Der Hamburger SV wird erneut Vierter, doch so wirklich interessiert es niemanden mehr. Selbst die eigenen Leute nicht – so schien es zumindest. Jetzt ersetzt Stefan Kuntz den gescheiterten Jonas Boldt.
Der letzte Spieltag der Zweiten Liga ist in vollem Gange, und für den Hamburger SV geht es mal wieder um nichts. Um den HSV steht es sogar so schlecht, dass der lauteste Jubel aufbrandete als das Halbzeitergebnis des FC St. Pauli auf der Leinwand verkündet wurde. Der bereits aufgestiegene Stadt-Rivale lag am letzten Spieltag mit 0:1 in der Halbzeit zurück – das war für den HSV-Fan das absolute Highlight an diesem Tag – irgendwie peinlich. Vor allem, weil die Kiezkicker in der zweiten Halbzeit das Spiel drehten und letztendlich doch Meister wurden. Mit einem viel kleineren Etat als der HSV, in einer beeindruckenden Weise. Aber ein Rückstand in der Halbzeit, während es für den eigenen Club um nichts mehr gehr und eine weitere Saison in der Zweiten Liga bevorsteht? Naja – wenigstens etwas zum Jubeln.
Nur ein Puzzleteil für den vergeigten Aufstieg
Denn die wirklich großen Leistungen blieben auch in dieser Saison erneut aus. Sicher, der HSV hat den Aufstieg des FC St. Pauli im Volksparkstadion verhindert, das hat die Nordtribüne dann aber auch ordentlich abgefeiert. Nur damit die eigene Truppe eine Woche später gegen den SC Paderborn die letzte Resthoffnung auf den Relegationsplatz vergeigte. Doch dabei hat der HSV den Aufstieg schon früher verspielt. Wahrscheinlich bei den Niederlagen gegen den VfL Osnabrück und die SV Elversberg oder gegen harmlose aber effektive Kieler – es gibt genügend Knackpunkte in dieser Saison, die man dafür auswählen kann. Die große Wut bei den Fans? Fehlanzeige. Das große Beben im Verein? Nicht ganz. Die Stimmung im Volksparkstadion ist irgendwie ruhiger geworden. Als Tabellenvierter und nach einer Niederlage vor der Kurve feiern lassen? Vor ein paar Jahren undenkbar – mittlerweile Normalzustand. Passend dazu jubelte Jonas Boldt vor ein paar Wochen nach dem 2:2-Ausgleich gegen Magdeburg mit der ausgestreckten Faust in die Kamera, als hätte er gerade mit seinem Klub die deutsche Meisterschaft gewonnen. Dabei war dieser eine Punkt ein weiteres Puzzleteil für den vergeigten Aufstieg – viel zu wenig. Es scheint als würde man sich in Hamburg nun eben über das freuen, was einem vor die Füße fällt.
Großen Anteil daran hat Jonas Boldt, mit einer durchaus dürftigen Bilanz. Fünf Jahre lang versuchte der studierte Wirtschaftswissenschaftler den Dino wieder in die Bundesliga zu heben, ohne jeglichen Erfolg. Dieter Hecking, Daniel Thioune, Tim Walter und Steffen Baumgart hießen die Trainer, die es versuchen durften und durch die Reihe scheiterten oder schon vor dem Scheitern geschasst wurden. Lustigerweise überflügelte Thioune mit seinem neuen Club aus Düsseldorf den HSV und spielt selbst die Relegation um den Aufstieg. Boldt verschliss dabei nicht nur massenhaft Trainer, sondern versenkte auch mehr als 20 Millionen Euro in Transfers und üppigen Gehältern. Tim Walter scheiterte zweimal in der Relegation und durfte es dann ein drittes Mal probieren. Er stand auf dem dritten Platz als er entlassen wurde. Es kam Baumgart, und am Ende war es der vierte Platz. Wie so oft. Boldt ist sicherlich nicht alleine verantwortlich für das Scheitern, aber er ist ein Hauptakteur. Sicherlich hat er auch gute Dinge angeleiert. Aus dem Verein heraus heißt es, dass er die Geschäftsstelle geheilt hat und es zum Schulterschluss mit den Fans kam. Die forderten immer wieder eine gewisse Konstanz im Verein. Die hat der HSV geliefert. Konstant wurden Ziele verfehlt und dann komische Personalentscheidungen getroffen – oder gar keine getroffen. Sicherlich wünscht sich niemand den Schleudersitz zurück, aber teilweise verhielt sich der Verein fahrlässig. Auch deshalb war Boldt zum Ende der Saison noch recht zuversichtlich, einen weiteren Versuch starten zu dürfen. Doch irgendwie kam der Aufsichtsrat dann doch zur Besinnung, entband Boldt von seinen Aufgaben und machte Stefan Kuntz zum Boss.
