Cyanobakterien galten als hauptverantwortlich für die Fixierung des für das marine Ökosystem lebenswichtigen Stickstoffs. Doch Bremer Forscher konnten jüngst das zentrale Mitwirken einer neuen, mit Kieselalgen symbiotisch zusammenwirkenden Bakterienart nachweisen.
Die Ozeane bedecken rund 71 Prozent der Erde, stellen 95 Prozent der belebten Biosphäre und enthalten 97 Prozent allen Wassers auf unserem Planeten. Besonders auf ihre herausragende Funktion als gigantischer CO2-Speicher wird häufig hingewiesen, weil die Weltmeere schon heute über 50-mal mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre fixieren können. Mindestens ebenso wichtig ist aber auch der Stickstoffkreislauf in den Ozeanen. Denn ohne Stickstoff oder N2 ist Leben im Meer nicht möglich. Stickstoff ist nämlich essentiell für die meisten Organismen, sowohl im Wasser als auch an Land. Ohne Stickstoff und dessen Umwandlungsprodukte als Dünger kann beispielsweise pflanzliches Plankton im Meer nicht existieren, damit auch kein CO2 binden und auch keinen Sauerstoff produzieren. Es würde damit als Basis für die Nahrungskette wegfallen. Allerdings liegt Stickstoff hauptsächlich als Gas vor und ist damit für die meisten Organismen nicht zugänglich. Nur bestimmte Mikroorganismen wie Cyanobakterien im Meer oder Knöllchenbakterien, sogenannte Rhizobien, an Land, sind dazu in der Lage, gasförmigen Stickstoff mit extrem starker Dreifachbindung von Stickstoff-Molekülen zu knacken, zu fixieren und durch Umwandlung in Ammoniak (NH3), Ammonium (NH4+), Nitrite (NO2-) oder Nitrate (NO3-) dem gesamten Ökosystem zuzuführen. Pflanzen können diese Verbindungen dann nutzen, um Proteine und Nukleinsäuren zu synthetisieren, die für ihr Wachstum unerlässlich sind. Mikroskopisch kleine Meerespflanzen, die die Hälfte des Sauerstoffs unseres Planeten produzieren, sind für ihr Gedeihen auf bioverfügbaren Stickstoff angewiesen.
Rhizobien und Kieselalgen
Viele Jahre lang ist die Wissenschaft davon ausgegangen, dass der Großteil der Stickstofffixierung in den Ozeanen von den schon genannten Cyanobakterien durchgeführt wird, die auch als Cyanophyta oder Blaualgen bekannt sind. Diese können durch Photosynthese Energie gewinnen und besiedeln die Erde schon seit mehr als 3,5 Milliarden Jahren und werden damit zu den ältesten Lebensformen überhaupt gezählt. Allerdings stellte sich der Meeresforschung das heikle Rätsel, dass es in weiten Teilen der Ozeane gar nicht genug Cyanobakterien gibt, um die durch Messungen gewonnenen Stickstoffmengen erklären zu können. Wegen dieser Unstimmigkeit vermuteten Wissenschaftler, dass es in den Meeren noch andere nicht-cyanobakterielle Mikroorganismen geben muss, die dazu in der Lage sind, Stickstoff zu fixieren. Wobei sich ganz besonders das in Bremen ansässige Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPI-MM) unter Federführung seines geschäftsführenden Direktors Prof. Marcel Kuypers das Verdienst erworben hat, die Lösung des Rätsels zu finden. Denn Untersuchungen zum Stoffkreislauf der Elemente in den Meeren und den dabei beteiligten Mikroorganismen zählen zu seinen wesentlichen Kernaufgaben. „Seit Jahren finden wir in Meerwasserproben Genfragmente des für die Stickstofffixierung verantwortlichen Enzyms Nitrogenase“, so Prof. Kuypers, „die aber scheinbar nicht zu Cyanobakterien gehören. Aber wir konnten nicht genau feststellen, um welchen rätselhaften Organismus es sich handelte. So konnten wir auch nicht untersuchen, ob er wirklich wichtig für die Stickstofffixierung ist.“
Um diesem unbekannten Organismus auf die Spur zu kommen, schlossen sich die Bremer Wissenschaftler im Jahr 2020 einer Expedition von zwei deutschen Forschungsschiffen in den tropischen Nordatlantik an. In dieser Region, in der ein wesentlicher Teil der marinen Stickstofffixierung stattfindet, sammelten sie Hunderte Liter an Seewasser in der Hoffnung, endlich den mysteriösen Stickstofffixierer identifizieren und quantifizieren zu können. Anschließend benötigten sie drei Jahre Auswertungsarbeit, bis sie schließlich das Genom eines speziellen Mikroorganismus entschlüsseln konnten. „Es war eine lange und mühsame Detektivarbeit“, so Dr. Bernhard Tschitschko, einer der Hauptautoren der jüngst im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie mit dem Titel „Neu entdeckte Symbiose aus Rhizobien und Kieselalgen löst großes Rätsel des Meeres“, „aber letztlich konnten wir anhand des Genoms viele Rätsel lösen.“
Das erste dieser Rätsel war die Enthüllung der Identität des Organismus. „Obwohl wir wussten“, so Dr. Tschitschko, „dass das Nitrogenase-Gen von einem Verwandten der Vibrio-Bakterien kommt, zeigte sich erstaunlicherweise, dass der Organismus selbst eng mit den Rhizobien verwandt ist, die in Symbiose mit Hülsenfrüchtlern leben.“ Vibrio-Bakterien, die auch Vibrionen genannt werden, kommen weltweit sowohl in Süß- und Salzwasser vor. Bei den Rhizobien handelt es sich um landlebende Bodenbakterien, die Hülsenfrüchtler wie Soja, Erbsen oder Alfalfa als symbiotischen Partner gewonnen haben. Sie verwandeln den atmosphärischen Stickstoff in Ammonium, das von den Pflanzen genutzt werden kann, und erhalten im Gegenzug von ihrem Partner nahrhaften Kohlenstoff. Weil die von den Bremer Forschern entdeckte bakterielle Rhizobien-Verwandte, die die Wissenschaftler auf den Namen Candidatus Tectiglobus diatomicola taufen sollten, nur über ein sehr kleines Genom verfügte hatte, musste sich zwangsläufig die Annahme aufdrängen, dass sie ebenfalls ein Symbiont sein konnte.
