Bei „Osmans Töchter“ kann man authentische türkische Küche mit modernem Twist genießen. Ein Besuch im Restaurant in Prenzlauer Berg zeigt, wie facettenreich die Küche aus dem Land am Schwarzen Meer ist.

Neulich flatterte mir eine Einladung ins Haus, die ich unmöglich ausschlagen konnte. Gedanklich beamte sie mich sofort in die Vergangenheit zurück. Es handelte sich um einen Besuch bei „Osmans Töchter“, jenem frauengeführten Restaurant im Helmholtz-Kiez, in dem ich vor Jahren einmal mit meiner Familie vorzüglich dinierte. Vor Jahren? Ach was. Gefühlt muss es Jahrzehnte her sein, als wir dort waren. Zumindest war es irgendwann vor Corona. Und während ich mich noch fragte, ob wir alle jetzt unser Leben vorrangig nur noch in Kategorien wie „vor Corona“ und „nach Corona“ erleben, um uns in unruhigen Zeiten zu orientieren, sagte ich zu.
Zurück in dem Lokal an der Pappelallee im Jahr 2024 wirkt die Welt mit einem Mal viel friedlicher. Der Frühsommer ist da, die Vögel zwitschern und das Essen ist immer noch köstlich. Hierüber sollte ich mal schreiben, denke ich. Und zwei, drei Wochen später bin ich wieder dort. Dieses Mal in Begleitung unseres Fotografen und einer Freundin.
Verheißungsvoll klingt schon allein der Name des Restaurants. Dabei können „Osmans Töchter“ streng genommen gar nicht die direkten Nachfahren des einstigen Fürsten Osman sein. Eher wären sie seine Urenkelinnen. Oder vielmehr seine Urururenkelinnen – mit zahlreichen weiteren Urs am Anfang des Wortes. Schließlich wurde Osman Gazi I. bereits im Jahr 1258 im türkischen Söğüt geboren. Der Sohn eines turkmenischen Clanführers war der Begründer des Osmanischen Reiches. Die osmanische Dynastie hielt mehr als sechs Jahrhunderte. Genau genommen bis 1922, als Mustafa Kemal Atatürk die Republik Türkei ausrief und damit die osmanische Monarchie abschaffte.
Leichtigkeit und eine Brise Mittelmeer
Das Osmanische Reich vereinte viele Kulturen, die einen Einfluss auf die türkische Küche hatten. Daraus resultiert auch der kulinarische Facettenreichtum des Landes am Schwarzen Meer. „Die türkische Küche ist extrem vielfältig“, erzählt Lale Yanik im Gespräch mit uns. Die Wahl-Berlinerin hat im Juni 2012 zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Arzu Bulut das Lokal gegründet. „Alle Esskulturen sind in einer Küche vereint, das wird nie langweilig“, sagt sie. „Die türkische Küche hat zum Beispiel Einflüsse aus dem Balkan, aus Griechenland und aus Russland“, ergänzt ihre Geschäftspartnerin Arzu Bulut. Die beiden Frauen mit türkischen Wurzeln hatten zeitgleich die Idee, die Vielfalt der Küche aus dem Land am Schwarzen Meer in Berlin bekannter zu machen.
Tatsächlich wimmelt es in dieser Stadt nahezu an jeder Ecke von Imbissen, die Döner Kebap und türkische Pizza anbieten. Auch türkische Bäckereien mit Baklava und Börek sind in vielen Stadtteilen zu finden. Doch die Mannigfaltigkeit aus den Kochtöpfen des ehemaligen Osmanischen Reiches sucht man trotzdem oft vergebens. Selbst in einer Multi-Kulti-Stadt wie der Spree-Metropole. „Die Vielfalt der türkischen Küche ist in Berlin unterbesetzt“, bemängelt Lale Yanik.

Mangel macht erfinderisch. Und so hatten die beiden Frauen die gleiche Eingebung, taten sich zusammen, um die gastronomische Lücke zu schließen. Dabei sind die beiden gastronomische Quereinsteigerinnen. Lale Yanik ist ausgebildete Schauspielerin und in München aufgewachsen, während ihre Mitstreiterin Arzu Bulut ihre Kindheit und Jugend in Berlin-Neukölln verbracht hat. Nach ihrem Studium hat die diplomierte Betriebswirtin zuvor unter anderem als Eventmanagerin gearbeitet. Vor der Restauranteröffnung organisierte sie auch sogenannte „Kültür-Dinner“: In wechselnden Lokalen ließ Arzu Bulut ihre Tanten und deren Freundinnen türkische Köstlichkeiten nach alten Familienrezepten kochen, um deutschen Bekannten, Freundinnen und Freunden die Vielfalt der osmanischen Küche nahezubringen.
Eines dieser Kulinarik-Events fand auch auf einem Dachgarten in Istanbul statt. „Da kam fast die ganze Berliner Techno- und Electro-Szene zusammen, auch DJ Adam Port war mit dabei“, erinnert sich die umtriebige Gastronomie-Unternehmerin. Aus den erfolgreich umgesetzten Kültür-Dinners reifte in der Berlinerin die Idee heran, einen festen Ort für ihre kulinarischen Ideen zu finden und ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Fündig geworden sind sie und ihre Geschäftspartnerin schließlich im ehemaligen Kulturhaus des Berliner Off-Theaters Ballhaus Ost.
Mit viel Liebe für Details haben die beiden Entrepreneurinnen die Location renoviert und eingerichtet. Vor den rustikalen Holztischen stehen bunte Stühle mit mediterranem Flair und die Bank ist gesäumt von Häkelkissen in verschiedenen Farben. Darüber baumeln Deckenleuchten aus Einmachgläsern. An der Wand hinter dem offenen Küchen-Tresen hängt ein blaues, augenförmiges Amulett: das Auge der Fatima. Nach türkischem Volksglauben soll es den sogenannten Bösen Blick abwenden. Eine Wand im hinteren Bereich füllt ein alter Teppich, der von einer Kunststudentin der Universität der Künste bemalt worden ist.
Alles in allem vermittelt das Ambiente viel Leichtigkeit, Verspieltheit und eine Brise Mittelmeer. Das findet sich auch auf der Speisekarte wieder und schon bald ist unser Tisch mit lauter bunten Meze gedeckt. Dabei handelt es sich um türkische Tapas, die teils kalt, teils warm sind. Also eine Ansammlung kleiner, feiner Köstlichkeiten, die als kulinarische Symphonie keiner Hauptspeise mehr bedürfen.

