Im Seebad Warnemünde im Norden der Hansestadt Rostock finden Besucher sowohl ein lebhaftes Strandleben als auch ruhige Flecken und eine faszinierende Steilküste.
Wer an die deutsche Ostsee reist, egal ob er die Strände in Schleswig-Holstein oder in Mecklenburg-Vorpommern besucht, der wird selten finden, was er sich erträumt oder was ihm bunte Ferienprospekte versprechen: die einsame Küste, das verträumte kleine Fischerdorf, die menschenleere Weite. Denn diese Region boomt. Und selbst die Orte, die nicht mit breiten, feinen Stränden und beschaulich ruhigem Hinterland für sich werben können, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Von der klassischen Saison, die mit der Osterzeit beginnt und sich nach den Herbstferien langsam zu Ende neigt, kann schon lange keine Rede mehr sein. Die deutsche Ostseeküste wird zu jeder Jahreszeit und zunehmend auch bei jedem Wetter gerne besucht.
Das gilt insbesondere für jene Orte und Flecken, die neben dem obligatorischen Strand- und Badevergnügen noch mehr zu bieten haben. Einen Leuchtturm, eine vielfältige Gastronomie, Schifffahrten, Kultur, vielfältige Ausflugsmöglichkeiten und aktives Naturerleben. Und liegt im Landesinneren gar noch eine bequem zu erreichende Hansestadt, dann ist es eigentlich egal, wann man hier Ferien macht und Erholung sucht. Für Abwechslung ist immer gesorgt.
Das Seebad Warnemünde ist nun nicht, wie vielfach fälschlicherweise angenommen, ein eigenständiges Städtchen, sondern ein Ortsteil im Norden der Hansestadt Rostock, die hier unmittelbar ans offene Meer grenzt. Wohl wahr: Hier fehlt eine Seebrücke (die ja mittlerweile fast jeden größeren Küstenort zieren muss) und auch eine große Reha-Klinik sucht man vergeblich. Aber dafür hat Warnemünde einen richtigen Hafen, über den die Handelsschifffahrt und der Fährverkehr zwischen Ostdeutschland und Skandinavien abgewickelt werden. Auch richtige, hochhausähnliche Ungetüme mit Außendeck-Suiten und unzähligen Kabinen ankern hier. Man nennt sie Kreuzfahrtschiffe. Denn Warnemünde hat sich neben Kiel zum bedeutendsten Kreuzfahrthafen Deutschlands entwickelt.
Die ursprünglich von Fischern und Seeleuten gegründete Siedlung, die in Vorzeiten von Slawen, später von Friesen und Niedersachsen besiedelt wurde, findet erstmals 1195 urkundliche Erwähnung. Sie lag strategisch überaus günstig, denn hier gab es die einzig schiffbare Verbindung von der Ostsee in die Warnow. Dies war deshalb für die südlich gelegene Stadt Rostock von besonderer Bedeutung. Sie kümmerte sich frühzeitig um die Instandhaltung des Warnemünder Hafens und wenig später sollten der Begierde Taten folgen.
Schöner breiter Sandstrand
Diesen Flecken wollte man lieber selbst kontrollieren. Deshalb war es kein Wunder, dass die Mecklenburger Fürsten erst die Dänen zurückdrängten und 1323 gleich den ganzen Ort in Besitz nahmen. Rostock sicherte sich damit den Zugang zum Meer. Eine wirkliche Befreiung war das für die Warnemünder nicht, denn die Rostocker wollten weder eine eigenständige Entwicklung dieses vielversprechenden Ortes noch einen zukünftigen Hafenkonkurrenten. Die Hansestädter waren also nicht zimperlich, wenn es darum ging, ihre Vormachtstellung zu sichern. Jahrhundertelang wurden Handel, Gewerbe und Schiffbau unterdrückt, sodass die Warnemünder sich eben mit dem Fischfang begnügen sollten und mussten.
