Peta Deutschland feiert in diesem Jahr 30-jähriges Bestehen. Harald Ullmann, zweiter Vorsitzender und Mitgründer, und Dr. Vera Christopeit, Justiziarin bei Peta Deutschland, sprechen über die größten Erfolge, über Grundrechte und Personenstatus für Tiere und darüber, wie sie den Tierschutz hierzulande beurteilen.
Herr Ullmann, wie ist die Bilanz nach 30 Jahren Peta Deutschland?
Ich glaube, die Welt hat sich in den vergangenen 30 Jahren verändert. Wir konnten bei einem Großteil der Bevölkerung viel Bewusstsein schaffen in die Richtung, dass Tiere keine Sachen sind, sondern Mitgeschöpfe, und auch so behandelt werden sollten. Zum Beispiel die vegane Lebensweise, das sagte vor 30 Jahren kaum jemandem etwas, aber mittlerweile ist sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Was sind Ihre größten Erfolge bisher?
Wir haben mit unserer Kampagnenarbeit nicht nur viel dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen sich pflanzlich ernähren, Produkte, für die Tierversuche gemacht wurden, ablehnen und Zoos und Zirkusse meiden. Wir waren unter anderem auch maßgeblich daran beteiligt, dass es in Deutschland keine Pelztierfarmen mehr gibt, dass in Zoos in Deutschland keine wildgefangenen Elefanten mehr gehalten werden und dass das Einfuhr-Verbot von Hunden- und Katzenfellen durchgesetzt wurde. Zu Letzterem hatten wir eine Recherche in China gemacht. Wir sind in ständigem Kontakt mit Unternehmen und fördern die Entwicklung und Verbreitung immer mehr veganer Produkte. Auch wenn für Fernsehsendungen Tiere gequält werden, schreiten wir ein: Die Sendung „Unser Charly“ mit einem Schimpansen, diese Sendung gibt es nicht mehr, auch die Sendung „Stars in der Manege“ wurde abgesetzt.
Peta wird manchmal als zu radikal kritisiert. Wie sehen Sie das?
Ullmann: Ich glaube, wir sind nicht radikal genug. Was ist radikal? Ich finde es viel radikaler, Tiere in kleine Käfige zu stecken oder sie zu verstümmeln. Diejenigen, die dagegen sind, die eine humanere Welt wollen, die werden als radikal bezeichnet. Das ist eine eigenartige Interpretation. Wir lassen uns dadurch nicht beeinflussen.
Christopeit: Ich sehe das genauso. Für mich persönlich ist das Wort radikal neutral besetzt, es steht für den Ansatz, ein Problem wirklich an der Wurzel anzufassen. Wir wollen für die Tiere bessere Verhältnisse schaffen. Die ethologische Forschung ist bei der Erforschung der Tierbedürfnisse schon ziemlich weit. Wir wollen, dass diese genauso berücksichtigt werden, wie die Bedürfnisse der Menschen auch. Das Wort radikal wird dazu benutzt, uns in eine Nische zu stellen und zu sagen: Die haben keine Berechtigung. Aber ein Mittelweg ist für die Tiere total uninteressant, weil sie weiter benutzt und ausgebeutet werden können.
Glauben Sie, dass die Menschen ab und zu überfordert sind? Ihre Aktionen sind manchmal schockierend …

