Die Bremerin Gesche Gottfried tötete Anfang des 19. Jahrhunderts 15 Menschen, darunter ihre eigenen Kinder und Eltern. Bis die Mordserie auffiel, war sie als Person bekannt und beliebt, die sich für Arme und Kranke einsetzte. So sorgte sie auch für ihre dahinscheidenden Lieben – die sie selbst vergiftet hatte.
Bremen, 21. April 1831: Unter den nach Gerechtigkeit gierenden Augen von rund 35.000 Schaulustigen – viele von ihnen hatten schon in der Nacht zuvor auf den Moment gewartet – schreitet Gesche Margaretha Gottfried die Stufen zum Schafott hinauf. Der Untersuchungsrichter, Senator Franz Friedrich Droste, verliest das Urteil und bricht den Stab über ihr Haupt. Hierauf folgend konsumiert Gesche ihre Henkersmahlzeit – einen Becher Wein – und setzt sich auf den für sie vorbereiteten Lehnstuhl, auf welchem der Scharfrichter ihren Kopf durch einen Schwerthieb abschlagen soll. Da sie ihren Kopf aber weder korrekt aufrechthalten kann, noch der hierfür vorgesehene Riemen zur Befestigung des Kopfes passt, nimmt es noch einige Minuten in Anspruch, bis der Henker durch das Schwert ihrem Leben ein Ende setzen kann. Die Hinrichtung Gesche Gottfrieds an diesem Tag sollte die letzte öffentliche Hinrichtung auf dem Bremer Marktplatz werden.
Als Tochter des Schneidermeisters Johann Timm und der Wollnäherin Gesche Margarethe Timm kamen Gesche und ihr Zwillingsbruder Johann am 6. März 1785 in Bremen zur Welt. Nachdem sie zunächst die Klippschule und anschließend die Ansgarii Kirchspielschule besucht hatte, plante Gesche Timm, Schauspielerin zu werden, weshalb sie zum einen Französischunterricht und zum anderen Tanzunterricht nahm. Ihr Vater hatte jedoch andere Pläne, weswegen sie im Alter von 21 Jahren den Sattlermeister Johann Miltenberg heiratete und in den folgenden Jahren mehrere Kinder zur Welt brachte, von denen drei überlebten – Adelheid, Heinrich und Johanna.
Bereits zu dieser Zeit machte sich Gesche weit über die Mauern Bremens hinaus einen Namen als sozial engagierte Frau, die oft und gerne den Menschen bei ihren Bedürfnissen zur Seite stand und sie auch im Krankheitsfall in der Pflege unterstützte. Unabhängig von den finanziellen Mitteln, welche ihr zur Verfügung standen, spendete sie zudem immer wieder Beträge für den guten Zweck. Dies brachte ihr den Spitznamen „Engel von Bremen“ ein.
Wegen einer auf dem Dachboden ihres Wohnhauses auftretenden Mäuseplage gab ihre Mutter ihr Mäusebutter – eine Zusammensetzung aus Schmalz und dem tödlichen Gift Arsen – mit dem sie Brotstücke bestrich und diese zum Töten der Tiere auf dem Dachboden verteilte.
Ermordete auch ihren Bruder
Als sie feststellen musste, dass ihr Ehegatte des Öfteren Prostituierte aufsuchte, begann sie eine Affäre mit dem finanziell gut gestellten Weinhändler Michael Christoph Gottfried. Um für eine Ehe mit ihrem Geliebten frei zu sein, musste sie zunächst den ungeliebten Ehegatten aus dem Weg räumen. Hierfür nutze sie das ihr zur Verfügung stehende geschmacklose Gift Arsen, welches sie in steigender Dosis unter sein Essen mischte. Sie beobachtete sein qualvolles Dahinsiechen über Tage hinweg, bis er schließlich starb.
Als zwei Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes Gesches Mutter im Jahr 1815 pflegebedürftig wurde und sie deswegen mit zu Gesche und ihren drei Kindern in das Haus in der Pelzerstraße einzog, wurde auch sie für ihre Tochter zunehmend zu einer Belastung. Wie schon zuvor bei ihrem Ehemann, glaubte sie, dieses Problem durch einen Mord lösen zu können. Auch ihre Mutter wurde über mehrere Tage von Gesche vergiftet, bis auch sie den Tod fand. Gleiches Schicksal wurde ihren beiden Töchtern Adelheid und Johanna zuteil, weil sie die Mädchen als Hindernis für eine Hochzeit mit Gottfried ansah. Nur einige Monate später ereilte auch ihren Vater Johann das gleiche Los, weil dieser ihrer Beziehung mit dem Weinhändler nicht wohlgesonnen gegenüberstand.
Im selben Jahr wie ihre Eltern und die Töchter musste auch ihr Sohn aus vorheriger Ehe, Heinrich Miltenberg, sein Leben lassen. Im darauffolgenden Jahr sollte auch ihr Zwillingsbruder Johann seiner mordlustigen Schwester zum Opfer fallen, womit sie als alleinige Erbin des elterlichen Besitzes verblieb.
Trotz jahrelangen Wartens auf einen Heiratsantrag ihres Geliebten Gottfrieds, kam es erst auf dessen Sterbebett zu einem Antrag mit anschließender Vermählung. Dieser bedachte sie ebenfalls in seinem Testament. Was nach außen nach einem weiteren grausamen Schicksalsschlag für die arme Gesche, die nun den Nachnamen Gottfried trug, aussah, war natürlich kein Zufall. Auch ihr zweiter Ehemann Michael Christoph Gottfried sollte ein Opfer ihrer Vorliebe für Arsen werden. Mit diesem achten Mord ging auch ihr Arsenvorrat zu Neige. Dies markierte das Ende ihrer ersten Mordserie.