Doch die armen Menschen an der Küste waren noch nicht gebeutelt genug. War Rostock in einen Krieg verwickelt, litt Warnemünde zuerst. Der kleine Ort war durch fremde Mächte von der Seeseite aus leicht zu besetzen, um die Hansestadt zu bedrohen.
Lange Zeit behinderten die Schweden so den freien Handel. Noch heute, so sagt man, seien die Warnemünder wegen dieser langen Geschichte der Bevormundung auf die Rostocker nicht allzu gut zu sprechen.
Das Seebad kam in Mode
Anfang des 19. Jahrhunderts fand Warnemünde nun seine eigentliche Bestimmung, und es war ganz sicher auch der mehr als 150 Meter breite Sandstrand, der allmählich den Ort zum aufblühenden Treffpunkt Erholung suchender Besucher machte. Die Badegäste, die man einfachheitshalber „die Berliner“ nannte, erreichten schon um die Jahrhundertwende die stolze Zahl von 14.000 pro Jahr. Denn es war einfach schick und kam zunehmend in Mode, den Sommer in diesem Seebad zu verbringen. In einer alten Fischerkate (Alter Strom 53) nahm unter anderem der norwegische Maler Edvard Munch 1906/07 Quartier und schuf das Gemälde „Alter Mann in Warnemünde“.
Wie sah Warnemünde damals aus? Die Bebauung beschränkte sich zunächst auf die Straßen Vörreeg (plattdeutsch für Vorderreihe, heute: Am Strom) und Achterreeg (plattdeutsch für Hinterreihe, heute: Alexandrinenstraße). Die bis heute erhaltenen Häuser wurden liebevoll restauriert und sind einen gemächlichen Bummel wert. Am Strom wurden die ersten Häuser gebaut, und es fällt sofort auf, wie eng sie nebeneinander stehen. All ihre Frontseiten sind nach Osten ausgerichtet, denn so sah man direkt auf die Warnow. Auch heute noch ankern hier und auf der gegenüberliegenden Seite Fischkutter, die vorwiegend dem Verkauf von Fischbrötchen dienen, während die allermeisten Häuser zu Läden umgewandelt wurden, in denen Touristen das kaufen können, was auch andernorts angeboten wird: Mützen, Schals, Schuhe, Schmuck, Mitbringsel, Postkarten. Originell ist das nicht.
Will man ein wenig von der Hafenatmosphäre aus alten Zeiten erahnen, so flaniert man über den Alten Strom, aber am besten in frühester Morgenstunde oder am späten Abend. Dann nämlich sind die meisten Tagestouristen wieder abgereist und die Möwen, die gerne den Besuchern im Sturzflug einen Bismarckhering, die Pommes oder ein Eis aus den Händen reißen, geben endlich Ruhe. Man schlendert nun den Alten Strom bis zur Hafenausfahrt an der 540 Meter langen Westmole entlang, wo zur einen Seite die Sonne hinter den Ortsausläufern und dem Sandstrand versinkt. Auf der anderen Seite schieben sich hell erleuchtete Fährschiffe gemächlich gen Norden ins offene Meer hinaus, flankiert von zwei kleinen Leuchtfeuern, grün die West-, rot die Ostmole. Sie nehmen Kurs auf das dänische Gedser. Hier peitschen bei kräftigem Wind die Wellen über die aufgestapelten Felssteine, hier gedenken die Angehörigen mit Blumen und Bildern ihrer auf See Bestatteten. An keinem anderen Flecken Warnemündes ist man der See und dem Fernweh näher.
Weitaus ruhiger und anmutiger bummelt es sich über die Alexandrinenstraße, wo dereinst Fischer, Lotsen und Seeleute lebten. Die schmucken Giebelhäuser, mit Schilf und Stroh gedeckt, errichtet in schlichtem Fachwerk, stehen ebenfalls sehr dicht aneinander, denn das Bauland war durch Dünen und Morast eng begrenzt und die schmalen Durchgänge blieben pittoreske Flecken, vom touristischen Gewusel noch nahezu unberührt.
