Es war zu erwarten: Nachdem zahlreiche rechtsgerichtete Regierungen und Regierungsbeteiligungen bereits in Europa im Amt sind, zieht nun das EU-Parlament nach. Eine Gewinnerin des Abends ist die französische Rechtsextremistin Marine Le Pen.
Ein Wahlausgang wie vorhergesagt: Europa rückt weiter nach rechts, dies zeigt ein Blick in die Nachbarländer Deutschlands. Vor allem die rechtsextremen Parteien verzeichnen Stimmenzuwächse: In Österreich wird die FPÖ erwartungsgemäß stärkste Kraft, ihr Abstand zur konservativen ÖVP aber liegt bei unter einem Prozent. In Belgien siegt der rechtsnationalistische Vlaams Belang, dessen Ergebnis deutlich niedriger lag als vorab erwartet worden war. In Italien liegen die Postfaschisten komfortabel vorne. Die Wahlbeteiligung war mit 48 Prozent niedriger als 2019 – womöglich wegen des Europawahlkampfes der teils rechtsgerichteten Regierungskoalition, die die EU oftmals als Witzfigur darstellte. Wahlgewinner sind Fratelli d’Italia, gefolgt von den Sozialdemokraten und der euroskeptischen Fünf-Sterne-Bewegung. Dagegen zeichnete sich im zunehmend autoritär und rechtsnationalistisch regierten Ungarn schon früh am Wahlabend eine Rekordbeteiligung von 59 Prozent ab, deutlich mehr als in den vorangegangenen Europawahlen. Das nützt vor allem einer neuen politischen Kraft, der konservativen TISZA, die die Korruption der regierenden Fidesz-Partei, auch diesmal auf Platz eins, anprangert. Sie holte aus dem Stand fast 30 Prozent der Stimmen. Auch in Spanien feiert die rechtsextreme Vox-Partei Stimmzuwächse, doch die Mehrheit der Wählerstimmen entfiel, wie schon bei den Parlamentswahlen im vergangenen Sommer, auf die konservative Volkspartei und, auf Platz zwei, die Sozialisten.
Die Nachricht des Abends aber kam aus Paris. Nach dem zweiten verheerend schlechten Ergebnis bei einer Europawahl für seine Partei gegen den rechtsextremen Rassemblement National rief Präsident Emmanuel Macron für den 30. Juni die Neuwahl der Nationalversammlung aus. Marine Le Pens Partei, mit der sie 2027 die französischen Präsidentschaftswahlen gewinnen will, bildet auch künftig die mächtigste Delegation innerhalb von „Identität und Demokratie“-(ID), dem teils rechtsextremen Parteienblock innerhalb des EU-Parlaments (mehr dazu auf den folgenden Seiten).
Grüne verlieren am deutlichsten
Die Niederlande pendeln in ihrem Wahlergebnis nach dem Gewinn der rechtsextremen PVV bei den Parlamentswahlen in die Gegenrichtung: Hier liegt die grün-linke Wahlkoalition des Ex-EU-Kommissars Frans Timmermans vor der PVV. In Tschechien verteidigte die oppositionelle eurokritische ANO-Koalition ihren Sieg in den vorherigen Europawahlen vor der konservativen Regierungskoalition „Zusammen“.
Polens Bürgerkoalition verweist die rechtsnationalistische PiS auf Platz zwei. Das Bündnis von Ministerpräsident Donald Tusk holte einen Vorsprung bei den Wahlen heraus, die PiS verliert weiter an Rückhalt (mehr dazu auf den folgenden Seiten). In Luxemburg dominiert erwartungsgemäß die konservative CVP vor den Sozialisten und den Liberalen. Dänemark, deren sozialdemokratische Ministerpräsidentin kurz vor der Wahl noch auf offener Straße attackiert worden war, wählt vor allem sozialdemokratisch, die Grünen wurden dort jedoch überraschend stärkste Kraft. Die Slowakei zeigte immer eine relativ niedrige Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen, diesmal lag sie jedoch bei mehr als 34 Prozent – womöglich ein Ergebnis des Anschlages auf den linksnationalistischen Premier Robert Fico, dessen Partei Smer auf Platz zwei landete, hinter der sozialliberalen Progressiven Slowakei.
Derzeit besitzen die Parteienblöcke rechts der Mitte noch keine Mehrheit im EU-Parlament. Das Problem: Marine Le Pens Rauswurf der AfD aus dem ID-Block wegen der Spionageskandale. Mit den 16 Sitzen der AfD und den neun Sitzen der ungarischen Fidesz käme eine solche Mehrheit zustande, ID wäre damit die drittstärkste Fraktion. Schon im Januar hatte die ID der Partei Viktor Orbans einen möglichen Beitritt signalisiert. Sollte die AfD wegen ihres glänzenden zweiten Platzes trotz der Skandale wieder aufgenommen werden, könnten sich die Machtverhältnisse verschieben. Das seit Jahrzehnten gesetzte Bündnis der Mitte aus Europäischer Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten (SD) und Liberalen (Renew) scheint jedoch auch diesmal die Mehrheit zu behalten. Doch auch der euroskeptische rechte Block (EKR) und darin die italienische Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr Koalitionspartner Lega Nord liebäugeln mit der EVP, um die künftige Politik in Brüssel umzugestalten. Eine Gewinnerin des Abends ist sicherlich die Französin Marine Le Pen, ihr Einfluss wächst. Ob sie oder Giorgia Meloni künftig die entscheidenden Strippenzieherinnen hinter den Brüsseler Kulissen werden, wird sich erst in den kommenden Wochen entscheiden – nach der französischen Wahl.