Klarer Gewinner der Europawahl in Deutschland ist die CDU. Größter Verlierer sind die Grünen. Ausschlaggebend für die Wahl war vor allem die Bundespolitik.
Die Europawahl war in Deutschland eine „Denkzettelwahl“. Zumindest für die Hälfte der Menschen, die zur Wahl gegangen sind. 49 Prozent Prozent haben laut Befragung die Wahl genutzt, um ein Votum über die aktuelle Bundespolitik abzugeben. Und über die Hälfte (55 Prozent) hat nach der Wahl gesagt, dass für ihre Stimmabgabe die Bundespolitik entscheidend war. Insofern war das Ergebnis kaum überraschend.

Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl lautet das Ergebnis für die Ampel-Koalitionäre auf diesem Zeugnis: Versetzung stark gefährdet. Unionsfraktionsvize Jens Spahn forderte denn auch gleich, der Kanzler müsse nun „die Vertrauensfrage“ stellen. Dass bei aller Unzufriedenheit mit Regierungskoalition zugleich eine klare Wechselstimmung vorherrschen würde, geben die Ergebnisse nicht unbedingt her.
Tiefpunkt für die Kanzler-Partei
Ein zentrales Thema des Wahlabends war naturgemäß das historisch schlechte Europa-Wahlergebnis der SPD, der „Kanzlerpartei“. Unter 14 Prozent ist für die SPD, die sich selbst als ausgesprochene Europapartei versteht, ein ausgesprochener Tiefpunkt. Ein Ergebnis „weit unter dem Anspruch“, ordnete Generalsekretär Kevin Kühnert das Ergebnis ein und Parteichef Lars Klingbeil sprach von einer „bitteren Niederlage“.
Die haben auch die Grünen erlitten. Sie sind die großen Verlierer, gemessen nicht nur an den prozentualen Verlusten. Ihre zentralen Themen, insbesondere Klimaschutz, spielten bei dieser Wahl für Wählerinnen und Wähler in Deutschland keine Rolle. Und wenn, dann eine negative Rolle, was anderen Parteien in die Hand gespielt haben dürfte.
Die wichtigsten Themen aus Sicht der Bundesbürger waren Frieden, soziale Sicherheit und Zuwanderung. Erst dann kam – mit deutlichem Abstand – Klimaschutz. Eine Umkehrung der Prioritätenliste im Vergleich zur letzten Europawahl.
Die FDP krebst weiter um die fünf Prozent. Für die Europawahl kein Problem, weil es dort bekanntlich keine Untergrenze gibt. Mit Blick auf die nächste Bundeswahl bleibt es für die Liberalen kritisch. Inwiefern die Positionierungen von Parteichef Christian Lindner, der sich als Finanzminister gelegentlich wie Opposition in der Regierung geriert, eine Talfahrt der Liberalen verhindert haben, war am Wahlabend schwer auszumachen, sonderlich geholfen hat es offenbar aber auch nicht. Für die FDP geht der Kampf um die parlamentarische Existenz weiter. Die Union (CDU und CSU) bleibt mit 30 Prozent bei dieser Wahl auf Volkspartei-Niveau.
Damit bestätigen sich die dauerhaften Umfrageergebnisse, ohne dass es einen großen Sprung nach vorne gegeben hätte, was für die führende Oppositionspartei bei einer „Denkzettelwahl“ ein kleiner Wermutstropfen sein dürfte. Zu Denken dürfte auch geben, dass sich an den Kompetenzwerten für die Partei nichts geändert hat. Nicht einmal 30 Prozent trauen der Union zu, die wichtigsten Probleme Deutschlands lösen zu können (27 Prozent laut infratest/dimap für die ARD). Ein vergleichsweise schwacher Wert – auch wenn die Werte für die anderen noch deutlich schwächer ausfallen.
Unabhängig davon dürfte der klare Wahlsieg der Union ein neuerliches Gerangel um die nächste Kanzlerkandidatur ersparen. CDU-Chef Friedrich Merz hat sich schon im Wahlkampf um möglichst staatsmännische Auftritte bemüht, jetzt dürfte kaum ein Weg an ihm vorbeiführen.
Das Ergebnis der AfD liegt deutlich unter dem, was sich noch vor einem halben Jahr zu Jahresbeginn in Umfragen angedeutet hat. Trotzdem bedeutet es bundesweit Platz zwei in der Parteienlandschaft und in den ostdeutschen Ländern sogar Platz eins. Die Skandale der letzten Monate konnten dem harten Wählerkern der AfD nichts anhaben, und viele Wechselwähler nicht abschrecken, diesmal AfD zu wählen. Annähernd die Hälfte der AfD-Wähler gab an, die Partei aus Enttäuschung über andere Parteien gewählt zu haben. Insofern mag Co-Parteichef Timo Chrupalla recht haben, wenn er sagt, die Partei werde auch unabhängig davon gewählt, welche Personen sie aufstellt. Er bezog das zwar auf die beiden Spitzenkandidaten, die im Wahlkampf nicht mehr auftreten durften, die Feststellung dürfte aber durchaus einen Kern treffen.

Als Wahlsieger darf sich auf jeden Fall das Bündnis Sahra Wagenknecht BSW sehen. Aus dem Stand hat sich die Partei so positioniert, dass sie auch für die nächste Bundestagswahl zu einer ernstzunehmenden Größe geworden ist. „Wir werden das Land verändern“, kommentiert Wagenknecht das Ergebnis. Die Landtagswahlen im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern wird zur Bewährungsprobe für diesen Anspruch.
Bei den kleineren Parteien, die nochmal den Sprung ins Europaparlament geschafft haben, fällt vor allem eine Gruppierung besonders ins Auge. VOLT ist die einzige Partei, die explizit einen europäischen Wahlkampf gemacht und sich damit bewusst von den anderen abgehoben hat, die den Wahlkampf vor allem unter innenpolitischen Aspekten bestritten haben. VOLT konnte damit ihren bescheidenen Anteil (0,8 Prozent) von vor fünf Jahren auf jetzt 2,5 Prozent verdreifachen und kann zwei Abgeordnete nach Brüssel/Straßburg entsenden.
Die hohe Wahlbeteiligung (65 Prozent) dürfte mit großer Sicherheit auch damit zu tun haben, dass der Wahlkampf stark auf ein Votum über die Bundespolitik angelegt war – und vermutlich höchstens zu einem Teil daran, dass es eine neue Europabegeisterung gibt. Unabhängig davon ist die grundsätzliche Zustimmung zu Europa nach wie vor auf hohem Niveau. Über zwei Drittel der Anhänger der meisten Parteien (bis zu einem Spitzenwert von über 90 Prozent bei den Grünen) sehen in einer EU-Mitgliedschaft Vorteile. Bei BSW-Wählern sind es noch knapp 40 Prozent und bei AfD-Wählern unter 15 Prozent.