzufriedenheit überträgt sich. Da hilft es, mit den Leuten vor Ort zu reden, und sich um die Sorgen zu kümmern. Auch wenn man nicht alles lösen kann, muss man die Anliegen der Menschen ernst nehmen, und am Schluss aber auch klar entscheiden. Man kann die Menschen nur zurückgewinnen durch gute Politik. Das ist nicht immer einfach, ist auch der unbequemere, aber wie ich glaube, der richtige Weg.