Bei „Cocolo Ramen“ kann man hausgemachte japanische Nudelsuppen genießen. Wir haben uns einmal durch ein paar Brühen aus dem Land der aufgehenden Sonne geschlürft.
Wenn man als Europäerin schon einmal gesehen hat, wie geschickt so manche Asiaten Suppe essen, kann frau doch etwas neidisch werden. Während die eine Hand das Schüsselchen gerade einmal sanft berührt, taucht die andere mit zwei Stäbchen zielgenau in die Brühe, hebt ein paar Nudeln empor und schiebt sie locker leicht in den Mund. Da fällt nichts herunter, und da platscht auch nichts!

Nicht ganz so elegant sieht es bei meiner Begleiterin und mir aus. Zwar sind auch wir beiden mit der Stäbchentechnik durchaus etwas vertraut. Aber eben nur etwas. Anders als unsere asiatischen Brüder und Schwestern sind wir nicht von Kindesbeinen an mit dem Stäbchenessen aufgewachsen. Und so scheitern wir auch bei dem Versuch, eine Ramen-Suppe mit Stäbchen vollkommen kleckerfrei zu verzehren. Möglicherweise war es auch einfach zu optimistisch, sich mit einem blütenweißen T-Shirt in kulinarische Abenteuer aus dem Land der aufgehenden Sonne zu stürzen. Trotzdem: Das Stäbchengestochere bei „Cocolo Ramen“ war jeden einzelnen Fleck auf unserer Kleidung wert.
Die Location der japanischen Suppen-Bar liegt im Graefe-Kiez und damit in jener beliebten Gegend, wo Kreuzberg und Neukölln ihre geografischen Schnittmengen haben – Neuberlinerisch könnte man auch einfach Kreuzkölln sagen. Ursprünglich hatte der Inhaber The Duc Ngo seine Kreuzberger Ramen-Bar noch am Paul-Linke-Ufer, bis er 2018 mit den Räumlichkeiten an die Graefestraße zog. Das Lokal ist eines von mehreren im The-Duc-Ngo-Imperium. Der Berliner Gastronomie-Unternehmer und Koch mit chinesischen und vietnamesischen Wurzeln hat mit dem „Kuchi“ sein erstes Restaurant im Jahr 1999 eröffnet. Weitere Restaurants in der Spree-Metropole sowie ein zusätzliches in Frankfurt am Main sollten folgen.

Das 2007 eröffnete „Cocolo Ramen“ zählt zu den ersten Restaurants in der deutschen Kapitale, die sich original japanischen Ramen auf die Fahnen geschrieben haben. Die Nudelsuppenköstlichkeiten aus dem Hause „Cocolo Ramen“ gibt es gleich im Doppelpack: Einmal an der Gipsstraße in Berlin-Mitte und ein weiteres Mal an der Graefestraße in Kreuzberg.
Es ist die Kreuzberger Dependance, in der meine Begleiterin, der Fotograf und ich an diesem Nachmittag einkehren. Wir lassen uns in einer Ecke an einem der dunkelbraunen Holztische zwischen rohem Mauerwerk und unter selbstgemachten Lampen aus Kaffeefiltern nieder. Von dort aus können wir hinter einer Glasscheibe beobachten, wie einer der Köche geschickt mit einer breiten Teigmasse zwischen zwei großen Walzen hantiert. „Die Nudelmaschine haben wir aus Tokio importiert“, erläutert uns unser Gastgeber Yosuke Sumida. Der Restaurantleiter und Küchenchef kennt sich aus. Seit 15 Jahren ist der Deutsch-Japaner in der Gastronomie tätig und hat schon in Düsseldorf und in Frankfurt am Main Ramen-Läden geführt.

Der zugewandte Küchenchef erklärt uns erst einmal die Namensherkunft des Restaurants. „Das japanische Wort Cocolo heißt: von Herzen“, erzählt der 47-Jährige. Eine Herzensangelegenheit sind auch die hausgemachten Suppenbrühen, die hier goutiert werden. Sie sind die Seele jedes Ramengerichtes. Dazu führt mich Herr Sumida kurz in die Küche, wo ich einen Blick in die kochenden Töpfe werfen darf. Das dampfende, transparente Etwas im ersten Topf ist Shio, eine japanische Salzbrühe, die bei „Cocolo Ramen“ auf pochiertem Hühnerfleisch basiert. Daneben reihen sich weitere Gefäße mit Flüssigem und Zähflüssigem ein wie unter anderem ein Topf mit karamellfarbener, fermentierter Sojabohnenpaste.
Ramen selbst kommen aus China
Unter einem der anderen Deckel brodelt eine dicke, cremeweiße Brühe: Tonkotsu. Das ist der japanische Begriff für Schweineknochen. „Um den Schweinegeschmack aus den Knochen zu lösen, muss diese Suppe auf hoher Temperatur mindestens vier Stunden lang gekocht werden“, erklärt mir der Küchenchef. Die einzelnen Bouillons spiegeln die regionalen Gegebenheiten der Inselnation wider. „Shoyu Ramen ist in Tokio sehr beliebt“, weiß der Gastronom. Miso- und Shio-Suppe würden gern auf der südlichen Insel gegessen, während Tonkotsu im nördlichen Hokkaido sehr populär sei. „In dieser Gegend gibt es auch viele Schweine“, erläutert Yosuke Sumida.

