In diesen Sommer beenden einige ungewöhnliche Fußball-Profis ihre Karrieren. Der berühmteste von ihnen ist Toni Kroos, doch auch viele andere sind in ihren Vereinen Ikonen geworden.
Wer das Champions-League-Finale erreicht und danach als Mittelfeld-Chef den viermaligen Weltmeister Deutschland bei der Heim-EM anführt, ist eigentlich zu gut zum Aufhören. Sollte man meinen. Ist eigentlich auch so. Aber Toni Kroos wird nach der EM trotzdem seine Karriere als Fußball-Profi beenden. Warum? Weil Toni Kroos nicht langsam aufs Abstellgleis geschoben werden will. Weil er selbstbestimmt und auf einem Höhepunkt aufhören will. Weil er kein Gnadenbrot haben will. Und ganz sicher auch niemand ist, der seine Karriere in Saudi-Arabien oder den USA ausklingen lässt. Und mal ehrlich: So schlecht klingt es doch gar nicht, seine Karriere beim größten Verein der Welt nach zehn Jahren mit einem Champions-League-Finale zu beenden. Und bei der Nationalmannschaft, in die man drei Jahre nach einem Rücktritt als oft Verkannter zurückgeholt und überall gefeiert wurde, als Weltmeister mit einer Heim-EM.
„Ich habe da lange drüber nachgedacht, sehr sehr lange“, sagte Kroos, als er seine Entscheidung im von ihm mit Bruder Felix betriebenen Podcast „Einfach mal luppen“ mit „Gänsehaut“ verkündete. Er habe „immer auf dem Höhepunkt meines Schaffens“ aufhören wollen: „Ich wollte nie, dass die Leute mir sagen müssen, jetzt reicht‘s. Ich freue mich auf eine Zeit von mehr Selbstbestimmtheit.“
Auf dem Höhepunkt aufhören
Das sei „eine clevere Entscheidung. Wie immer in seiner Karriere“, sagte Bayer Leverkusens Meister-Trainer Xabi Alonso, der seine Weltkarriere mit 35 einst ebenfalls beendete, als ihn manche noch zum Weitermachen überreden wollten. Kroos hätte sicher noch zwei, drei Jahre spielen können. Aber er wollte es nicht. Obwohl er fit ist. Oder wie Bundestrainer Julian Nagelsmann kürzlich sagte. „Wenn man Toni Kroos umarmt, trotzdem, dass er nicht mehr 20 ist, der ist wie Stahl! Unfassbarer Körper, nach wie vor!“
Damit endet im Sommer eine ungewöhnliche Karriere. Zweifellos ist Toni Kroos einer der besten Fußballer, die Deutschland je hatte. Für manche sogar der beste. Schon vor dem Finale gegen Borussia Dortmund in London war er auf jeden Fall der deutsche Profi, der mit Abstand am häufigsten die Champions League gewonnen hat. Fünfmal nämlich. 2013 mit dem FC Bayern München, 2016, 2017, 2018 und 2022 mit Real Madrid.
„Dieser Club ist sein Zuhause“
Und doch war er oft auch ein Unverstandener, ein Verkannter. Bei den Bayern ging er nach der WM 2014, wo er beim legendären 7:1 im Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien der beste in einer überragenden Mannschaft war, im Unfrieden. Angeblich hatte Kroos für eine Vertragsverlängerung dasselbe Gehalt gefordert wie Teamkollege Mario Götze. Wie Kroos-Freund Stefan Rei- nartz mal erzählte, habe Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ihm nur die Hälfte geboten, „weil du kein Weltklasse-Spieler bist“. Viele missverstanden auch das taktische Genie von Kroos, der den Gegner mit genauen und scharfen Pässen zermürbte, ehe er ihn mit einem Ball in die Spitze sezierte, und nannten ihn „Querpass-Toni“.