Im Jahr 1821 hatte sie sämtliches Geld aus ihren Erbschaften bereits verschwendet und musste deswegen das aus erster Ehe verbliebene Haus in der Pelzerstraße verkaufen. Die Käufer waren das Stellmacher-Ehepaar Wilhelmine und Johann Christoph Rumpff. Derweil zog Gesche in eine günstigere Unterkunft. Im folgenden Jahr kam es zur Verlobung mit dem Modewarenhändler Paul Thomas Zimmermann. Dieser sollte – wenig überraschend – das erste Opfer ihrer zweiten Mordserie werden. Ihre Magd und Freundin Beta Schmidt besorgte ihr in der örtlichen Apotheke eine neue Ration Mäusebutter, mit der ihr Verlobter Zimmermann 1823 vergiftet wurde und so den Tod fand. Gesche bedachte er – wie auch schon seine Vorgänger – mit einem stattlichen Erbe.
Dann pausierte Gottfried ihre Mordserie für rund zwei Jahre und nahm in dieser Zeit gegen Kost und Logis eine Stelle als Hausmädchen in ihrem ehemaligen Haus beim Stellmacher-Ehepaar Rumpff an. 1825 setzte sie ihre Mordserie fort. In diesem Jahr sollte ihre langjährige Freundin, die Musiklehrerin Anna Lucia Meyerholz, durch die Mäusebutter-Gabe ebenfalls ein verfrühtes Ende finden. Auch ihr Freund und Berater Johann Mosees fand im gleichen Jahr den Tod durch Gesches übliches Vorgehen.
Ein Jahr später vergiftete sie zudem die neue Hauseigentümerin und gleichzeitig Arbeitgeberin Wilhelmine Rumpff. Im Mai des Folgejahres fand Elise Schmidt, die Tochter ihrer Freundin Beta – welche ihr ironischerweise ja zuvor das Gift besorgt hatte –, einen qualvollen Tod. Beta Schmidt folgte der Tochter dann nur zwei Tage später durch Gesches Zutun in den Tod. Ihr letzter erfolgreicher Mord erfolgte im Juli 1827 an ihrem Freund und Gläubiger Friedrich Kleine, den sie auf einer Reise nach Hannover aufsuchte.
Nach ihrer Heimkehr ins Hause Rumpff begann sie damit, auch den Hausherren Johann Christoph mit stetigen Arsendosen zu vergiften. Als diesem allerdings weiße Körner auf seinem Schinken auffielen, wurde er misstrauisch und suchte seinen Arzt auf. Dieser hatte zuvor bereits die Mordopfer aus Gesches Serie – von dieser nichts ahnend – untersucht und für tot erklärt. Nach Begutachtung der Körner auf dem Schinkenlaib, den Rumpff ihm übergeben hatte, vermutete er, dass es sich um Arsen handeln müsse und die Puzzleteile um den „Engel von Bremen“ setzten sich zusammen.
In der Haft dachte sie wohl über Selbstmord nach
Am 6. März 1828 wurde Gesche Gottfried an ihrem 43. Geburtstag verhaftet und ins Stadthaus abgeführt. Hier verblieb sie für etwas mehr als zwei Monate in Untersuchungshaft, bis sie am 13. Mai 1828 ins eigentliche Gefängnis überführt wurde. In den nächsten drei Jahren empfing sie dort regelmäßig Senator Franz Friedrich Droste in ihrer Zelle. Dieser verhörte sie zu den einzelnen Anklagepunkten. Die Sitzungen des Senators und Gesche wurden vollständig vom Gerichtssekretär Johann Eberhard Noltenius protokolliert.
Im folgenden Prozess ließ sich Gesche Gottfried, die ihre Taten zwar nach und nach gestand, sie aber nicht erklären konnte, durch den Anwalt Friedrich Leopold Voget vertreten. Dieser beantragte, Gottfried einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen zu lassen. Er versuchte, seine Mandantin als unzurechnungsfähig und hierdurch als nicht anklagbar klassifizieren zu lassen. Das Gericht wies seine Anfrage jedoch ab und hielt an den Anklagepunkten fest.
Aus den Protokollen geht hervor, dass Gesche Gottfried während ihrer Haft mehrfach darüber nachgedacht hatte, sich selbst mit der von ihr hierfür eigens mitgebrachten Mäusebutter das Leben zu nehmen. Jedoch nahm sie Abstand von diesem Plan, da sie sich an die Leiden ihrer Mordopfer und deren überaus qualvollen Tod erinnerte. Das Gericht nahm ihr die Entscheidung über ein verfrühtes Ende ihres Lebens dann allerdings ab, indem sie zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde. Die Versuche ihres Anwalts, ihr Verhalten durch Unzurechnungsfähigkeit zu erklären, waren vergebens.
Aus heutiger Sicht ist es schwierig, genaue Motive für die Morde Gottfrieds herzuleiten, da Habgier sicher nur in einigen Fällen als Erklärung in Frage kommt. Ihr Verteidiger Voget veröffentlichte nach ihrer Hinrichtung zwei Bücher, in welchen er zum einen die Geschehnisse beschreibt und zum anderen den Versuch unternimmt, Gottfried wegen psychischer Krankheit als schuldunfähig darzustellen. Der Prozess war einer der ersten Prozesse weltweit, in dem sich die Strafverteidigung auf die Schuldunfähigkeit der Angeklagten berief.