Franz Kafka gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Eine sechsteilige Miniserie in der ARD-Mediathek wirft aus verschiedenen Perspektiven einen Blick auf sein Leben.
Vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924, starb Franz Kafka. Genau einen Monat, bevor er 41 Jahre alt geworden wäre. Die Miniserie „Kafka“ blickt aus verschiedenen Perspektiven auf das Genie und sein Leben. Vier der sechs Folgen tragen die Namen eines Freundes und dreier Freundinnen Kafkas im Titel: „Max“, „Felice“, „Milena“ und „Dora“. Zwei – die Folgen 3 und 4 – die Titel „Familie“ und „Bureau“. Durch diesen Kniff gelingt es, verschiedene, zeitlich zum Teil parallele Handlungsstränge nacheinander zu erzählen.
Die Serie zeigt Franz Kafka (dargestellt von Joel Basman) als relativ jungen Mann, der seine Fähigkeiten nur in Bereichen zeigt, die ihm eigentlich egal sind. Zum Beispiel im Beruf.
Der aber bei dem, was ihm persönlich wichtig ist, extrem unsicher und perfektionistisch ist. Das betrifft sowohl seine Beziehungen zu Frauen als auch das Schreiben. Einer Tätigkeit, der er mit absoluter Leidenschaft ausschließlich nachts nachgeht, was zur Folge hat, dass er kaum schläft.
Die stabilste Komponente im Leben von Franz Kafka ist – daran lässt die Serie keinen Zweifel – seine Freundschaft zu Max Brod (David Kross). Dem es zu verdanken ist, dass die Welt überhaupt von der Genialität Franz Kafkas erfahren hat – und das nur, weil er dessen fragwürdigen letzten Wunsch, alle Manuskripte zu vernichten, missachtet hat. So erscheint es naheliegend, dass gleich die erste der sechs Folgen der Miniserie Max Brod gewidmet ist – angefangen vom ersten Zusammentreffen der beiden bis hin zu dem, was sich lange nach dem Tod Kafkas abgespielt hat.
Spielraum für Spekulation
Die Serie hat einen dokumentarischen Charakter, auch wenn sie komplett aus Spielszenen besteht. Das erreicht Regisseur David Schalko durch einen Erzähler (Michael Maertens) aus dem Off, der zu Beginn jeder Folge deren Blickwinkel nennt. Der zwischendrin Ereignisse einordnet und zum Ende jeder Folge erzählt, wie sich das Leben der Personen weiterentwickelt hat. Und der auch schon mal eine Frage an die Figuren stellt. Etwa in der dritten Folge, in der es unter anderem um die Aktivitäten Kafkas als Fabrikant geht und ein Produkt, dem eine große Zukunft vorhergesagt wird. „Wie heißt der Stoff?“, fragt der Sprecher. „Asbest“, antwortet eine von Franz’ Schwestern, die dabei direkt in die Kamera blickt – und damit in voller Absicht die „vierte Wand“ durchbricht, also gegen die Konvention im Film verstößt, sich nicht direkt an den Zuschauer zu wenden.
Überhaupt, die „vierte Wand“: Die Serie ist so gefilmt, dass für den Zuschauer immer wieder deutlich wird, dass es sich um Szenen aus dem Studio handelt. Wenn zum Beispiel die Kamera von der Decke des Studios aus auf unter ihr aufgebaute Kulissenräume herabblickt. Oder wenn Felice Bauer (Lia von Blarer) in der zweiten Folge durch die Wohnung ihrer Familie geht, begleitet von einer Kamerafahrt. Der Zuschauer blickt dabei von der Seite auf die nebeneinander angeordneten Räume und sieht auch, dass die Zwischenwände vor der Kamera enden. Ein Stilmittel, das den dokumentarischen Anspruch noch einmal unterstreicht.
Völlig unproblematisch ist diese Herangehensweise nicht. Durch sie entsteht der Eindruck, dass all das, was in der Serie gezeigt wird, auch wirklich stimmen muss. Zwar darf man davon ausgehen, dass Drehbuchautor Daniel Kehlmann – dessen bekanntestes Werk „Die Vermessung der Welt“ (als Buch 2005, als Film 2012) sein dürfte – sich auf fundierte Recherchen gestützt hat. Gleichzeitig gewinnt man aber, wenn man sich durch andere Quellen mit Franz Kafka beschäftigt, in manchen Punkten auch ein anderes Bild. Und das Bundesarchiv in Berlin sah sich nach Veröffentlichung der Serie sogar dazu genötigt, Aussagen über den möglichen Verbleib von Kafka-Texten aus dem Besitz von Dora Diamant, um die es in Folge sechs geht, richtigzustellen.
Es wäre unfair, dieses Problem Daniel Kehlmann und David Schalko zu sehr vorzuhalten. Es ist aber wichtig, dass man sich als Zuschauer bewusst macht, dass eine solche Darstellung nur eine von mehreren Möglichkeiten der Interpretation der historischen Quellen zeigt. Diese Quellen, zum Teil in Form von Briefen und Tagebucheinträgen, sind sehr persönlich. Was sich aber wirklich in der Wohnung der Familie Kafka in Prag abgespielt hat, was zwischen Franz Kafka und seinen Freundinnen und was zwischen ihm und Max Brod – das bietet Spielraum für Spekulation. Sicher ist, dass Kafka zu den genialsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts gehört. Und dass er das nicht trotz seiner Lebensumstände war, sondern dass gerade diese Umstände ihn dazu gemacht haben.