Nach dem Polizistenmord in Mannheim durch einen afghanischen Staatsbürger liegen die Nerven bei den Sicherheitsbehörden blank. Vor der Fußball-EM ist die Sicherheitslage ohnehin ein Mega-Thema.
Ein bemerkenswerter Vorgang im Deutschen Parlamentsalltag: Bundeskanzler Olaf Scholz meldet überraschend in der ersten Sitzungswoche im Juni eine Regierungserklärung an. In der Regel greifen Regierungschefs zu diesem Mittel, wenn ein Spitzentreffen von EU, ein G7- oder G20-Gipfel ansteht oder ein besonderes Ereignis die Politik herausfordert.
Mit dem Polizistenmord von Mannheim und der bevorstehenden Fußball-EM im eigenen Land kommen gleich zwei Dinge zusammen, die zur Sorge um die Sicherheitslage in Deutschland Anlass geben. Auch für den Bundeskanzler.
Bei dem dringend tatverdächtigen Polizistenmörder von Mannheim handelt es sich um einen abgelehnten 25jährigen Asylbewerber aus Afghanistan, der von hinten auf den 29-Jährigen Polizeibeamten eingestochen hat. Der Kanzler spricht vor dem Parlament von radikalem Islamismus, bezeichnet diesen als eine „menschenfeindliche Ideologie“ und stellt damit klar, dass es dafür nur einen Begriff gebe: „Terror“. Fazit von Olaf Scholz: „Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren. Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen.“
„Menschenfeindliche Ideologie“
Deutliche Worte des Kanzlers, die beim Grünen Koalitionspartner erkennbar Unwohlsein auslösen. Die allermeisten Grünen Abgeordneten in der Bundestagsfraktion wenden sich aus humanitären Gründen gegen eine Abschiebung in unsichere Herkunftsländer.
Bei der Linken geht man noch einen Schritt weiter und befürchtet, würde man jetzt den Attentäter von Mannheim tatsächlich nach Afghanistan abschieben, dann könnte es sein, dass dieser in seinem Heimatland von dem dort herrschenden Taliban-Regime womöglich als Märtyrer gefeiert werde, was aufgrund der Tat nicht ganz unwahrscheinlich ist. Immerhin sollte der Polizist eine Islamkritische Demonstration in der Mannheimer Innenstadt beschützen.
Die Forderung nach Abschiebungen nach Afghanistan (und nach Syrien) ist schnell erhoben, aber in der Praxis alles andere als einfach. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, hat erhebliche Zweifel, wie man mit Afghanistan als Abschiebeland schon rein praktisch sprechen soll, es gebe überhaupt keine diplomatischen Beziehungen zum Taliban-Regime in Kabul. Haßelmann ist zwar auch dafür, Straftäter ohne Asylstatus abzuschieben. Allerdings gilt nach deutschem Recht für alle Herkunftsländer: Es muss geprüft werden, ob die Sicherheitslage so eine Abschiebung nach einer Straftat überhaupt erlaubt.
Renommierte Staatsrechtler geben der Grünen Fraktionschefin da recht. Wer auf deutschem Boden eine schwere Straftat begeht, muss nach den hier geltenden Gesetzen verurteilt werden. Und auch die Idee, nach britischem Vorbild in Drittländer abzuschieben, ist für die grüne Fraktionschefin nicht nachvollziehbar. „Auch wird zu klären und zu prüfen sein, für welches Drittland es attraktiv sein soll, Terroristen oder schwere Straftäter aufzunehmen“, so Haßelmann im Bundestag. Vor allem, da es zu so einem Vorhaben noch überhaupt keine Gespräche mit möglichen Drittländern gibt, die abgelehnte, straffällige Asylbewerber aufnehmen wollen.
Sollte sich tatsächlich ein Drittland finden, wie im Falle Großbritanniens Ruanda, dürften die Kosten für so eine Abschiebung beträchtlich sein.
Die Kritik an dem Vorstoß des Kanzlers war massiv, aus unterschiedlichen Gründen: humanitäre, juristische, pragmatische. Aber das Thema ist jetzt gesetzt.
In Anbetracht der Fußball-Europameisterschaft und der sich massiv verändernden Gefährdungslage sind auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser und BKA-Präsident Holger Münch bemüht, ein gewisses Gefühl von Sicherheit in Deutschland zu vermitteln. Dazu gehört auch das Signal, dass Gewalttaten in letzter Konsequenz mit der Ausweisung geahndet werden würden und dass vor Beginn der Fußball-EM an allen deutschen Grenzen wieder Kontrollen durchgeführt und in Verdachtsfällen die Einreise verweigert werde.
Natürlich ist auch dem Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, klar, sollte tatsächlich ein Anschlag in Planung oder gar in Vorbereitung sein, dann sind die Attentäter längst im Land.
Gefahrenlage nicht nur abstrakt vorhanden
Rund 45.000 Einsatzkräfte stehen der Bundespolizei zur Verfügung. Seit dem ersten Juni herrscht Urlaubssperre, wie übrigens auch bei vielen Polizeidienststellen in den Ländern. Die Bundespolizei steht vor einer ihrer größten Anforderung der letzten Jahrzehnte. Die Außengrenzen sollen geschützt und vor allem überwacht werden. Dazu kommen die Flughäfen und Bahnhöfe. Allein diese Aufgaben sind sehr personalintensiv. Gleichzeitig soll die Bundespolizei dann aber auch noch die Länder vor Ort unterstützen. Wie das alles zusammengehen soll, kann (oder will) auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser gegenüber dem FORUM nicht näher erläutern.
Deutschlands größte Fan-Meile am Brandenburger Tor in Berlin ist vom Tiergarten umschlossen. In dieser riesigen Parkanlage suchen Berliner Polizisten aber auch die Bundespolizei schon seit Ende Mai alles ab, beispielsweise nach möglichen Waffen- und Munitionsdepots, die dort irgendwo vergraben sein könnten. Bislang gab es keine Funde.
Die Vorsichtsmaßnahmen können sicherlich gegen tatsächlich geplante Anschläge von organisierten Gruppen helfen, aber kaum bis gar nicht gegen Einzeltäter, die auf eigene Faust mit einem Messer oder einer Machete losziehen.
Weder Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD), noch ihre Amtskollegen aus den anderen Bundesländern wollen sich gerne zu dieser unkalkulierbaren Gefahrenlage äußern. Doch nach dem Messer-Polizistenmord in Mannheim ist klar, dass es sich nicht um eine abstrakte Gefahrenlage handelt, sondern eine sehr konkrete.