Alles Quatsch. Bei den Königlichen zeigte er, wie weltklasse er ist. Und wurde auch entsprechend geschätzt. „Toni ist einer der großen Spieler in der Geschichte von Real Madrid“, sagte Real-Präsident Florentino Pérez zum Abschied: „Dieser Club ist sein Zuhause und wird es immer sein.“ Auch für Nagelsmann war es offenbar unfassbar, wie ein solcher Spieler nicht zur Nationalmannschaft gehören kann. Also holte er ihn nach knapp drei Jahren zurück und formte den Umbau des Teams gleich um ihn herum. Schon in seinen beiden ersten Spielen nach dem Comeback war Kroos wie bei Real das Scharnier des Spiels und der Anker für viele junge Kollegen.
Es bleibt spannend, was noch kommen wird im Leben dieses eigenwilligen, aber doch immer straighten Toni Kroos. Den Fußball hat er zwar immer geliebt und wird er auch immer lieben, dennoch erscheint schwer vorstellbar, dass er in diesem Geschäft weiter ein Protagonist an vorderster Front sein wird wie zum Beispiel als Trainer. Dafür braucht er das Geschäft abseits des Spiels zu wenig, ist zu sehr Familien-Mensch und hat zu viele andere Interessen.
Wie Kroos, so beendeten ein, zwei oder drei Stufen darunter, gleich zahlreiche Spieler Mitte 30 ihre Karrieren. Bei ihnen sind sie schon vorbei. Sie alle waren nicht mehr so fit oder so gut, dass sie noch bei der EM dabei wären. Die meisten von ihnen waren auch in guten Zeiten weit davon entfernt. Dennoch haben diese sieben Abschiede Mitte Mai für Gänsehaut bei Beteiligten wie auch bei den Fans gesorgt. Weil es entweder ungewohnt vereinstreue Spieler waren oder welche mit ungewohnter Karriere.
Nehmen wir zum Beispiel Sebastian Rode. Der in der Nähe von Darmstadt geborene Mittelfeldspieler hat je zwei Jahre für die Großclubs FC Bayern und Borussia Dortmund gespielt. Doch eine Ikone wurde er bei Eintracht Frankfurt. Von 2010 bis 2014 und nochmal von 2019 bis 2024 spielte er insgesamt neun Jahre für die Hessen. Er war der volksnahe „Seppl“ und der Kapitän jener Mannschaft, die 2022 die Europa League gewann. Er selbst spielte im Finale nach einer Kopfverletzung blutverschmiert mit einem Turban. Das habe sich „wenigstens rentiert“, sagte der 33-Jährige nun: „Auch wenn die Narbe auf der Stirn nicht schön ist und Kinder, die mich anschauen, fragen: ‚Ist das die Narbe aus dem Finale?‘ Die Geschichte war halt wie im Film und passt perfekt zu meinem Leben.“
Rode bekam einen tränenreichen und bewegenden Abschied bei der Eintracht, und es machte ihm nichts aus, dass er ihn teilen musste. Teilen mit Makoto Hasebe. Der Japaner wechselte 2014 nach Stationen in Wolfsburg und Nürnberg nach Frankfurt. Damals war er schon 30. Drei, vier gute Jahre könne er wohl noch haben, dachten viele. Hasebe blieb zehn Jahre. Und nun beim Karriere-Ende ist er 40. Der Defensivspieler mit dem schönen Spitznamen „Hase“ geht als der älteste Spieler, der je für Frankfurt im Einsatz war. Nur vier Feldspieler in der Bundesliga waren älter. Wie Rode sei er eine „Legende“ sagte Vereins-Präsident Mathias Beck: „Ihr habt den Adler im Herzen.“
Die Raute im Herzen haben zweifellos Patrick Herrmann (33) und Tony Jantschke (34). Jantschke spielte 18 Jahre für Borussia Mönchengladbach, Herrmann 16. Beide kamen einst in den „Fohlen-Stall“, die Nachwuchs-Akademie, wurden zu Profis und verbrachten ihre gesamte Karriere bei den Gladbachern. Obwohl es vor allem für den zweimaligen Nationalspieler Herrmann immer mal wieder verlockende Angebote gab. Der Abschied von beiden wurde tränenreich. „Die Gefühle haben bei mir komplett verrückt gespielt“, sagte der Saarländer Herrmann: „Mal war ich nachdenklich, dann voller Euphorie. Mal traurig, dass es jetzt zu Ende geht, dann einfach nur glücklich und dankbar für diese wundervolle Zeit. Es waren heute wieder so viele Augenblicke dabei, die man erstmal verdauen muss.“ Beide bleiben, natürlich, im Verein. Herrmann wird in der Sponsoring-Abteilung arbeiten, Jantschke sich als Teil des Trainerteams um die Top-Talente im Profikader und im Nachwuchsleistungszentrum kümmern.