Ramen selbst kommen originär nicht aus Japan, sondern ursprünglich aus China. Auch der Begriff Ramen ist ein chinesisches Lehnwort, das in die japanische Sprache Einzug hielt. Es ist dem Wort „lamian” aus dem Mandarin entlehnt, was auf Deutsch so viel wie „gezogene Nudeln” bedeutet. Anders als in China werden die Nudeln für die japanischen Ramen aber nicht gezogen, sondern geschnitten, erklärt uns der Kreuzberger Ramen-Experte.
Nach Recherchen von Historikern sollen chinesische Einwanderer das Nudelgericht bereits in den 1880er-Jahren in die japanische Stadt Yokohama gebracht haben. Eine Zeitlang nannte man die Nudelsuppenspeise in Japan auch „Shina Soba“, bevor das Gericht in „Ramen” unbenannt wurde. Während man in China Gebratenes mit den Nudeln mischte, sei das Konzept in Japan ein anderes gewesen, erklärt uns Yosuke Sumida. „In Japan waren die Nudeln ein Streetfood-Gericht, und man hatte nur einen Topf“, sagt der Küchenchef. So mussten die Zutaten vorab schon zubereitet werden, wie etwa Eier, die vorher gekocht wurden.

In der Tat sind es auch die weiteren Zutaten, die die japanische Brühe zu einem vollmundigen Geschmackserlebnis werden lassen. Mit in der Brühe sind noch getrocknete Nori-Blätter, verschiedene Öle und Butter sowie der japanische Reiswein Mirin. Hinzu kommen je nach Gusto und Variante ein gekochtes Ei, verschiedene Pilz- und Gemüsesorten sowie wahlweise Hühnchen, Schweinefleisch oder Tofu. Die Varianten der hocharomatisch und gut sättigenden Suppe sind vielfältig. Dabei dürften je nach Option sowohl passionierte Fleischliebhaber als auche Vegetarier und Veganer auf ihre Kosten kommen.
Nussig-Malziger Reistee
Die Palette unserer Vorspeisen an diesem Nachmittag ist sowohl gemüsig als auch fleischig. Vor uns liegen ein paar handgetöpferte Schälchen mit feinen Appetithäppchen wie zum Beispiel Gyoza mit Schweinefleischfüllung und Karaage. Letzteres sind krosse Teilchen aus frittiertem, mariniertem Hühnchen an einer hocharomatischen Mayonnaise mit Chili samt schwarzen und weißen Sesamsamen. Für die Verzückung unserer Gaumen sorgt auch der Spinat mit Sojasoße und Sesamöl. „Da könnte ich mich reinlegen“, schwärmt meine Begleiterin voller Begeisterung.
Mir hat es zudem der Reistee angetan. Das aus gerösteten Reiskörnern gemachte Getränk schmeckt mit seinen nussig-malzigen Aromen ganz wie ein Genmaicha. Doch anders als die japanische Grünteemischung kommt der Reistee hier ganz ohne Zugabe von Grünteeblättern aus. Also kein Muntermacher und damit perfekt auch für den späteren Abend geeignet. Sehr erfrischend kommt das populäre japanische Milchmischgetränk Calpico daher. Hier in der Ramen-Bar ist der Drink hausgemacht und besteht aus Joghurt, Zitrone und etwas Zucker.
Bei den Hauptgängen bevorzugen meine Begleiterin und der Fotograf Fleischiges: Er wählt ein Schüsselchen Tonkotsu mit Schweinebauch, Ei und Mu-Err-Pilzen. Sie entscheidet sich für eine mit Sojasoße verfeinerte Shoyu mit pochiertem Schwein und Gemüsigem. Sichtbar und hörbar zufrieden schlemmen die beiden vor sich hin, während ich mit der Ramen-Suppe auf hausgemachter Misobasis vorliebnehme. Auch ich bin schließlich satt und glücklich nach dem Genuss der vegetarischen Option mit wachsweich gekochtem Ei, Aubergine, Pak Choi, Mais und weiteren Gemüsegenüssen.
Am Ende erfahre ich noch, wie man Ramen richtig mit Stäbchen isst. Eine Anleitung dazu gibt es nämlich in einer Szene der japanischen Filmkomödie „Tampopo – Magische Nudeln“ aus den 1980er-Jahren. Mein Fazit: Es darf auch geschlürft und gekleckert werden! Hauptsache man isst die Nudelsuppe mit viel Liebe, Respekt und Achtsamkeit.