Für das Erreichen der Klimaziele kann die Moorwende einen wertvollen Beitrag leisten. Zu Besuch an Orten, wo sie schon angegangen wird.
Diese Wiesen haben es Michael Succow, einem der weltweit profiliertesten Moor-Experten, besonders angetan. Er wohnt am Rahmen des Gemäldes, von seinem Haus sind es nur ein paar Hundert Meter hierher. Die Moorwiesen – gut erhalten, unbebaut, nicht entwässert – sind aus Succows Sicht nicht bloß Überbleibsel der Vergangenheit. Hier eröffnet sich auch ein Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der Moore wieder Moore sein dürfen.
Moor darf wieder Moor sein
„Die traditionelle Bewirtschaftung von Moorböden durch Entwässerung ist vorbei“, sagt Succow nicht nur mit Blick auf die Wiesen vor Greifswald, sondern auf die Moore in Deutschland insgesamt. Mit dieser Sichtweise stehen Succow und andere Moor-Experten nicht allein. Die Politik stellt sich mittlerweile darauf ein, dass in der Landwirtschaft ein ähnlich tiefgreifender Umbruch bevorsteht wie bei der Energieversorgung. Auf die Energiewende folgt die Moorwende.
Schauplatz dieser Moorwende ist eines jener Länder, in denen Feuchtgebieten am konsequentesten der Garaus gemacht wurde. Weltweit liegt der Anteil der entwässerten Moore bei rund zehn Prozent. In Deutschland wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten mehr als 90 Prozent der Moorflächen trockengelegt, vor allem für die Land- und Forstwirtschaft.
Dafür gab es damals gute Gründe. Vermeintlich nutzloses Land, schwammiges Nichtland im Grunde, wurde erschlossen und urbar gemacht. Was man noch nicht ahnte: Diese Art der Landgewinnung hinterlässt „Moorruinen“ – und die ruinieren das Klima.
Erst seit relativ Kurzem weiß man, welch wichtige Rolle diese Ökosysteme als sogenannte Kohlenstoffsenken spielen. In Deutschland speichern sie auf nur fünf Prozent der Landfläche ebenso viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen, obwohl diese rund ein Drittel Deutschlands bedecken.
Intakte Hochmoore wachsen um einen Millimeter pro Jahr in die Höhe. Kaum merklich, doch dabei produzieren sie je Hektar zehn Kubikmeter Torf, in dem 0,8 Tonnen CO2-Äquivalente gespeichert werden. Trockengelegte Moore hingegen setzen das teils über Jahrtausende in ihnen gebundene CO2 wieder frei, und das vergleichsweise schnell: bis zu 30 Tonnen je Hektar und Jahr, je nachdem, wie tief der Boden entwässert wurde.
Aus Mooren, die nicht länger Moore sein dürfen, stammen mehr als sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Und so gelten Schutz und Renaturierung von Mooren inzwischen als Schlüsselmaßnahmen für das Erreichen von Deutschlands Klimazielen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat eine „Nationale Moorschutzstrategie“ vorgelegt, mit der die CO2-Emissionen aus Moorböden bis 2030 um rund zehn Prozent reduziert werden sollen. Dafür sollen auch trockengelegte Sumpfgebiete wiedervernässt werden.
Michael Succow schlägt vor, den Caspar-David-Friedrich-Blick auf die Greifswalder Moorwiesen einzutauschen gegen einen auf ein Vorzeigebeispiel der Moorwende, das eine Autostunde südwärts liegt: das Landgrabental. Eine lang gestreckte Niederung, 4.000 Hektar Landschaftsschutzgebiet. Viel Schilf. Ein paar Tümpel. Als wir am Rand des Durchströmungsmoors, noch festen Boden unter den Füßen, entlangwandern, steigt krakeelend eine Schar Kraniche in den Himmel. Im Tal, hinter einer Gruppe kronenloser Birkenstämme, wabern geisterhaft schwarze Schattenwesen umher. Wasserbüffel.
„Subventionierte Unvernunft“
Moor bedeutet nicht: keine Tierhaltung. Nur: andere Tierhaltung. Und Feuchtgebiete helfen, die schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels, zunehmende Hitze- und Dürrephasen, zu lindern, indem sie Wasser länger in der Landschaft halten, die Luft kühlen, das Grundwasser speisen. Succow fordert deshalb eine staatliche Honorierung dieser Ökosystemdienstleistungen: „Wenn ein Landwirt auf seinem Land Grundwasser wieder in Menge und Güte produziert, muss er künftig dafür entlohnt werden.“
Rasch beenden würde Succow dagegen, was er „subventionierte Unvernunft“ nennt: die pauschalen, für Ökosystemdienstleistungen blinden Flächenprämien-Milliarden, die die EU an Landwirte ausschüttet. Und den Anbau von Mais auf trockengelegten Moorböden für Biogasanlagen – als klimafreundliche Energiequelle angepriesen, obwohl es viel klimafreundlicher wäre, die Böden erst gar nicht zu entwässern. „Eine politische Fehlleistung“, so Succow.
