Wer wird Champions-League-Sieger 2024 im Handball? Zwei Bundesligisten dürfen beim Final Four in Köln auf den Titel und die Fans auf ein mögliches deutsches Finale hoffen.
Michael Wiederer als „Losfee“ zu betiteln, wäre wohl etwas vermessen. Aber der 68 Jahre alte Präsident des Europäischen Handballverbandes durfte bei der Auslosung Anfang Mai im ungarischen Budapest für die Endrunde in der Champions League die Zettel mit den Namen der qualifizierten Mannschaften ziehen. Und der Österreicher hatte dabei – zumindest aus deutscher Sicht – ein glückliches Händchen. Nach der Auslosung stand fest: Ein deutsches Finale beim Final Four am 9. Juni in der Kölner Lanxess Arena vor 20.000 Zuschauern ist möglich. „Natürlich freut mich, dass es noch nicht der THW Kiel geworden ist, da dadurch etwas der Europapokal-Charakter erhalten bleibt“, sagte Trainer Bennet Wiegert von Titelverteidiger SC Magdeburg.
Doch zunächst müssen Magdeburg und Kiel ihre Halbfinal-Hürden meistern – und die haben es in sich. Der SCM trifft am 8. Juni auf den dänischen Topclub Aalborg Handbold. Die Kieler messen sich in der Vorschlussrunde mit dem spanischen Serienmeister FC Barcelona. Eine Selbstverständlichkeit ist das Traum-Finale Magdeburg vs. Kiel also keineswegs. „In der Champions-League-Auslosung gibt es keine einfachen Gegner und erst recht nicht im Final Four in Köln. Wer da dabei ist, hat sich einfach zurecht durchgesetzt und ist eine anspruchsvolle Aufgabe“, betonte Wiegert. Und auch der Kieler Rechtsaußen Niclas Ekberg sieht sportlich keinen Vorteil für sein Team: „Es sind vier Weltklasse-Mannschaften in Köln. Da war es eigentlich egal, gegen wen es geht.“ Ein Formcheck der beiden deutschen Teams:
SC MAGDEBURG
Die Magdeburger reisen mit dem Selbstvertrauen eines deutschen Meisters nach Köln. Der dritte Titel in der Clubgeschichte seit der Wiedervereinigung war dem Team von Trainer Bennet Wiegert schon nach dem 30:28 im Ostderby gegen den SC DHfK Leipzig vor 6.600 Zuschauern in der heimischen Getec-Arena praktisch nicht mehr zu nehmen. Bei vier Punkten und 84 Toren Vorsprung auf Verfolger Füchse Berlin war die Sache schon zwei Spieltage vor Schluss klar. Entsprechend feierten die Spieler mit Bierduschen. Auch Wiegert gönnte sich ausnahmsweise mal ein „kühles Blondes“. Das tut er nur zu ganz besonderen Anlässen, denn eigentlich schmeckt ihm Bier nicht. Doch in dem Moment wollte er ein Zeichen setzen. „Es geht gar nicht um das Bier, sondern es geht um die Wertschätzung der Mannschaft, mit ihnen einfach anzustoßen und zu sagen: Das ist euer Moment. Ich habe es gefühlt“, sagte der 42-Jährige der „Bild-Zeitung“. Auf die Frage, wie es denn geschmeckt habe, antwortete er ehrlich: „Scheiße – wie immer.“
Vielleicht gönnt er sich nach einem Triumph in der Königsklasse mal ein Glas Champagner. Doch ein Bennet Wiegert würde so etwas niemals im Voraus planen. Weil sich so etwas im Sport nicht gehört, und weil Aalborg trotz seiner Außenseiter-Rolle nicht zu unterschätzen ist. „Ich freue mich jetzt sehr auf sie im Halbfinale“, sagte der Coach: „Wir wissen, was für eine klasse Mannschaft das ist und kennen natürlich besonders Niklas Landin noch gut aus der Bundesliga.“ Der dänische Torhüter hat mehr als ein Jahrzehnt in der Handball-Bundesliga mit seinen Paraden geglänzt, zuerst bei den Rhein-Neckar Löwen (2012 bis 2015) und dann beim THW Kiel (2015 bis 2023). Im vergangenen Sommer wechselte der heute 35-Jährige zurück in seine Heimat. In Topform kann der 2,01 Meter große Landin noch immer jede Mannschaft zur Verzweiflung bringen – aber ist er auch topfit? Der Keeper plagte sich zuletzt mit einer Augenverletzung herum, nachdem er im Ligaspiel gegen Bjerringbro/Silkeborg von einem Ball am Kopf getroffen worden war. Wegen einer Blutung an der Netzhaut des rechten Auges verpasste er auch die Länderspiele der dänischen Nationalmannschaft gegen Norwegen und Kroatien. „Es ist absolut furchtbar, und ich bin viel nervöser, wenn ich dort sitze. Es ist nicht schön, da draußen zu sitzen“, sagte Landin über seine Zwangspause, die spätestens mit dem Final Four in der Champions League beendet sein soll. Aber: „Das hängt einzig und allein von den Tests ab, die durchgeführt werden“, verriet Landin: „Aber es gibt noch Hoffnung.“
Ob mit oder ohne Landin im Tor geht Aalborg als Außenseiter ins Halbfinal-Duell mit Magdeburg. Die herausragende Bundesligasaison und auch der Titelgewinn in der Königsklasse im Vorjahr haben untermauert, dass der SCM eine europäische Spitzenmannschaft mit allerhöchsten Ansprüchen geworden ist. Vor allem Torjäger Omar Ingi Magnusson lief zuletzt heiß, beim Sieg gegen HC Erlangen knackte er mit seinen 14 Treffern bereits die 200-Tore-Marke in der laufenden Saison. Von Trainer Wiegert gab es nach der praktisch gesicherten Meisterschaft den Feierbefehl: „Die sollen natürlich richtig die Sau rauslassen. Das ist schon was ganz Besonderes.“ Danach wollten er und das Trainerteam „wieder Seriosität“ in die Trainingsstruktur reinbekommen, denn für die Krönung der Saison sind beim Final Four noch zwei Schritte zu gehen. Der Hunger der Magdeburger ist längst noch nicht gestillt. „Jedem ist bewusst, dass es für was ganz Großes reichen kann“, sagte Linksaußen Lukas Mertens.
