Nach dem spielerisch-leichten Gewinn des Giro d’Italia 2024 strebt Tadej Pogacar nun das selten gewordene Double an. Danach hat er auch noch den Start bei den Olympischen Spielen und der Straßenrad-WM geplant.
Den Hattrick wird er dieses Jahr noch nicht in Angriff nehmen. Denn nach seinem grandiosen Sieg bei seinem Debüt im Giro d’Italia 2024 hatten nicht wenige Radsport-Experten Spekulationen darüber angestellt, dass dem leichtgewichtigen slowenischen Bergfloh Tadej Pogačar, der bei einer Körpergröße von 1,76 Meter gerade mal rund 66 Kilogramm Gewicht auf die Waage bringt, als erstem Radsportler der Geschichte das Kunststück gelingen könnte, in einem Jahr alle drei Grands Tours, Giro, Tour de France und Vuelta, zu gewinnen.

Start bei der Vuelta ist kein Thema
Womit impliziert wurde, dass dem 25-Jährigen gleichsam im Vorbeigehen sein nach 2020 und 2021 insgesamt dritter Triumph bei der am 29. Juni 2024 in Florenz startenden 111. Auflage der Tour de France gelingen wird. Obwohl es angesichts der fortschreitenden Spezialisierung im internationalen Profi-Radrennsport lange Zeit so ausgesehen hatte, dass es keinem Spitzenfahrer mehr gelingen wird, den Double-Sieg von Giro und Tour in einer Saison zu erringen. Am nächsten dran an diesem Coup war 2018 der Brite Chris Froome gewesen, der sich allerdings nach seinem Erfolg beim Giro mit dem dritten Platz bei der Tour begnügen musste.
Letztmals war das Double-Husarenstück dem Italiener Marco Pantani im Jahr 1998 gelungen, davor hatten dies nur sechs weitere Athleten geschafft. Mit Eddy Merckx und gleich drei Double-Erfolgen 1970, 1972 und 1974 an der Spitze, gefolgt mit jeweils zwei Double-Triumphen vom Italiener Fausto Coppi 1949 und 1952, vom Franzosen Bernard Hinault 1982 und 1985 und vom Spanier Miguel Indurain 1992 und 1993. Den Franzosen Jacques Anquetil 1964 und den Iren Stephen Roche 1987 nicht zu vergessen.
In diesen illustren Kreis könnte sich Tadej Pogačar am 21. Juli 2024 einreihen, wenn mit der 21. Etappe die diesjährige Tour der France mit einer Gesamtlänge von 3.492 Kilometern zu Ende gegangen. Einen Sieg bei der Vuelta a Espanã wird Tadej Pogačar diesen Spätsommer aber laut eigenem jüngsten Bekunden gegenüber Eurosport auch dann nicht in Angriff nehmen: „Ich kann Ihnen versichern, dass das Giro/Tour/Vuelta-Triple in diesem Jahr nicht auf dem Programm steht.“
Seine Saisonplanung sah aber wohl einen Start bei den Olympischen Spielen in Paris vor. Auch wenn die Terminansetzung für das olympische Zeitfahren, gerade mal sechs Tage nach dem Tour-Abschluss, alles andere als glücklich sein dürfte. Aber falls Tadej Pogačar tatsächlich nach Paris anreisen sollte, wird er sich als einer der Goldfavoriten das Rennen gegen die Uhr wohl ebenso wenig entgehen lassen wie das eine Woche später am 3. August 2024 anstehende olympische Straßenradrennen. Auch wenn der Slowene die Wertigkeit der Olympischen Spiele für sich persönlich nicht so hoch angesiedelt hat, wie die Ende September 2024 in Zürich stattfindende Straßenrad-Weltmeisterschaft. Bei dieser hat er sowohl den Titel im Einzelzeitfahren, als auch im Straßenrennen dank eines auf Bergspezialisten geradezu perfekt zugeschnittenen Kurses ins Visier genommen. Der Gewinn des Doubles Giro-Tour und der WM-Krone in einem Jahr ist bislang nur zwei Fahrern gelungen: Eddy Merckx 1974 und Stephen Roche 1987.

Stichwort Eddy Merckx. Mit dem legendären Belgier, der in den 1970er-Jahren die Konkurrenz in Grund und Boden gefahren hat und wegen seines unstillbaren Siegeshungers auf den Spitznamen „Kannibale“ getauft wurde und der gemeinhin als der größte Radfahrer aller Zeit angesehen wird, wurde der am 21. September 1998 im slowenischen Klanec geborene Tadej Pogačar erstmals schon 2021 nach seinem zweiten Tour-Sieg verglichen. Sogar Merckx selbst hatte schon damals den Shootingstar in höchsten Tönen gelobt: „Er ist umso viel besser, als ich es in diesem Alter gewesen bin.“ In den Jahren 2022 und 2023 schien der Aufstieg des Slowenen trotz beeindruckender Triumphe bei Klassiker-Rennen etwas zu stagnieren, musste er sich bei diesen beiden Tour de France-Ausgaben dem ebenso hochkarätigen Dänen Jonas Vingegaard geschlagen geben. Was Pogačar und die Führung seines UAE-Teams Emirates ganz erheblich gewurmt haben dürfte.
Trainingsprogramm wurde umgestellt
Von daher wurde vor dem Saisonbeginn 2024 das Trainingsprogramm auf den Prüfstand gestellt und der verantwortliche Coach ausgewechselt. Statt des Medizinprofessors Inigo San Millan, der seinem Schützling jahrelang Einheiten mit Schwerpunkt auf niedrigen Intensitäten verschrieben hatte, wurde dessen spanischer Landsmann Javier Sola zur Betreuung des UAE-Stars verpflichtet. Wobei Sola eine Neuausrichtung des Übungspensums in Richtung hochintensiver Intervalle und ausgiebiger Kraftübungen vornahm. Alles fraglos mit Blick auf Vingegaard, der in den vergangenen beiden Jahren bei der Tour de France sowohl im Zeitfahren, als auch bei extrem schweren Bergetappen auf Augenhöhe mit dem Slowenen war. Vingegaard konnte zwar den rasanten Antritten des Slowenen bei steilsten Anstiegen meist nichts entgegensetzen, doch konnte er häufig den Rückstand durch ein hohes und kontinuierlich gesteigertes Tempo wieder egalisieren.