Fabelhaft finde ich, dass sowohl Fisch- wie Fleischliebhaber als auch Vegetarier und Veganer hier auf ihre Kosten kommen. Einige Gerichte sind sogar glutenfrei.
Aromatisch ein Fest für alle Sinne
Wir nehmen ein paar Schlucke von der hausgemachten Granatapfel-Limonade und schon sind wir abgetaucht ins Reich der Aromen. Auch farblich ist das Ensemble ein Fest für die Sinne. In einem warmen Orangeton etwa lächeln uns warme Teigtaschen (Manti) aus roter Bete, Käsefüllung und Paprikabutter an. Obendrauf gibt es noch ein schneeweißes Häubchen aus Knoblauchjoghurt. In Bordeauxrot mit grünen Sprenkeln aus gehackter Petersilie ist das Rote-Bete-Kisir gehalten. Das ist ein Couscous-artiger Salat auf Basis von Weizengrütze und kleinen Stücken Roter Bete, verziert mit Granatapfelkernen. Dazu noch etwas Granatapfelsirup und Sellerie. Das Ganze entzündet auf meinem Gaumen ein erstes kleines Aromenfeuerwerk aus säuerlich und süß. Zwischendurch tauche ich knusprig frittierte Zucchini-Chips (Kabak Cips) in einen erfrischenden Joghurt-Minze-Dip.
Grün gekleidet präsentieren sich die mit Reis und Haselnuss gefüllten Zucchini sowie die Weinblätter. Letztere rufen bei uns dreien zunächst etwas Skepsis hervor, weil wir sie als hauptsächlich bitter in Erinnerung haben. Doch unsere beiden Gastronominnen verstehen sich darauf, uns sehr charmant zu unserem Gaumenglück zu stupsen: „Die müsst ihr probieren! Bitte!“
Tatsächlich avancieren die dunkelgrünen Teilchen zur Überraschung des Nachmittags. Von wegen einfach nur bitter! Dank des Sauerkirschsaftes und warmen Gewürznoten wie Piment und Zimt entfaltet sich gleich eine ganze Klaviatur an Aromen auf meinem Gaumen. Sie reicht von säuerlich über salzig und würzig bis hin zu fruchtig und süß.
„Bauchtanz auf der Zunge“
Unter den vielen Köstlichkeiten hebt sich Biber Borani als ein besonders zart schmelzender Gaumenschmeichler hervor. Als „Bauchtanz auf der Zunge“ wird die mit Chili und grünem Spitzpaprika gewürzte Joghurt-Mousse auf der Karte angekündigt. Zu Recht, finde ich und tauche ein weiteres Mal das ofenwarme Brot in die cremige Versuchung. Für Begeisterung bei dem uns begleitenden Fotografen sorgt auch der in Rotwein geschmorte Oktopus (Ahtapot Tava). Angerichtet ist das meerige Gericht mit Paprika und Kartoffeln. Verfeinert wurde das Ganze mit Zimt, Chili, Kreuzkümmel, Knoblauch und ein paar Spritzern Zitrone.
Dann probieren wir noch ein paar weitere Leckereien auf unserem reichlich gedeckten Tisch. Dazu gehören unter anderem Kabeljau-Fischmousse und kross gebackene Teigröllchen (Sigara Böreği) mit einer Füllung aus Kartoffeln, Minze, Zwiebeln und Chili. Überaus köstlich finde ich auch das Hühnchen auf rauchigem Auberginenpüree. Oder das zarte Lammgericht mit Feigen, das dank des Chilis eine subtile Schärfe auf meiner Zunge verströmt. Sehr lecker ist auch die Ceviche a la Turca mit Wolfsbarsch, verfeinert mit Trüffelöl. „Es ist alles so fein im Geschmack. Nichts überdeckt sich, und kein Aroma dominiert das andere“, schwärmt meine Begleiterin.

„Wir verwenden auch Ingredienzien, die für die türkische Küche ungewöhnlich sind“, erläutert Arzu Bulut. „Zum Beispiel Koriander, Bockshornklee, arabische Gewürze, Feigen oder auch mal Trüffelöl wie bei der Ceviche.“ Und das ist wohl auch das Geheimnis von „Osmans Töchter“: Traditionelle Gerichte werden mit einem zeitgeistigen Twist versehen.
Dass das Ganze immer noch authentisch bleibt, dafür sorgt die langjährige Küchenleiterin Fatma Gözel, die mit anderen Hausfrauen die Gerichte immer frisch zubereitet, wie Arzu Bulut erklärt.
Wir beenden unseren kulinarischen Ausflug bei einem Mokka im lauschigen Hinterhof des Restaurants. Ein leichter Wind weht und wir fühlen uns wie am Bosporus. Jetzt fehlen nur noch die streunenden Istanbuler Katzen, die uns sanft um die Beine streichen.