Ullmann: Wir müssen die Menschen aufrütteln, das ist das A und O. Menschen reagieren auf unterschiedliche Dinge, manchen sind unsere Aktionen zu extrem, anderen sind sie nicht extrem genug. Unser Ziel ist es, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, wie die Tiere ausgebeutet werden. Heutzutage ist es in der Medienvielfalt und mit den sozialen Medien schwierig, Gehör zu finden. Da müssen wir natürlich auch einen Weg finden, gehört zu werden.
Woher nehmen Sie den Optimismus und die Energie? Holt Sie nicht manchmal auch der Frust ein bei diesem Kampf?
Ullmann: Wir versuchen, Frust in Energie umzuwandeln. Wir sagen: Jetzt erst recht! Es hilft den Tieren nicht, frustriert zu Hause in meinem Zimmer Däumchen zu drehen. Wir müssen nach vorne schauen und wir haben ja auch Erfolge.
Christopeit: Wir haben tolle Teams, in denen auch Frust aufgefangen wird, man kann darüber reden. Es ist niemandem geholfen, wenn man sich in den Frust reinfallen lässt. Die Arbeit muss gemacht werden.
Frau Christopeit, Sie sind zweieinhalb Jahre dabei. Wie kamen Sie zu Peta?
Ich habe in dem normalen Anwaltsalltag keine Befriedigung mehr gefunden. Ich habe vorher unter anderem Umweltrecht gemacht, das ging für mich aber nicht weit genug. Ich habe was gesucht, wo ich mich für Gerechtigkeit einsetzen kann.
Ihre aktuelle Kampagne zielt darauf, dass Tiere Grundrechte und Personenstatus erhalten. Wie soll das umgesetzt werden können?
Christopeit: Vieles hat sich geändert, viele Menschen sind zu Veränderungen bereit, aber die katastrophale Lage der Tiere besteht weiter. Jeden Tag werden in Deutschland für menschliche Zwecke rund zwei Millionen Tiere getötet. Es gibt eine unendliche Liste der Gewaltanwendungen und Missstände, unter denen Tiere leiden müssen. Dennoch ist in den menschlichen Köpfen verankert, dass man Tiere all dem aussetzen darf, nur weil sie Tiere sind. Die letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass die Forderung, „Tiere in Ruhe zu lassen“, nicht reicht, dass wir einen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel brauchen und die Tiere Rechte mit echtem Gewicht. Eine Verfassungsänderung könnte so aussehen, dass man Tiere als Personen mit in den Verfassungstext schreibt – denn nur Personen können vor dem Gesetz eigene Rechte haben – und den Tieren Grundrechte gibt, die ihre Bedürfnisse absichern. Wir haben uns in unseren Forderungen derzeit auf vier Grundrechte beschränkt.

Welche sind das?
Christopeit: Recht auf Leben, Recht auf Freiheit, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das sind auch nach der UN-Menschenrechts-Charta die wichtigsten Rechte.
Wie bringt man so einen Antrag ein?
Christopeit: Forderungen an Gesetzgeber kann natürlich jeder stellen. Man kann das per Petition machen oder man kann Bundestags- und Bundesratsmitglieder anschreiben, die Situation darlegen, und darum bitten, das in den Bundestag einzubringen. Das haben wir gemacht.
Haben Sie schon Reaktionen?
Christopeit: Wir wissen von einigen Abgeordneten, dass sie im Prinzip auf unserer Linie sind. Die Problematik wird ja auch immer sichtbarer. Verfassungsänderungen haben eine starke zeitliche Komponente, bis da mal ein Prozess ins Rollen kommt … Aber es ist auch wichtig, dass sich die Idee in den Köpfen der Menschen festsetzt.
Da hätten Sie mit einem Streich vieles gelöst. Die Tierindustrie wäre komplett ausgehebelt. Wie realistisch ist das?

Christopeit: Ich habe den Eindruck, dass in letzter Zeit ein Bewusstseinswandel stattfindet, gerade bei den jüngeren Menschen. In Panama haben Meeresschildkröten Rechte bekommen, jetzt wird in Neuseeland gerade mit anderen indigenen Staaten im Pazifik darüber diskutiert, ob Wale Personenstatus erhalten sollen. Es gibt auch einzelne Gerichtsentscheidungen, in denen Affen eine Art Personsein zugesprochen wurde, woraufhin sie aus der „Haft“, das heißt, dem Zoogefängnis, entlassen wurden. So haben die Gerichte das tatsächlich gesehen. Es ist ein Flickenteppich, der langsam wächst, das Bewusstsein ist da. Natürlich wäre das ein krasser Wandel für diejenigen, die in tiernutzenden Positionen sind, das weiß der Gesetzgeber auch. Bei all diesen Umbrüchen gibt es ja auch immer Übergangsfristen, Ausgleichsregeln, Subventionen. All die Gelder, die in die Intensiv-Tierhaltung fließen, könnte man umlenken. Man müsste den Menschen, weil die ja natürlich auch geschützte Rechtspositionen haben, den Übergang praktikabel machen. Das sehen wir auch. Man kann ja leider nicht von einem auf den anderen Tag alle Tiere freilassen. Für die Tiere muss gesorgt werden.
Angenommen, hier in Deutschland wäre dann das Ende mit der Nutzung von Tieren. Aber viele Menschen hier wollen noch Fleisch essen. Könnte dieser Schuss nicht nach hinten losgehen, dass dann Fleisch aus anderen Ländern importiert wird, zum Beispiel China, wo der Tierschutz viel schlechter dasteht, und dort die Produktion deshalb hochgefahren würde?
Christopeit: Momentan ist es umgekehrt: Wir beliefern China mit Fleisch. Wir versuchen dementsprechend erst mal, das Ganze positiv zu sehen. Wir sehen das aus der Position, dass Deutschland eine Vorbildfunktion einnehmen könnte. Wir sehen die internationale Problematik auch, aber die könnte man durch gesetzgeberische Hebel in den Griff kriegen. Da müssen wir uns schon auf die europäische Ebene begeben.
Im internationalen Vergleich, wie gut oder schlecht ist der Tierschutz in Deutschland?
Christopeit: Kein Tierschutzgesetz der Welt ist dazu geeignet, die Interessen von Tieren abzusichern. Das deutsche Tierschutzgesetz ist leider ein „Tiernutzgesetz“ – es stellt nicht infrage, dass Tiere vom Menschen benutzt und ausgebeutet werden dürfen. Da helfen nur echte Rechte.