So vereinstreu wie diese beiden war ihr langjähriger Vereinskollege Lars Stindl nicht. Was daran lag, dass er seinem Herzensclub Karlsruher SC irgendwann entwuchs. Denn während der KSC meist in der 2. Liga spielte, erlebte Stindl in fünf Jahren Hannover die beste Zeit des Clubs mit Europa-Teilnahmen und auch in acht Jahren bei Gladbach, die meiste Zeit als Kapitän, magische Nächte in der Champions League. Doch im Gegensatz zu vielen anderen hielt der in Speyer geborene Stindl Wort und kehrte mit fast 35 noch mal für ein Jahr zum KSC zurück. Erst dann konnte er seine Karriere beruhigt beenden.
Ein echter Wandervogel wurde in seiner Karriere Simon Terodde. In Duisburg zum Profi geworden, spielte er danach für Düsseldorf, Köln, Union Berlin, Bochum, Stuttgart, noch mal Köln, den HSV und Schalke. Ihm haftete immer das Klischee an, zu gut für die 2., aber nicht gut genug für die 1. Liga gewesen zu sein. Doch die 2. Liga prägte er wie kein anderer. Vier Aufstiege mit vier verschiedenen Vereinen, viermal Torschützenkönig, Rekordschütze der Liga und als Knipser mit leidenschaftlicher Spielweise eigentlich überall Publikumsliebling. „Weiche Knie“ habe er bei seinem Abschied gehabt, sagte der 36-Jährige. Vielen Fans ging es genauso.
13 Jahre Vereinstreue
Und in dieser Liste muss auch noch ein Spieler gewürdigt werden, der sich in der 3. Liga verabschiedete. Denn Fabian Klos spielte 13 Jahre für Arminia Bielefeld, schoss den Club von der 3. in die 1. Liga und begleitete ihn wieder zurück. Und hatte eine höchst ungewöhnliche Karriere. Noch im Seniorenbereich spielte er in der Kreisliga, erst mit 24 wurde er Profi. „Meine Jugend war überragend“, sagte er mal in einem „11Freunde“-Interview: „Spätestens ab Dienstag ging es darum, auf welche Feier wir am Wochenende gehen. Freitags nach dem Training dann Party in der Kabine.“ Er schaffte es dennoch nach ganz oben und wird bei seinem Club hymnisch verehrt. Vor zwei Jahren kündigte er schon seinen Rücktritt an, auch im letzten Jahr wollte er aufhören. Zwei Abstiege kamen dazwischen. So wollte er nicht gehen. Nun, mit 36 geht es nicht mehr. Passenderweise verhinderte die Arminia in seinem letzten Heimspiel zumindest den dritten Abstieg in Folge. Rekordtorjäger Klos wurde zum Ehrenspielführer ernannt und rief tränenüberströmt den Fans zu: „Alles, was ich gemacht habe, habe ich nicht für das Geld, sondern in erster Linie für die Fans und den Verein gemacht.“