Junge Helden e. V. hat vor rund einem Jahr das Organspende-Tattoo ins Leben gerufen. Das Motiv aus einem Kreis und zwei Halbkreisen symbolisiert die Zustimmung zur Organspende und wird in teilnehmenden Studios kostenlos gestochen. Auch Simone Deppner hat in ihrem Studio „Cosmic Ink“ in Saarbrücken das neue Motiv bereits auf die Haut gebracht.

Die Maschine brummt, während die Nadel sich Millimeter für Millimeter, Zentimeter für Zentimeter vorwärts arbeitet. Langsam hinterlässt die Tinte dicke schwarze Linien, ein Kreis schließt sich. In ihrem Tattoo-Studio am St. Johanner Markt in Saarbrücken arbeitet Simone Deppner hoch konzentriert. Die Tattoo-Künstlerin hat heute ein besonderes Motiv vor der Brille: das Organspende-Tattoo, das Anfang 2023 vom Münchner Verein Junge Helden e. V. initiiert wurde.
„In Deutschland warten rund 8.500 Menschen auf ein Spenderorgan. Leider gibt es zu wenig Organspender, was unter anderem an der umstrittenen Zustimmungslösung liegt, mit der man der Organentnahme aktiv zustimmen muss“, sagt Anna Barbara Sum, die bei Junge Helden e. V. seit 20 Jahren Aufklärung über Organspende betreibt. Sie selbst hat den Verein mitgegründet – eine gemeinnützige Organisation, die von der Hilfe vieler ehrenamtlicher Unterstützer getragen wird. „Wir haben uns immer stark gemacht für die Widerspruchslösung. Und uns überlegt, welche Wege es gibt, die positive Grundhaltung, die es in der Bevölkerung gibt, aufzunehmen. Das Tattoo ist eine andere Form der Zustimmung. Das Thema Organspende ist sehr komplex, da braucht es verschiedene Wege. Das Tattoo ist nur ein weiterer Weg, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Letztendlich verfolgen wir alle das gleiche Ziel: die Zahlen zu erhöhen.“
Ein Tattoo-Künstler hat das Motiv entworfen
Das Motiv besteht aus einem Kreis und zwei Halbkreisen und wurde von dem in der Szene bekannten Tattoo-Künstler GARA entworfen, der in seiner Heimat Seoul, Berlin und New York arbeitet. Mit den zwei Hälften, die zusammen ein Ganzes ergeben, symbolisiert es das Geschenk des Lebens – die Organspende. Es wurde so entworfen, dass es einfach und schnell zu tätowieren ist, sich leicht in der Größe variieren, an den eigenen Stil anpassen sowie in vorhandene Tattoos integrieren lässt. Die Formen bilden außerdem das Akronym für „Organ Donor“, also das englische Wort für „Organspender“.
Die Idee der Initiative ist einfach: In teilnehmenden Tattoo-Studios können sich Interessierte bundesweit und kostenlos mit dem Motiv tätowieren lassen, als eine Art Willensbekundung. Anfang 2023 hat der Verein das Motiv bei der Tattoo-Convention in Braunschweig vorgestellt. „Das Motiv ist schlicht, damit es sich sowohl an die Stile von den Menschen anpassen lässt, die es bekommen, als auch an die Ideen der jeweiligen Tattoo-Künstler“, erklärt Anna Barbara Sum. „Wir waren überwältigt von der Resonanz. Wir hatten direkt so viel positive Rückmeldung, es war quasi ein Selbstläufer.“
„Die Faszination war tief in mir verwurzelt“

