Bei der Millionen-Metropole Bangkok denkt man erst mal nicht an entspanntes Fahrradfahren. Tatsächlich aber hat ein Niederländer die thailändische Hauptstadt für Biker erschlossen. Mittlerweile werden spannende Touren angeboten.
Bangkok hat mehr Fahrzeuge als Einwohner, sagt eine Statistik des thailändischen Ministeriums für Transport und Verkehr von 2022. In der Hauptstadt Thailands fahren 10,67 Millionen Fahrzeuge und wohnen 10,53 Millionen Einwohner. Jeder, der die Stadt einmal besucht hat, mit seinem chaotischen Verkehr und den Millionen von Motorradfahrern, die aus Sicht eines Touristen ihre eigenen Verkehrsregeln machen, denkt bei Bangkok nicht unbedingt an eine Stadt, die zum Fahrradfahren einlädt. Trotzdem kann man mit dem richtigen Guide idyllische und verkehrsarme Wege finden, entlang an Kanälen, Food Markets und buddhistischen Tempeln, die nicht nur das Herz von Fahrradfahrern höher schlagen lassen.

Es sieht aus wie eigene Verkehrsregeln
Es ist wohl kein Zufall, dass ein Pionier solcher Radtouren durch Bangkok und Umland aus den Niederlanden kam, einem Land mit lange bestehender Fahrradkultur. Bereits in den 1990er-Jahren hatte der in Bangkok lebende Niederländer Co van Kessel die Idee, Radtouren durch „seine“ Stadt zu organisieren. Um die besten Touren ausfindig zu machen, verbrachte er Tausende Stunden auf seinem Mountainbike, fuhr tagelang durch Bangkok, um das ausgiebige Netzwerk von Nebenstraßen, Gässchen und Schleichwegen, die man nur zu Fuß oder mit dem Rad erkunden kann, zu kartografieren. Für seine Touren macht er sich Wasserwege und Kanäle zunutze, auf denen die Räder per Boot von einer Verbindungsstraße zur anderen transportiert wurden. Wegen dieser unzähligen Kanäle haben die ersten Europäer in Siam, wie Thailand bis 1939 hieß, Bangkok auch als das „Venedig Asiens“ bezeichnet.
Bei seinen Erkundungstouren entdeckte Co van Kessel eine versteckte Welt abseits der hektischen Metropole, in der das Leben der Einwohner Bangkoks sich in den letzten Jahren kaum verändert hatte, während die Stadt selbst in den vergangenen 30 Jahren zur Megacity gewachsen ist. Zwischen 1970 (3,1 Millionen) und 2000 (6,3 Millionen) hat sich die Einwohnerzahl Bangkoks verdoppelt. 2010 lebten in der Hauptstadt schon 8,2 Millionen Menschen. Heute hat Bangkok mehr als zehn Millionen Einwohner. Unter der Oberfläche dieser rasanten Modernisierung fand van Kessel eine Seite Bangkoks, die Touristen bislang verschlossen blieb. Co, der holländische Fahrrad-Enthusiast, ist leider vor ein paar Jahren verstorben, doch seine Firma, „Co van Kessel Bangkok Tours“ gibt es immer noch. Sie wird von seiner Frau geführt. Das kleine Touristik-Unternehmen bietet heute mehrere Radtouren mit Ausgangspunkt Bangkok: Die Touren haben drei, fünf und neun Stunden Länge, letztere ist also eine Ganztagstour. Außerdem wird eine Nachtfahrt angeboten. Diese führt durch die Gassen des Stadtdistrikts Bang Rak zum historischen Viertel Talat Noi weiter nach Chinatown.
Auch in Chiang Mai, einer schönen Großstadt im bergigen Norden Thailands, bietet der Veranstalter eine Radtour an. Chiang Mai war 1558 die Hauptstadt des unabhängigen Königreichs Lan Na. In der Altstadt findet man noch Überreste aus der Zeit, als die Stadt kulturelles und religiöses Zentrum war.
Sehr viel Grün für solch eine große Stadt
Natürlich ist „Co van Kessel Bangkok Tours“ nicht die einzige Firma, die in Thailand und besonders in Bangkok Ausflüge mit dem Fahrrad für Touristen anbietet. Vor etwa zwei Jahren wurde „Jamming Thailand“ gegründet – auch weil Radfahren nicht nur bei Touristen aus aller Welt, sondern auch bei den Einheimischen immer beliebter wird. Was einst ein Fortbewegungsmittel war für Menschen, die sich kein motorisiertes Fahrzeug leisten konnten, wird heute auch in Thailand mehr und mehr zum Sportgerät und zu einem Teil der Freizeitgestaltung. Die Jamming-Tour, angeführt von unserem sympathischen Guide Kris, beginnt mit einer Bootsfahrt in einem schmalen Langboot, das nicht nur typisch für Thailand, sondern in ganz Südostasien weitverbreitet ist. Der 370 Kilometer lange Fluss Chao Phraya und sein Kanalsystem stellen wichtige Transportwege für die Millionenstadt bereit. Nach einer kurzen Fahrt auf dem Wasser scheint die Großstadthektik weit entfernt. Man radelt an Kanälen entlang, sieht Kinder, die im Wasser toben und für die Ausländer wohl noch ein so seltener Anblick sind, dass sie ihnen zuwinken. Wir besuchen einen Markt, auf dem es mehr Einheimische als Touristen gibt, und kehren in einem kleinen Restaurant ein. Das einfache, aber leckere Mittagessen ist im Preis der Tour inbegriffen, genauso wie die Versorgung mit Trinkwasser. Danach besuchen wir mehrere Tempel und lernen, dass die buddhistischen Mönche in Thailand sich die Augenbrauen rasieren als Geste der Entsagung weltlicher Begierden.

Weiter geht es durch erstaunlich grüne und – so nahe an der Großstadt – fast unberührt anmutende Natur. Etwa 20 Meter neben unserem Fahrradpfad sonnt sich eine eindrucksvolle Echse, genauer: ein Bindenwaran. Das dunkel gefärbte Tier mit hellem Bauch und Augenflecken auf dem Rücken sieht etwas bedrohlich aus. Kein Wunder: Die bis zu drei Meter langen Tiere haben spitze Zähne, enorme Beißkraft und rasiermesserscharfe Krallen. Unser Guide mahnt uns, großen Abstand zu halten. Überhaupt wird Sicherheit großgeschrieben auf der Tour. Kris warnt vor allem die ungeübteren Teilnehmer vor radfahrerisch schwierigeren Passagen, und beim Fahren über Märkte kennt er alle Stellen, bei denen man besser den Kopf einzieht. Vor Fahrtantritt gibt es auf Wunsch für jeden der maximal acht Teilnehmer einen passenden Fahrradhelm. Apropos Sicherheit: Verkehrsreiche Straßen befährt man praktisch keine, überquert sie nur an der ein oder anderen Stelle, was die Tour auch für unerfahrene Radfahrer risikoarm macht. Zu unserer Überraschung radelten wir sogar für etwa einen halben Kilometer auf einem eigens markierten Radweg. Vielleicht ein erstes Zeichen dafür, dass das Radfahren tatsächlich auch im verkehrsreichen Bangkok deutlich an Popularität gewinnt und dieser Umstand jetzt bei den Verantwortlichen der städtischen Verkehrsplanung angekommen ist.