Scholz und Macron müssen sich im Ukraine-Krieg besser abstimmen
Manchmal sind Staatbesuche politische Festspiele. Es wird gefeiert, inszeniert. Es gibt Umarmungen und zukunftsweisende Reden. Die dreitägige Visite des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Deutschland fällt in diese Kategorie. Beim Demokratiefest zu 75 Jahren Grundgesetz am Sonntag ist Macron der einzige ausländische Spitzenpolitiker. Das Staatsbankett im Schloss Bellevue mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist die große Bühne für die Feier der deutsch-französischen Freundschaft.
Doch die Polit-Lyrik der bilateralen Harmonie kann nicht darüber hinwegtäuschen: In zentralen Fragen ziehen Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht an einem Strang. So predigt Macron eine größere europäische Autonomie mit eigener Verteidigungsstrategie. Scholz hingegen hält an seiner transatlantischen Orientierung fest.
Beim Umgang mit den Dumpingpreisen chinesischer Unternehmen, die viele Milliarden Euro Subventionen kassieren, plädiert der Franzose für härtere Bandagen. So fordert er Importzölle auf Elektroautos aus Fernost. Der Kanzler bremst hingegen, weil er das China-Geschäft deutscher Konzerne wie VW oder BASF nicht gefährden will.
Macron ist in der Frage der militärischen Ausrüstung der Ukraine offensiver als Scholz. Der spricht sich zwar für maximale Unterstützung aus, aber – salopp formuliert – mit angezogener Handbremse. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine, das stimmt. Doch der Kanzler baut immer wieder „rote Linien“ ein.
So wird derzeit im Westen die drückende militärische Überlegenheit der Russen im Ukraine-Krieg mit Sorge betrachtet. Den Ukrainern stehen wegen des eklatanten Mangels an Luftabwehrsystemen und Munition schwere Wochen bevor, bis die von Amerika und Europa zugesagten Waffenpakete eintreffen. Vor diesem Hintergrund schlägt der Grünen-Politiker Anton Hofreiter nun vor, der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen für Ziele auf russischem Territorium zu erlauben. US-Außenminister Antony Blinken soll dies ebenfalls befürworten, wie auch die Briten.
Scholz lehnt dies vehement ab. Er befürchtet eine Eskalation des Ukraine-Kriegs und die Gefahr, dass die Nato Kriegspartei werde. Mit dem gleichen Argument sperrt er sich gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Die Waffen müssten von Bundeswehrsoldaten programmiert werden, ergo Deutschland Kriegspartei.
Diese Zurückhaltung ist bei Macron nicht zu spüren. Frankreich verschickt bereits seit Wochen Scalp-Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 250 Kilometern in die Ukraine. Dass der Präsident und der Kanzler hier unterschiedlich ticken, zeigt sich bereits an der Zielsetzung. Macron sagt: Die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, Russland müsse verlieren. Beim Kanzler heißt es: Die Ukraine dürfe nicht verlieren. Das lässt mehr Spielraum für Kompromisse, die es Russen und Ukrainern eines fernen Tages erlauben könnten, gesichtswahrend aus dem Krieg herauszukommen.
Macron ging sogar so weit, die Entsendung von Nato-Bodentruppen in die Ukraine ins Spiel zu bringen. Ein Vorschlag, der jetzt auch vom CDU-Verteidigungsexperten Roderich Kiesewetter aufgegriffen wurde. Der französische Präsident denkt jedoch nicht an einen aktuellen Truppeneinsatz der Nato. Für ihn ist allein die Drohung damit ein Mittel, Russland von einem breiten Vormarsch in der Ukraine abzuschrecken. Kremlchef Wladimir soll im Unklaren gelassen werden, ob das westliche Bündnis im Ernstfall eingreift oder nicht.
Dass Macron den Vorstoß ohne Abstimmung in der Allianz öffentlich gemacht hat, ist ebenso kontraproduktiv wie Scholz’ demonstratives Nein. Putin kann sich über den Dissens freuen, denn es bestärkt ihn in seiner Politik der Spaltung des Westens. Eine Vorab-Koordinierung hinter verschlossenen Türen wäre hilfreicher gewesen.
Wenn Russland von künftigen Aggressionen abgehalten werden soll, ist die Geschlossenheit des Westens unverzichtbar. Das gilt vor allem mit Blick auf Deutschland und Frankreich, die Antriebskräfte der EU. Scholz und Macron müssen ihren strategischen Schulterschluss inhaltlich sichtbarer machen. In Zeiten, in denen der Ukraine-Krieg eine existenzielle Bedrohung für Europa darstellt, ist dies wichtiger denn je. Deutsch-französische Festspiele allein reichen nicht.