Die Entscheidung, neben der Tour de France auch den Giro d’Italia in der Saison 2024 in Angriff zu nehmen, wurde laut dem Schweizer UAE-Team-Manager Mauro Gianetti relativ kurzfristig gefasst: „Tadej ist jetzt im richtigen Alter, und auch die Route des Giro d`Italia war perfekt, definitiv nicht so schwer wie bei früheren Ausgaben. Als wir die Route bei der Giro-Präsentation 2024 sahen, sagten wir: ‚Wow! Das ist das Jahr, um es zu versuchen.“ Flugs wurde der Rennkalender umgestellt. Die bislang übliche Ballung von Pogačar-Stars bei den Frühjahrs-Klassikern wurde auf drei Rennen beschnitten. Wobei der Slowene beim Strade Bianche nach einem 81 Kilometer langen Solo-Ritt triumphiert hatte, bei Mailand-San Remo den dritten Platz belegen konnte und schließlich Ende April Lüttich-Bastogne-Lüttich für sich entscheiden konnte. Ende März hatte er zudem einen dominanten Gesamtsieg bei der Katalonien-Rundfahrt erzielen können. Schon vor dem Start der 107. Auflage des Giro d’Italia am 4. Mai 2024 galt Pogačar daher als haushoher Siegesanwärter. Und er sollte seiner Favoritenrolle mit sechs Etappenerfolgen (was zuletzt Eddy Mercks 1973 gelungen war) und einem geradezu riesigen Vorsprung von 9:56 Minuten auf den für das Team Bora-hansgrohe fahrenden Zweitplatzierten Daniel Martinez mehr als gerecht werden.
Fragezeichen hinter Vingegaard

Einen größeren zeitlichen Vorsprung für den Giro-Sieger hatte es letztmals 1965 gegeben, als der Italiener Vittorio Adorni die Konkurrenz um 11:26 Minuten distanzieren konnte. Vor allem die spielerische Leichtigkeit, mit der Pogačar bei seinen Attacken die Chefs der anderen Mannschaften in den Bergen hinter sich gelassen hatte, sorgte für Aufsehen. Im Unterschied zu Eddy Mercks, dem keiner seiner Gegner die vielen Siege gegönnt hatte, gilt Pogačar im Kollegenkreis dank seines freundlichen Auftretens als überaus beliebt. Er hat sich daher das Image eines „sympathischen Kannibalen“ zulegen können, der sich beispielsweise auf der neunten Giro-Etappe für seinen Edelhelfer Sebastián Molano ins Zeug gelegt und der sich auf der 17. Etappe mit dem zweiten Platz begnügt hatte, obwohl er mit einem früheren Angriff am Schlussanstieg aller Wahrscheinlichkeit nach den deutschen Ausreißer Georg Steinhauser von EF Education-Easy Post noch hätte abfangen können. Auch bei der anstehenden Tour de France mit sieben schweren Bergetappen und zwei Einzelzeitfahren, wovon eines am letzten Tag über 35 Kilometer von Monaco nach Nizza führen wird (ein Finale gegen die Uhr hatte es zuletzt 1989 gegeben), gilt Pogačar als haushoher Favorit. Was zum einen an seinem bärenstarken Team liegt, das mit ihm als Edelhelfer dienenden Stars wie Adam Yates, Joao Almeida, Juan Ayuso, Marc Soler oder Pavel Sivakov geradezu gespickt ist und sich sogar den Verzicht auf den Polen Rafal Majka leisten kann, der den Slowenen beim Giro zum Sieg mitgefahren hatte. Zum anderen am Verletzungspech der wesentlichen Konkurrenten.
Denn mit Jonas Vingegaard, dem Slowenen und neuen Bora-hansgrohe-Kapitän Primož Roglič sowie dem belgischen Tour-Debütanten Remco Evenepoel von Soudal-Quickstep hatten sich gleich alle drei weiteren Tour-Sieganwärter bei der Baskenland-Rundfahrt Anfang April 2024 teils schwere Verletzungen zugezogen. Roglič und Evenepoel hatten zwar Anfang Juni 2024 die Dauphiné-Rundfahrt in Angriff genommen, ob sie jedoch rechtzeitig zur Tour de France in Topform sein werden, bleibt abzuwarten. Vingegaards Tour-Teilnahme steht selbst für den eigenen Rennstall Visma/Lease a Bike, der auch noch auf ein Mitwirken des von einer Verletzung wieder genesenen Belgiers Wout van Aert hofft, völlig in den Sternen. Er hat zwar das Training inzwischen wieder aufgenommen, doch wird er ohne Rennpraxis an den Tour-Start gehen müssen. TV-Experte Jens Voigt ließ verlauten, dass er eine Teilnahme für ziemlich unwahrscheinlich halte. Weil ein Mitwirken nur dann Sinn macht, wenn er ernsthaft um den Gesamtsieg mitfahren könne.