In Mainz hielt Bo Svensson den großen Vergleichen mit seinen berühmten Vorgängern stand. Auch deshalb hoffen sie bei Union Berlin, mit dem Dänen auf der Trainerbank glücklich zu werden.
Christian Heidel muss es wissen. Der Manager war es, der einst viel Mut und noch mehr Instinkt bewies, als er zwei Trainer-Talenten die Profimannschaft des Fußball-Bundesligisten FSV Mainz 05 anvertraute: Jürgen Klopp und Thomas Tuchel, die heute als die Besten ihres Fachs gelten. Ein ähnliches Gefühl hatte Heidel auch bei Bo Svensson, und deshalb holte er den früheren FSV-Profi im Januar 2021 als Coach nach Mainz zurück. Der Däne rettete den damals am Boden liegenden Club nicht nur vor dem Abstieg, sondern legte mit dem Team auch auf Anhieb die beste Rückrunde der Clubgeschichte hin. Auch in den zwei Jahren danach mit den Bundesliga-Abschlussplätzen acht und neun deutete Svensson an, dass er womöglich der dritte Heidel-Kandidat werden könnte, der eine Weltkarriere als Trainer hinlegt.
„Gute Bedingungen für erfolgreiche Arbeit“
„Bo hat alle Anlagen, um ein sehr erfolgreicher Trainer zu werden“, sagte Heidel. Doch der neue Club, den Svensson als Chefcoach betreut, ist keiner mit internationalem Flair. Faktisch gesehen ist es nicht einmal ein Aufstieg im Vergleich zum FSV Mainz 05. Doch als die Anfrage von Union Berlin kam, fühlte sich Svensson bereit für den Club, der in der abgelaufenen Saison gerade so den Abstieg aus der Fußball-Bundesliga verhindern konnte. „Ich beobachte Union schon länger und bin sicher, hier gute Bedingungen für erfolgreiche Arbeit zu finden“, sagte der 44-Jährige. Ihn begeistere vor allem „die Geschlossenheit“ beim Verein aus Berlin-Köpenick. Mannschaft, Fans, Mitarbeitern und Vereinsführung würden „eine Einheit“ bilden. Und das sei auch für seine tägliche Arbeit „ein ganz wichtiger Faktor“. Deshalb freute sich Union-Präsident Dirk Zingler auch darüber, als Nachfolger des glücklosen Nenad Bjelica einen Trainer gefunden zu haben, „der gut zu unserem Club passt“.
Aber wie genau tickt Bo Svensson überhaupt? „Bo ist knüppelhart als Trainer und kann richtig unangenehm sein, nimmt die Jungs aber auch in den Arm“, beschrieb es Heidel. Auch Ersatzspielern widme Svensson viel Aufmerksamkeit und Zeit, in dieser Hinsicht sei er „schon sehr außergewöhnlich“. Neben der sozialen Kompetenz zeichne den Dänen auch aus, dass dieser nicht glaube, alles und immer am besten zu wissen. Er sei Experten aus anderen Bereichen extrem aufgeschlossen gegenüber und arbeite sehr kreativ, verriet Heidel: „Auch Bo Svensson sucht immer nach neuen Trainingsformen“. In seinem Wissensdurst erinnere er ihn sehr an die berühmten Vorgänger Klopp und Tuchel.
