Dass sich Billie Eilish nicht darauf verlässt, die etwa 44 Minuten Laufzeit ihres neuen Albums nur hauchend vorzutragen, überzeugt. Ähnlich wie in ihrem ziemlich famosen Bond-Song „No Time to Die“ lässt sie ihrem Volumen in „The Greatest“ nach einem feinen kompositorischen Aufbau freien Lauf. Ein wunderbarer Kontrast zu den sarkastischen Lyrics über unerwiderten Einsatz innerhalb einer Beziehung. „Hit me soft and hard“ eben – triff mich sanft und hart. So heißt das dritte Studioalbum der Kalifonierin. Wo die schlüpfrige Vorabsingle „Lunch“ mit dem treibenden Bass und der gehauchten wie rotzigen Strophe noch in Tradition von „Bad Guy“ steht, nimmt das Album etwa ab der Hälfte der zehn Songs eine Wendung.
Mitten in Lied Nummer sechs, „The Greatest“, scheint die Rhythmussektion auszubrechen und entlädt sich in einem gitarrenlastigen Crescendo, bevor die Stimme fragil zum Ausgang begleitet. „L’Amour de ma vie“ kommt danach so abgeklärt als Powerballade daher, dass man der 23-Jährigen für das bereits Erreichte auf die Schulter klopfen möchte. Zum Glück haben sie und ihr Bruder noch immer Lust auf Experimente, und so schraubt sich „Die Liebe meines Lebens“ nach rund drei Minuten zu einem Elektro-Bastard hoch, dass man nicht weiß, ob man wegen des übermäßigen Einsatzes von Auto-Tune lachen oder weiterschalten soll. Liebe ist halt verwirrend.
„Bittersuite“ macht seinem Namen alle Ehre und gibt in rund fünf Minuten drei Songs wieder. Auch der Abschluss „Blue“ überzeugt mit Dynamik. Generell sind mehr E-Gitarren sowie deutlich mehr Schlagzeug und Streicher zu hören, was den Eilish-Kosmos hörbar bereichert. Gerade auf der ersten Hälfte gibt es immer wieder diese schönen Pop-Perlen wie „Birds of a feather“ oder die anrührende Ballade „Wildflower“ mit der angenehm zurückhaltenden Akustikgitarre.
Wo Taylor Swift im ewig gleichen Takt mit der ewig gleichen Rhythmik dahin plätschert, fordern Eilish und ihr Bruder Finneas die Hörer heraus. Mit dem neuen Album liefern die Geschwister wieder den Beweis ab, zumindest in musikalischer Hinsicht die größeren Popstars des Planeten zu sein.