Das Tierschutzgesetz scheint formal ein Mindestmaß an ethischem Tierschutz zu sichern. Leider gibt es erhebliche Vollzugsprobleme – wir erleben etwa bei der Anwendungswilligkeit des § 17 TierSchG (strafbare Tierquälerei/Tiertötung), dass die Staatsanwaltschaften speziesistisch unterscheiden zwischen sogenannten Haustieren und den Nutztieren der Landwirtschaft – wobei die Kriminalität in letzterem Bereich viel höher ist. Hier kommt es aber viel seltener zu Anklagen.
Diese willkürliche Unterscheidung zwischen Tieren, die man isst, und denen, mit denen man lebt, gibt es fast überall auf der Welt. Die Deutschen bezeichnen sich selbst als tierfreundlich – aber diese Tierfreundlichkeit hat, wie zu sehen ist, deutliche Grenzen. In den Verfassungen von Belgien und der Schweiz ist immerhin die „Tierwürde“ verankert. In der Verfassung von Ecuador steht das „Right of Nature“, Recht der Natur, aus dem mittlerweile auch Rechte für Tierindividuen abgeleitet werden. Der Fall der Elefantin Happy aus der Bronx hat es immerhin bis vor den New Yorker High Court gebracht – und zwei der US-Richter:innen zu einem positiven Sondervotum über ihren Personenstatus veranlasst, auch wenn der Fall verloren wurde und sie immer noch gefangen ist. Es gibt überall auf der Welt gute Entwicklungen – und wir setzen uns mit unserer Forderung und sonstigen täglichen Arbeit dafür ein, dass sich diese zu einem positiven Ganzen zusammensetzen.
Sehen Sie Tiere auf der gleichen Ebene wie Menschen?
Christopeit: Aus meiner Sicht, ethisch, ja. Lebewesen mit Bedürfnissen stehen auf einer Stufe, und der Mensch ist den Tieren nicht übergeordnet.
Ullmann: Es gibt keinen vernünftigen Grund, andere Tiere unter den Menschen zu stellen. Das ist Speziesismus (die moralische Diskriminierung von Lebewesen ausschließlich aufgrund ihrer Artzugehörigkeit, Anm. d. Red.). Wenn ich einem Tier in die Augen schaue, sehe ich eine Person. Warum sollte ich die anders behandeln als meine Mitmenschen?

Christopeit: Diese Grenzziehung ist tatsächlich sehr willkürlich und beruht nur auf Ausbeutungs-Interessen und nicht auf tatsächlichen Unterschieden. Die Bedürfnisse sind ganz, ganz ähnlich.
Was sich tierliebe Menschen wohl oft fragen ist, warum unser Tierschutzgesetz offenbar für sogenannte Nutztiere nicht gilt. Man darf ein Schwein in einen engen Kasten sperren, wenn das mit einem Hund gemacht würde, käme die Polizei.
Christopeit: Das Tierschutzgesetz gilt für alle Tiere. Die Unterscheidungen, die in den Verordnungen gemacht werden, beruhen auf Nutzungsinteressen. Das reicht für den Menschen bei der Anwendung des Gesetzes, dass Tiere, die gegessen werden sollen, in enge Kästen gesperrt werden dürfen, weil es wirtschaftlich ist. Wirtschaftliche Interessen werden immer vorgeschaltet. Aber es gibt keine Rechtfertigung. Unserer Auffassung nach ist das, was mit den Tieren in der Intensivtierhaltung gemacht wird, nach dem Tierschutzgesetz rechtswidrig. Es gibt Verordnungen, die diese Haltungsformen erlauben. Diese Verordnungen verstoßen jedoch gegen das Tierschutzgesetz als höherrangiges Recht, soweit sie § 2 TierschG (die Grundnorm der artgerechten Tierhaltung) einschränken.