Um dies zu überprüfen, entwickelten die Forscher eine Gensonde, mit deren Hilfe sie die Rhizobien in Wasserproben aus dem Nordatlantik mit einem fluoreszierenden Farbstoff markieren konnten. Überraschenderweise konnten die Wissenschaftler dabei das Candidatus-Bakterium immer in Partnerschaft mit Kieselalgen verifizieren, genauer gesagt in deren Innerem. „In den Kieselalgen fanden wir an immer der gleichen Stelle innerhalb der Alge jeweils Gruppen von vier Rhizobien“, so Prof. Kuypers. „Es war wirklich aufregend, denn das war die erste jemals entdeckte Symbiose zwischen einer Kieselalge und einem nicht-cyano-bakteriellen Stickstofffixierer.“ Nachdem der bislang unbekannte Stickstofffixierer identifiziert war, wandten die Forscher ihr Augenmerk den Details der Symbiose zu. Wobei sie mittels einer speziellen Technologie namens nanoSIMS nachweisen konnten, dass die Rhizobie der Kieselalge fixierten Stickstoff im Austausch gegen Kohlenstoff zu liefern pflegt. Wobei das Candidatus-Bakterium ungemein fleißig arbeitet. „Um die Kieselalge in ihrem Wachstum zu unterstützen“, so Dr. Wiebke Mohr, eine Mitautorin der Studie, „fixiert das Bakterium 100-mal mehr Stickstoff, als es für sich selbst benötigen würde.“
Große Bedeutung für Landwirtschaft
Mit Blick auf den Stickstoffkreislauf der Ozeane konnte die Entdeckung der Partnerschaft zwischen dem Bakterium und der Kieselalge eigentlich nur bedeuten, dass diese Symbiose für große Teile der Stickstofffixierung in weiten Meeresregionen verantwortlich sein muss, vor allem dort, wo die Cyanobakterien eher selten anzutreffen sind. „Diese winzigen Organismen spielen also wahrscheinlich eine Hauptrolle bei der weltweiten marinen Stickstofffixierung und sind daher entscheidend, um die Produktivität der Meere und die globale Aufnahme von Kohlendioxid durch den Ozean zu gewährleisten“, so die Pressemitteilung des MPI-MM. Darüber hinaus halten es die Bremer Forscher für ziemlich wahrscheinlich, dass die enge Symbiose ein evolutionärer Schritt hin zu einer künftigen Verschmelzung der beiden Partner zu einem einzigen Organismus sein könnte. Nicht zuletzt deshalb, weil sich der Candidatus Tectiglobus diatomicola schon jetzt mehr wie eine sogenannte Zellorganelle (ein strukturell abgrenzbarer Bereich einer Zelle mit einer speziellen Funktion) als wie ein eigenständiger Symbiose-Partner verhält.
„Die evolutionären Anpassungen von etwa T. diatomicola sind dem endosymbiotischen Cyanobakterium UCYN-A sehr ähnlich“, so Prof. Kuypers, „das wie eine stickstofffixierende Organelle im Frühstadium ist. Man könnte also spekulieren, dass etwa T. diatomicola und sein Wirt sich ebenfalls in einem frühen Stadium der Entwicklung zu einem einzigen Organismus befinden könnten.“ Eine ähnliche Einschätzung teilt Dr. Tschitschko: „Bislang wurden solche Organellen nur bei Cyanobakterien nachgewiesen. Wenn es sie aber auch bei Rhizobien gäbe, könnte das weitreichende Konsequenzen haben angesichts der gewaltigen Bedeutung dieser Bakterien für die Landwirtschaft. Die Winzigkeit und die Ähnlichkeit zu einer Organelle bedeutet, dass sie eines Tages ein Schlüsselkandidat für die Entwicklung von stickstofffixierenden Pflanzen sein könnten.“ Was laut dem Online-Wissenmagazins scinexx.de ein Meilenstein für die Landwirtschaft werden könnte: „Theoretisch ließe sich dieser Umstand sogar nutzen, um eines Tages Nutzpflanzen zu erschaffen, die nicht mehr nur mit Rhizobien in Symbiose stehen, sondern mit ihnen verschmolzen sind. Zum ersten Mal überhaupt könnten die Pflanzen ihren Stickstoff dann selbst fixieren.“