Von hier aus führt die schmale Straße nach Norden zum mehr als 100 Jahre alten Leuchtturm, der mit einer Höhe von 32 Metern ein wichtiger Orientierungspunkt für alle einlaufenden Schiffe und Freizeitkapitäne ist und den Besucher zwischen Mai und Oktober erklettern können. Dann reicht der Blick über die langgezogene Küstenlinie bis zur Hansestadt Rostock.
Unterhalb des Turms liegt der „Teepott“, gemeinsam mit dem Leuchtturm das Wahrzeichen Warnemündes. Besonders markant die geschwungene Dachkonstruktion und die gläsernen Fronten, mit der 1968 die DDR ein kühnes, in die Zukunft weisendes architektonisches Zeichen setzen wollte. Ob dies auch mit dem drei Jahre später errichteten, 19-stöckigen „Hotel Neptun“ gelang, sei dahingestellt. Immerhin ist die Aussicht vom Dachcafé aus überwältigend.
Neben der sehenswerten Kirche, die im heutigen Zentrum Warnemündes von 1866 bis 1871 im neugotischen Stil errichtet wurde, empfiehlt sich auch ein Spaziergang durch den Kurpark, wo auf der benachbarten Freilichtbühne im Sommer regelmäßig Konzerte stattfinden. Noch interessanter jedoch erscheint der „Stephan-Jantzen-Park“. Der Grabstein seines Namensgebers ist hier zu finden und aus gutem Grund wurde die Anlage (ehemals Alter Friedhof) nach ihm benannt. Der 1872 in Warnemünde geborene Seesteuermann und spätere Kapitän umrundete auf großer Fahrt zweimal den Erdball und wurde später zum hiesigen Lotsenkommandeur ernannt. Insgesamt 94 Seeleuten rettete er mit Ruderrettungsbooten persönlich das Leben, darunter waren auch 14 portugiesische Seeleute. Dafür wurde er vom portugiesischen König mit dem Christusorden ausgezeichnet.
Konzerte an der Strandpromenade
Aber natürlich steht in der warmen Jahreszeit das Badevergnügen im Mittelpunkt. Schon 1834 wurde das erste Damen- und Herrenbad eröffnet. Die Geschlechter blieben züchtig voneinander getrennt und Treppen führten in die Fluten. Was kaum jemand weiß: Der Strandkorb ist eine Warnemünder Erfindung. Weil eine empfindliche Dame trotz der kühlen Winde auf ihr Strandvergnügen nicht verzichten wollte, konstruierte der Korbmacher Wilhelm Bartelmann 1882 diese bahnbrechende Erfindung, die heute von unseren Küsten nicht mehr wegzudenken ist.
Für Abwechslung ist an der Strandpromenade stets gesorgt: Konzerte, Drachenwettbewerbe, die Parade von Traditionsschiffen während der Hanse Sail und sogar ein Poloturnier am Strand sorgen für Kurzweil und Unterhaltung.
Wer den Rummel jedoch meiden möchte, folgt der Küstenlinie gen Westen, der langsam untergehenden Sonne entgegen. Hier sollte gewesen sein, wer die ganze Schönheit Warnemündes erleben will. Der Strand wird steiniger, die Küste steiler, windschiefe Bäume stehen nahe an den Abbruchkanten. Das Kliff von Stoltera, über das ein schmaler Fußweg führt, hat es in sich. Und es ist streng geschützt. Es besteht aus eiszeitlichen Ablagerungen und immer wieder verliert der feuchte Lehm- und Tonuntergrund seinen Halt, sodass es zu spektakulären Abbrüchen und Rutschungen kommt.
An dieser Steilküste findet man nun endlich jene Ruhe und Abgeschiedenheit, die zum ehrfürchtigen Verweilen einlädt. Denn nirgendwo sonst ist man der Natur so nahe wie hier zwischen Wald und offenem Meer, und vielleicht spürt man hier, was man in seinem Urlaub so lange schon gesucht hat: Seelenruhe.