Emotional sind alle drei. Das engagierte Coaching an der Seitenlinie, das mitunter auch zu Zwist mit den Schiedsrichtern oder gegnerischen Trainern führt, haben Klopp, Tuchel und Svensson gemein. Gelbe Karten sind für den Neu-Unioner keine Seltenheit, im DFB-Pokal hatte er von Deniz Aytekin wegen einer Schiedsrichterbeleidigung auch schon mal die Rote Karte gesehen. Doch Heidel betont: „Ja, Bo ist an der Linie emotional, aber da habe ich schon ganz was anderes erlebt. Gegenüber Klopp und Tuchel ist Svensson ein Messdiener!“
Und taktisch? Es ist anzunehmen, dass sich die Unioner diesbezüglich auf keine große Kursänderung einstellen müssen. Svensson liebt Kompaktheit, Aggressivität und schnelles Umschalt-spiel – alles Dinge, mit denen die Eisernen in den ersten Jahren ihrer Bundesliga-Zugehörigkeit viel Erfolg gefeiert hatten. Tiki-Taka-Fußball mit vielen Kurzpässen und großer Spielkontrolle ist nicht sein bevorzugtes Stilmittel, auch wenn er taktisch durchaus flexibel ist. Svensson hat sich dabei viel von Tuchel abgeguckt und auf dessen vorherigen Trainerstationen auch mal hospitiert. Unter Tuchel hat Svensson in Mainz selbst noch gespielt, „es ist nicht so, dass es immer schön war zwischen uns“, sagte der heutige Union-Coach einmal. Der frühere Abwehrspieler hätte gerne öfter von Anfang an gespielt. Doch taktisch habe er schon damals als Spieler viel von Tuchel gelernt. „Es war eine sehr prägende Zeit. Ich war fünf Jahre lang unter ihm Spieler, wir hatten im fünften Jahr keine Trainingseinheit, die so war wie im ersten Jahr“, berichtete der Däne. Tuchel hätte ihm damals „die Augen geöffnet für eine andere Art zu coachen, wie man Leistungssport sieht, wie man eine Gruppe anspricht und packt“. Deswegen sei der 50-Jährige, der nach Saisonende den FC Bayern München verlassen musste, für ihn auch „ein besonderer Trainer, ein besonderer Mensch. Ich wäre ohne ihn sicher heute nicht da, wo ich bin.“
Großes Lob auch von Thomas Tuchel
Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit. „Bo hat von meiner Seite nur die besten Worte verdient, weil er einen Superjob macht“, sagte Tuchel einmal, als Svensson noch Trainer in Mainz war. Dass sein früherer Spieler die Trainerkarriere einschlagen und auch dort Erfolg haben werde, sei ihm schnell klar gewesen. „Er hat schon als Spieler getickt wie ein Trainer. Das hat mich ein bisschen an mich selbst erinnert“, sagte Tuchel. Svensson habe „ein so hohes Verständnis für das Spiel gezeigt“.
Auch Klopp hat sich in der Vergangenheit schon lobend über Svensson geäußert. Dieser sei ein „großes, großes Talent“ auf der Trainerbank, sagte Klopp, dessen erfolgreiche Zeit beim FC Liverpool im Mai zu Ende gegangen ist. Von England aus hat er die Spiele seines Ex-Clubs aus Mainz auch unter Svensson immer verfolgt und dabei viel Positives wahrgenommen. Tipps für eine Weltkarriere als Trainer werde er seinem Ex-Spieler aber keine geben, bekräftigte Klopp: „Bo braucht keinen Tipp von mir. Als Trainer muss man sich selbst treu bleiben. Wenn du versuchst, eine Rolle zu spielen, läufst du in die falsche Richtung.“
Die Richtung bei Union ist klar: Es soll wieder aufwärts gehen, nachdem die Zittersaison noch allen in den Knochen steckt. Dafür soll Svensson mit einer neuen Ansprache, neuen Methoden und neuen Ideen für frischen Wind sorgen. Er sei sich „sicher, dass er gemeinsam mit dem Team dafür sorgen kann, dass wir eine gute Rolle in der Bundesliga spielen werden“, meinte Club-Präsident Zingler. Für den von ihm verlangten Stimmungsumschwung dürfte der Trainer im Hintergrund bereits fleißig mit dem neuen Geschäftsführer Horst Heldt, der ebenfalls erst am 1. Juli offiziell seinen Dienst antritt und dem freiwillig zum Chefscout herabgestuften Oliver Ruhnert zusammenarbeiten. Denn klar ist: Es braucht nicht nur auf der sportlichen Führungsebene einen personellen Neustart. Die Saison hat gezeigt, dass Unions Kader längst nicht so stark besetzt ist, wie er von den Verantwortlichen im vergangenen Sommer eingeschätzt wurde. Erste – nicht gerade wirkungsvolle – Kurskorrekturen gab es im Winter, nun steht ein deutlich größerer Umbruch bevor. Und Svensson dürfte ein gehöriges Wörtchen mitsprechen wollen bei der Spielerauswahl.
Svensson ist für seine Vorgesetzten ein nicht immer ganz einfacher Trainer. Aber er ist, so hört man, immer ein ehrlicher. Geradlinigkeit ist auch etwas, was Svensson mit seinen berühmten Vorgängern beim FSV Mainz 05 gemein hat. In seiner ersten festen Krise im November 2023 mit neun sieglosen Spielen nahm er die Verantwortung auf sich und erklärte selbst seinen Rücktritt. „Wir hätten Bo nie entlassen“, betonte Geschäftsführer Heidel.