Das Ergebnis der Europawahl ist eine Herausforderung vor allem für den Mittelstand, so die geschäftsführende Vorständin des Bundesverbands Beteiligungskapital, Ulrike Hinrichs. Dieser brauche Planungssicherheit.
Frau Hinrichs, die Europawahl liegt hinter uns, eher linke Parteien haben verloren, konservative und vor allem rechtsextreme Parteien haben gewonnen – wie bewerten Sie das?
Da müssen wir die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament abwarten, aber dass die Union bei der Europawahl stabil abgeschnitten hat, ist schon mal ein gutes Zeichen. Man darf immer eines nicht vergessen, Europa besteht aus 27 Nationalstaaten. Diese haben sehr viele Verträge untereinander geschlossen. Es gibt keine Zölle zwischen den Ländern, der Warenverkehr kann frei fließen. Und wir als europäische Gemeinschaft haben weltweit weitere Verträge ausgehandelt. Da ist es zukünftig wichtig, dass wir als EU einheitlich auftreten. Diese Planungssicherheit ist aber auch für uns in Deutschland wichtig, damit die Unternehmen, die Gründer und Start-ups zukünftig wissen, wohin die Reise geht.
Nun wird immer wieder berichtet, dass das Kapital aus Deutschland abwandert, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen, ist das richtig?
Das ist leider nicht von der Hand zu weisen. Viele Investoren wandern ab, dieses Geld fehlt dann den Unternehmen. Es ist der Mittelstand, der den deutschen Wohlstand in der Hauptsache ermöglicht. Wir haben hier in Deutschland ein weltweit einmalig kompliziertes Steuersystem, das ist viel zu bürokratisch. Wenn es dann für Europa gut läuft, dann wandern die Unternehmen in die direkten EU-Nachbarstaaten ab. Damit bleibt dann zumindest die Wirtschaftskraft in der EU. Doch wenn es dann auch auf EU-Ebene zu viele bürokratische Hürden gibt, dann wandert das Kapital der Investoren komplett ab, nach China, Indien, in die USA oder den arabischen Raum. Das heißt für Unternehmen in Deutschland, aber unter dem Strich für die gesamte EU, es fehlt das Geld für wichtige Investitionen und damit auch Innovationen. Wir in Deutschland haben derzeit dieses Problem, aber wir müssen aufpassen, dass dies nicht zu einem europäischen Problem wird.
Der alte Leitspruch, Kapital ist flüchtig, gilt also auch heute noch?
Selbstverständlich ist Kapital flüchtig und wenn die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland und im Rest Europas durch immer neue Umweltauflagen erschwert werden, dann ziehen sich die Anleger zurück. Doch ohne Kapitalgeber kann auch ein mittelständischer Handwerksbetrieb nicht existieren. Der hat meist ohnehin schon große Probleme, durch die von mir schon angesprochene Bürokratie. Das gilt übrigens auch für die Landwirtschaft in Deutschland. Wir haben hier Umweltauflagen, die weltweit einzigartig sind. Doch welcher Geldgeber investiert in einen Hof, wenn ihm klar ist, dass die produzierten Bioprodukte aufgrund des hohen Preises nicht mal mehr in Deutschland, geschweige dann auf dem europäischen Markt marktfähig sind? Da wird der Landwirt lange nach entsprechenden Geldgebern suchen, denn dann nützt der ganze Bio-Ansatz nichts mehr. Hier muss gerade Deutschland aufpassen, die Spirale nicht zu überdrehen.
Ihren Worten entnehme ich, dass Sie nicht unbedingt eine Freundin der Grünen sind. Freut Sie das gute Abschneiden der Union bei der Europawahl?
Darum geht es mir überhaupt nicht, aber Sie haben recht, vieles was die Grünen in Regierungsverantwortung in den letzten Monaten durchgesetzt haben, ist für mich in weiten Teilen nicht mehr nachvollziehbar. Daraus können Sie schlussfolgern, dass ich mich über das Abschneiden der Union bei der Europawahl freue. Allerdings wäre es aus meiner Sicht gut gewesen, wenn die Union, aber auch die anderen Parteien etwas mehr Stimmen bekommen hätten. Dieses Ergebnis könnte gerade auch für die Wirtschaft in Deutschland zu einem Problem werden, weil wir jetzt über Wochen nicht wissen werden, wer denn zukünftig die EU-Kommission anführt, wer die einzelnen Ressorts besetzen wird. Diese Unsicherheit könnte zu einer weiteren Belastung der Wirtschaft und deren zukünftigen Ausrichtung werden.
Die AfD hat trotz eines desaströsen Wahlkampfs mit 16 Prozent ein erstaunlich gutes Ergebnis erreichen können. Verschreckt die AfD die Wirtschaft?
Ein Rechtsruck, wie wir ihn gerade in den ostdeutschen Ländern bei Kommunal- und auch bei der Europawahlen erlebt haben ist für die Wirtschaft nicht gut. Das verschreckt internationale Investoren und auch Firmen, die eventuell nach einem neuen Standort suchen. Da sind internationale Firmen dabei, die auch ihre Mitarbeiter mitbringen. Wenn diese dann einen neuen Standort aufbauen, aber sich die Mitarbeiter ihres Lebens nicht sicher sein können, überlegen sich das die Investoren dreimal, ob sie ihren neuen Standort dort ansiedeln, wo es einen hohen Prozentsatz von Rechtswählern gibt. Das hat schon einen Einfluss auf die Entscheider. Jeder Unternehmer möchte, dass seine Mitarbeiter gut und sicher leben und arbeiten können.
Wie schätzen Sie denn die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden sechs Monaten ein?
Wir sehen ganz klar, dass es eine positive Kehrtwende in der Politik derzeit nicht gibt. Ich gehe davon aus, dass dies der Wirtschaft nicht helfen wird und wir weiterhin hohe Fliehkräfte haben werden. Wenn die Politik keine klare Linie vorgibt, wird dies immer für die Wirtschaft sehr schwierig, die Planungssicherheit braucht. Ich hoffe, dass die Europawahl keine so große Auswirkung auf die Politik der Bundesregierung hat und nun doch mal die langen Linien erkennbar werden, wohin die Reise gehen soll. Also ich hoffe, dass wir in den kommenden Monaten eine stabile Regierung haben und das sich dort dann die Vernunft durchsetzt, dass die Wirtschaft ein wichtiger Anker für die Stabilität und damit Gestaltungskraft ist.