Selbst wo Biogasanlagen und ihr Mais-Input nicht in direkter Flächenkonkurrenz zu Mooren stehen, haben sie diesen gegenüber einen Nachteil, erklärt Leif Rättig von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein: einen Preisnachteil. „Eine Tonne eingespartes CO2 durch Moor-Wiedervernässung kostet zwischen 40 und 60 Euro. Bei Biogasanlagen sind es um die 240 Euro.“ Diese Kosten-Nutzen-Rechnung, sagt Rättig, sei inzwischen auch der Politik geläufig. Sie dürfte dazu beitragen, dass die Moorwende weiter Fahrt aufnimmt.
In Schleswig-Holstein ist sie ohnehin schon weiter fortgeschritten als in anderen Bundesländern. Das hat auch mit Rättigs Arbeitgeber zu tun. Seit 45 Jahren ist die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein bereits im Moorschutz aktiv, auch mit Wiedervernässungen.
Heute hat sie knapp 40.000 Hektar Land in ihrem Besitz, das sind ungefähr zwei Prozent der Fläche des Bundeslandes. Eine der beeindruckendsten dieser Stiftungsflächen ist das Dosenmoor, ein wiedervernässtes Hochmoor am Stadtrand von Neumünster, 521 Hektar groß, davon 374 Hektar in Stiftungsbesitz.
Rättig schnappt sich einen Ast, bevor er die ersten Schritte ins Dosenmoor geht. Mit ihm wischt er anfangs Brennnesseln beiseite und später, in erst knie-, bald brusthohen Gräsern, Spinnweben. Das Moor wächst wieder. Torf bildet sich. Kohlenstoff wird gebunden.
„Paludikultur“ noch in Entwicklung
Ein solch naturnaher, ungenutzter Zustand ist das Moor-Ideal. Ihn für alle in Mitleidenschaft gezogenen Moore in Deutschland anzustreben, wäre illusorisch, das weiß auch Rättig. Große Hoffnungen von Moor- und KlimaExperten ruhen deshalb auf alternativen Landnutzungsformen, die einerseits dem Klimaschutz dienen, andererseits eine Bewirtschaftung der wiedervernässten Moorflächen erlauben, sei es durch Fotovoltaik, sei es durch moorbodenschonende land- und forstwirtschaftliche Nutzung, sogenannte Paludikultur. Rohrkolben und Schilf beispielsweise, typische Moorgewächse, eignen sich als Verpackungs-, Dämm- oder Brennstoff. Wasserbüffel, wie sie schon im Landgrabental weiden, können Rinder ein Stück weit als Fleisch- und Milchlieferanten ersetzen.
Alltagstauglich allerdings ist bis jetzt wenig davon. „Die Paludikultur ist noch nicht schlüsselfertig“, sagt Leif Rättig lapidar. „Bis die sich in großem Maßstab rechnet, wird es noch ein paar Jahre dauern.“ Dafür braucht es politische Weichenstellungen. Ein Umlenken von Agrarsubventionen. Und weitere Forschung.
Doch dann biete die Paludikultur großes Potenzial, ist Rättig überzeugt: „Wir müssen Modelle entwickeln, die gut für den Klimaschutz und gut für die Landwirtschaft sind. Win-win-Situationen, von denen alle profitieren.“ Wichtig wäre allerdings, dass solche Win-win-Lösungen sich schon bald abzeichnen. Die Zeit drängt in zweifacher Hinsicht.
„Wenn man den Bericht des Weltklimarates liest, weiß man: Wir müssen nun schnell etwas gegen die Klimaerwärmung tun“, sagt Leif Rättig. „Dazu gehört unbedingt auch die Wiedervernässung von Mooren.“
Hinzu kommt, dass eine klimaschädliche Bewirtschaftung von Moorland uns den Boden unter den Füßen wegzieht. Denn trockengelegtes Moor setzt nicht nur CO2 frei. Es sackt auch ab. Bei intensiver Nutzung als Agrar- oder Saatgrasland kann der Boden jährlich um zwei Zentimeter tiefer sinken, durch das Zusammenspiel von Wasserverlust, Winderosion und Mineralisierung des nackten Torfkörpers. Macht 20 Zentimeter in zehn Jahren. Zwei Meter in 100 Jahren. Eine so betriebene Landwirtschaft ist augenscheinlich nicht sehr nachhaltig. Sie schaufelt sich ihr eigenes Grab.