Signale aus dem Aufsichtsrat
Am vergangenen Donnerstag traf sich der Aufsichtsrat des HSV mit dem Europameister von 1996 in Hamburg und war schnell überzeugt, den idealen Kandidaten gefunden zu haben. Interessant: Im Dezember wurde der 61-Jährige, der bis Herbst 2023 Trainer der türkischen Nationalmannschaft war, von Boldt kontaktiert, um möglicherweise Tim Walter zu ersetzen. Kuntz lehnte jedoch ab. Nun nahm er das Angebot für den Posten des Sportvorstandes an. Am Dienstag machte der Aufsichtsrat ernst und entband Boldt, dessen Vertrag noch bis 2025 lief, von seinen Aufgaben – eine konsequente Entscheidung nach fünf erfolglosen Versuchen, den Aufstieg in die Bundesliga zu schaffen. Denn es ist klar: Boldt und der HSV scheiterten nicht an finanziellen Möglichkeiten, sondern vor allem an sich selbst. Dies räumte der 42-Jährige am Pfingstsonntag ungewöhnlich selbstkritisch ein: „Wenn man sich unsere Saison ansieht, gibt es sicher keinen Bereich, den man nicht genauer betrachten sollte. Das fängt ganz oben an und zieht sich durch andere Bereiche.“
Boldt äußerte diese selbstkritischen Worte jedoch im festen Glauben, weiterhin Teil des Führungsteams zu sein und von oben draufzuschauen. Aus dem Aufsichtsrat hatte er – ebenfalls am Donnerstag – seiner Ansicht nach entsprechende Signale empfangen. Vor Kuntz hatten sich die Räte intensiv mit Jörg Schmadtke beschäftigt, anfangs von Ralf Rangnick geträumt und teilweise auch Felix Magath kontaktiert. Sie konnten jedoch keinen gemeinsamen Nenner finden. Daher schien Boldt zwischenzeitlich wieder aussichtsreich im Rennen zu sein, obwohl die Liste der sportlichen Fehlentscheidungen, besonders in der letzten Saison, immer länger wurde. Zu den größten Versäumnissen gehörten der letztlich unpassende Zeitpunkt des Trainerwechsels und die Tatsache, dass es in drei Transferperioden nicht gelang, einen gleichwertigen Ersatz für den wegen Dopings gesperrten Innenverteidiger Mario Vuskovic zu verpflichten sowie alles zuvor genannte. Es gab viele Gründe. „Wir haben unseren sehr detaillierten Analyseprozess abgeschlossen und sind zur Entscheidung gekommen, dass wir nach dem sechsten verpassten Aufstieg in Folge einen neuen sportlichen Impuls brauchen und wollen“, sagte Aufsichtsratschef Michael Papenfuß. Kuntz komme „aus dem Fußball, hat Management-Erfahrung und wird hier aufgebaute Strukturen und Verantwortlichkeiten finden und soll diese fokussiert weiterentwickeln“.
Er nun muss schnell klären, ob Leistungsträger wie Torjäger Robert Glatzel, der slowakische Mittelfeldspieler Laszlo Benes oder Ludovit Reis gehalten werden können. Aufgaben, die eigentlich Boldt hatte lösen wollen. „Es war eine herausfordernde und schöne Zeit, in der wir viel bewegt, gekämpft und ich auch sehr viel gelernt habe“, sagte er zu seinem Abschied. „Neben der nach wie vor großen Enttäuschung, dass uns der Aufstieg nicht gelungen ist, verbleibt ein positives Gesamtgefühl.“ Wo er das hernimmt, wird er vielleicht zu gegebener Zeit erklären.
Klar ist: Kuntz muss jetzt aufräumen, ob es mit Baumgart weitergeht, wird dabei nicht nur eine seiner ersten, sondern seine wichtigste Entscheidung. Und es geht weiter. „Ja, wir machen mit Steffen Baumgart weiter. Wir haben gestern bereits vier Stunden zusammengesessen und uns über ganz viele Themen ausgetauscht. Und heute auch noch mal. Steffen hat hier noch keine Vorbereitung absolviert, noch keine Transfer-Vorstellungen umsetzen können. Deswegen empfinde ich es nicht als HSV-like, jetzt den Trainer infrage zu stellen. Darum werden wir mit ihm weitermachen.“ Und natürlich möchte der Europameister von 1996 den „HSV in der Bundesliga sehen“. Nur darum geht es. Am besten mit Baumgart.