Auch wenn die Hochrechnungen mehr versprachen, geht die Bürgerkoalition dennoch als knapper Wahlsieger hervor. Aber die Rechten sind ihnen dicht auf den Fersen.
Dass es knapp wird, hat in Polen jeder im Vorfeld erwartet. Doch am Ende sollte Donald Tusks amtierende „Bürgerkoalition“ (Koalicja Obywatelskiej, KO) sich auch bei den Europawahlen durchsetzen – und verdrängt damit erstmals seit 10 Jahren die national-konservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) von Platz eins. „Wir haben gezeigt, dass wir das Licht der Hoffnung für Europa sind“, sagte Ministerpräsident Tusk in der Nacht von Sonntag auf Montag selbstbewusst und kommentierte damit auch die Wahlergebnisse in Frankreich und Deutschland, bei denen die rechten Kräfte teils hohen Zuwachs eingefahren hatten.
Doch zu dem Zeitpunkt versprachen die polnischen Hochrechnungen auch noch einen recht klaren Vorsprung von rund 38 Prozent für die KO, sowie 33 Prozent für PiS. Ob Tusk am Montagfrüh ähnlich zufrieden aufstehen konnte, als seine Partei zwar bei 37,08 Prozent blieb, die PiS aber auf 36,16 Prozent aufschließen konnte?
Jaroslaw Kaczynskis PiS verliert somit zwar fünf ihrer bislang 25 Sitze im Europäischen Parlament, zeigt aber dennoch: Die PiS ist noch lange nicht weg vom Fenster. Im Gegenteil, besetzt sie nun nur einen polnischen Sitz weniger als Tusks KO. Insgesamt hat Polen 53 Sitze im EU-Parlament.
EU-Gegner holen mehr Stimmen
Dass Kaczynski, der gemeinhin seit Jahrzehnten als Dauer-Gegner Tusks gilt, dennoch solche Verluste einfahren musste – 2019 konnte man noch 45,4 Prozent der Wähler hinter sich vereinen –kommt nicht von ungefähr: Mit teils ultrarechter Rhetorik und permanenten Anschuldigungen gegenüber Donald Tusk fiel der 74-Jährige bereits während und vor den Kommunalwahlen in Polen auf. So warf er dem Tusk-Kabinett vor dem Hintergrund der Medienreform – die auf Rechtsgrundlage des Gesetzbuchs für Handelsgesellschaften und nicht auf einem regulären Gesetz beruhte – vor: „Tusks Wille ist das Gesetz. Es hat schon Leute gegeben, für die ihr Wille das Gesetz war. Der Wille des Führers war auch das Gesetz.“
Tusk hingegen nutzte den Moment und besetzte derweil in Polen relevante Themen wie die Bekämpfung illegaler Migration und Sicherheit gegenüber Moskau für sich und seine Bürgerkoalition, sachlich und unpopulistisch. Im Wahlkampf agierte er allerdings weitgehend allein, viel Unterstützung von anderen Parteikollegen erhielt er nicht.
Komplett aufatmen sollte Tusk, der nach dem Wahlergebnis der Europawahl bereits die Präsidentschaftswahl auf dem Schirm hat, bei der die KO auch Polens Präsidenten und Kaczynski-Freund Andrzej Duda ablösen will, also nicht.
Auch nicht, wenn man sich die weiteren Wahlergebnisse der Polen anschaut: Ausgerechnet die neue Partei des Ex-PiS-Politikers Robert Bakiewicz, die „Konfederacja“ („Unabhängigkeit“), konnte ein deutliches Plus einfahren (12,08 Prozent). Der „Polexit“ – also der Austritt Polens aus der Europäischen Union – ist deren klares Kernziel. „Die Europäische Union in ihrer heutigen Form ist eine Last. Sie ist überholt und perspektivlos“, so Bakiewicz, der nun mit sechs Sitzen für seine Ultrarechten die drittgrößte Kraft in der EU stellen wird.
Einbußen hinnehmen musste dafür der dritte Weg („Trzecia Droga“): Ihr erklärtes Ziel, mit grün-liberalen sowie christdemokratisch-konservativen Ideen eine Alternative zu den beiden dominierenden polnischen Parteien zu bieten, scheiterte krachend im Wahlkampf, als die Partei von Szymona Hołowni und Władysława Kosiniaka-Kamysza es nicht schaffte, Argumente für sich und gegen die KO zu finden. Mit 6,91 Prozent kommen sie immerhin noch auf drei Sitze, gleich viel wie die sozialdemokratische Lewica, die die letzten drei Plätze Polens erhält.