Annie Clark alias St. Vincent sagt über ihr gerade erschienenes siebtes Album „All Born Screaming“: „In der ersten Hälfte geht es um Verlust und darum, wie das Leben im Grunde genommen unmöglich geworden ist. Doch in der zweiten Hälfte heißt es dann: Aber wir leben ja doch, also lasst uns lieber richtig reinhauen.“ Was rettet uns, wofür leben wir? ‚Die Liebe‘.“
Der Albumtitel verweist darauf, dass jeder von uns ja schreiend und hilfsbedürftig zur Welt kommt, aber wir eben auch Lebenshunger in uns tragen. Zunächst geht es auf „All Born Screaming“ ungewohnt aggressiv, regelrecht zerrissen und zugleich auch deprimiert zur Sache, denn: „Hell Is Near“. Ist es hier die fabelhafte – und wie auch Clark kompromisslos eigensinnige – Beth Gibbons, die in den Sinn kommt, gemahnt das anschließende, wie haltlos rockende „Reckless“ an PJ Harvey. Und das ist genau die Liga, die St. Vincent bespielt.
„Broken Man“ und „Flea“ sind unbehauene Rohdiamanten voller Wut und Wucht. Am polternden Schlagzeug sitzt hier Dave Grohl von den Foo Fighters.
„Big Time Nothing“ wirkt wie ein erschöpfender Kampf, der mit „Violent Times“ in gelinder Verzweiflung mündet, sich aber mit Resignation nicht abfinden will. Das erschöpft heruntergedimmte „The Power Is Out“ macht den Weg frei für Selbstermutigung, Selbstermächtigung, öffnet den Blick auf süße Früchte: „Sweetest Fruit“. Denn es gibt sie ja – und sie wollen geerntet werden. Aufgeben ist jedenfalls keine Option.
So endet dieses fabelhafte und bislang beste St. Vincent-Album mit drei betörenden Liedern, die einem den Glauben an Schönheit und Menschlichkeit wiedergeben. Besagtes „Sweetest Fruit“ kommt geradezu taumelnd (vor Glück?) daher. Noch infizierender geriet der pulsierende Beinahe-Reggae „So Many Planets“. Und der siebenminütige Titel-Track beschließt wahrhaft episch, raffiniert vertrackt und versöhnlich das Fast-schon-Konzeptalbum einer großartigen Künstlerin, die in der Vergangenheit ihre Emotionen gern noch stilisierte, ja maskierte. „All Born Screaming“ klingt dagegen nun tatsächlich herausfordernd unmaskiert.