THW KIEL
Dass die Zebras in der Königsklasse überhaupt noch um den Titel mitspielen dürfen, gleicht einem Handball-Wunder. Im Viertelfinal-Rückspiel gegen den französischen Spitzenclub Montpellier machte Kiel durch den 31:21-Heimerfolg einen Neun-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel auf dramatische Weise wett. „Ich habe keine Ahnung, wie das möglich war. Dieser Sport ist absolut krank. Es ist absolut verrückt, was hier passiert ist. Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagte Nationalspieler Rune Dahmke. Für ihn waren der Matchplan und die Motivationskünste seines Trainers ausschlaggebend: „Meine große Anerkennung gilt Filip Jicha, der uns da wieder herausgeholt und uns Tag für Tag aufgebaut hat, sodass wir im Rückspiel wieder alles gegeben haben.“ Trainer Jicha selbst sprach nach der kaum für möglich gehaltenen Aufholjagd von einer „magische Nacht“. Die positiven Erinnerungen daran sollen den Kielern nun bei der Titelmission helfen. „Wir reisen nicht als Top-Favorit nach Köln, aber dort ist alles möglich“, sagte THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi.
Das Final Four ist die letzte Chance des früheren Serienmeisters, die bislang fast durchweg missratene Saison noch zu retten. Das frühe Aus im DHB-Pokal gegen die HSG Wetzlar war blamabel, der aktuelle vierte Platz in der Bundesliga enttäuschend. Der Direkteinzug für die nächste Champions-League-Saison wurde verpasst, umso mehr wollen die Kieler das Finalturnier in dieser Spielzeit genießen und möglichst siegreich bestreiten. Der Club hofft dafür wie in den Jahren zuvor auch auf die berühmt-berüchtigte Unterstützung seiner Fans. Das war auch gegen Montpellier der ausschlaggebende Faktor. „Ich hoffe, dass all diejenigen aus der ‚weißen Wand‘, die Tickets bekommen, diese Leidenschaft und diese Lautstärke mit nach Köln nehmen“, sagte der schwedische Rechtsaußen Niclas Ekberg.
Aber ob das allein gegen den FC Barcelona reicht? „Wir träumen weiter, auch wenn Barca natürlich ein Riesen-Brocken auf unserem Weg ist“, gab Trainer Jicha zu. Der Tscheche trug von 2015 bis zu seinem Karriereende 2017 selbst das Barca-Trikot und weiß aus eigener Erfahrung um die hohe Anspruchshaltung im katalanischen Verein: „Das ist eine absolute Top-Mannschaft.“ Man sei „sicherlich nicht der größte Favorit“, argumentierte Jicha, „aber wir haben dort wenig zu verlieren. Wir werden alles dafür geben, am Sonntag im zweiten und letzten Spiel der Saison zu stehen.“
Kiel gegen Barcelona – das ist im Europapokal fast schon Tradition. Kiels Trainer Jicha sprach nach der Auslosung von einem „Handball-Klassiker“, Geschäftsführer Szilagyi stimmte ihm zu: „Kiel gegen Barca ist eines der größten Duelle, die es im Handball gibt. Das wird noch einmal ein echter Höhepunkt am Ende der Saison. Wir werden in Köln nicht an den zweiten Tag denken, sondern im ersten Spiel All-In gehen.“ Ekberg erinnerte sich an das Champions-League-Endspiel 2020, das die Kieler gegen die Spanier – damals coronabedingt in einer leeren Lanxess-Arena – mit 33:28 für sich entscheiden konnten: „Ich hoffe, dass wir gegen Barca genauso abliefern können wie 2020.“
Besonders emotional wird es für Steffen Weinhold. Der Rückraumspieler tritt ein letztes Mal für den THW an, sein am Saisonende auslaufender Vertrag wird nicht verlängert. Es ist das Ende einer kleinen Ära, schließlich trägt der 37-Jährige seit 2014 das Trikot des deutschen Rekordmeisters mit der Nummer 13. Beim letzten Heimspiel gegen Leipzig wurde Weinhold noch nicht offiziell verabschiedet, schließlich steht in dem Final Four noch ein letztes großes Highlight an. „Es ist eine große Ehre, zehn Jahre für diesen Verein gespielt haben zu dürfen“, sagt der Ex-Nationalspieler. Er habe „viele unvergessliche Momente mit der Mannschaft und den Fans erlebt“, die Erinnerung daran „werden überdauern, auch wenn ich nicht mehr im THW-Trikot spiele“.
THW-Geschäftsführer Szilagyi bedauerte die Entscheidung zur Trennung, die aufgrund der Verletzungsanfälligkeit des langjährigen Leistungsträgers aber unausweichlich gewesen sei. Gegen Barcelona und möglichst auch in einem Finale um die Krone im europäischen Club-Handball soll Weinhold aber nochmal wichtig werden. „Er ist ein Spieler, auf den man sich immer verlassen kann, der immer alles für den THW Kiel gegeben hat und der vollkommen zurecht einen Platz unter dem Hallendach in der Riege der großen Zebras bekommen wird“, sagte Szilagyi.