Nach Angaben des Vereins wurden bereits 7.500 Menschen seit Beginn der Aktion vor über einem Jahr tätowiert. Über 650 Tattoo-Studios in ganz Deutschland machen bereits mit, darunter auch mehrere im Saarland. Als Simone Deppner von dem Organspende-Tattoo erfuhr, war sie direkt begeistert. Die 51-Jährige eröffnete im August 2013 ihr erstes Studio in Saarbrücken, seit fünf Jahren ist sie jetzt am St. Johanner Markt. „Ich finde, dass Tattoos und Organspende eine große Gemeinsamkeit haben. Es ist etwas Bleibendes und ein Stück von der Seele des Menschen kommt immer mit.“ Für Simone Deppner ist jedes Tattoo sehr persönlich – sie passt sich den Vorstellungen der Kunden an und webt auch ihre eigenen Emotionen in die Entwürfe mit ein. „Mit meiner Kunst kann ich die Menschen in dem Ausdruck ihrer Emotionen unterstützen. Und mit dem Organspende-Tattoo können wir alle gemeinsam darauf aufmerksam machen und dazu beitragen, dass sich andere damit auseinandersetzen – und sei es nur, darüber zu reden und sich eine Meinung zu bilden.“
Simone Deppner träumte bereits als Jugendliche davon, Tätowiererin zu werden. „Ich weiß nicht, woher die Faszination kam, aber sie war tief in mir verwurzelt“, blickt sie zurück. Ihr Vater überzeugte sie davon, als Vorbereitung für eine mögliche spätere Selbstständigkeit zunächst eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren. Später machte Simone Deppner eine weitere Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin, arbeitete 15 Jahre in einem Kinderheim und bekam zwei Kinder. „Aber ich hatte schon immer eine künstlerische Ader und als ich dann zwei Jahre Auszeit genommen hatte, dachte ich mir: Ich wollte das schon immer machen und wenn nicht jetzt, wann dann?“ Sie ging bei einem Tattoo-Künstler aus Peru in die Lehre, der ein Studio in Basel hatte. „Heute bin ich sehr dankbar, dass alles so gekommen ist, wie es jetzt ist. Die Arbeit als Tätowiererin erfüllt mich von ganzem Herzen, mich macht kaum etwas glücklicher als ein gelungenes Tattoo. Mit meiner Kunst kann ich Menschen glücklich machen. Es ist eine große Ehre – man wird dadurch auch Teil des Lebens des anderen.“
„Sensibilisierung der Bevölkerung“

Zu ihren Kunden baut Simone Deppner oft eine enge Bindung auf und betreut die meisten über viele Jahre. „Tattoos symbolisieren oft besondere Lebensabschnitte, zum Beispiel wenn etwas zu Ende geht und etwas anderes neu beginnt – und ich bin dann dabei und werde somit zu einem Teil davon.“ So war es auch bei der Frau, die an diesem Tag unter der Nadel liegt, aber anonym bleiben möchte. Sie hat seit 15 Jahren einen Organspende-Ausweis. „Die Idee von dem Tattoo fand ich toll. Es ist eine sehr persönliche Art, seine Zustimmung und Bereitschaft zu signalisieren“, erzählt die 38-Jährige. „Ich hatte an einer Stelle ein älteres Tattoo, bei dem ich schon länger mit dem Gedanken gespielt habe, es in ein neues Motiv umzuwandeln.“ Sie hat bereits zwei Tätowierungen von Simone Deppner erhalten und so war es klar, dass sie mit ihrem Wunsch, die Zustimmung zur Organspende auf der Haut zu verewigen, wieder zu der Tattoo-Künstlerin geht. Gemeinsam überlegten sie, wie sie dem recht schlichten Motiv noch einen künstlerischen Anstrich geben könnten. „Das schönste Gefühl ist es, wenn ich die eigenen Ideen mit denen meiner Kunden verbinden kann. Wenn wir im gemeinsamen Gespräch rausfinden, was es für den Kunden für eine Bedeutung hat, und dann das richtige Design finden“, sagt Simone Deppner. „In diesem Fall hatte ich die Eingebung von einer Tänzerin, die das Organspende-Motiv in ihrer Körpermitte trägt.“
Die Frau ist glücklich mit ihrer neuen Tätowierung. „Es ist ein befriedigendes Gefühl, dass ich einen Teil dazu beitragen kann, für die Organspende zu werben. Wenn ich eines Tages nicht mehr bin, gäbe es für mich nichts Schöneres als die Vorstellung, im Tod noch Leben retten oder verlängern zu können.“ Denn auch sie kennt die Zahlen: In Deutschland gibt es einen erheblichen Mangel an Spenderorganen. Im Jahr 2023 gab es laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation bundesweit 965 Spenderinnen und Spender, dank deren Organen anderen Menschen eine gesundheitliche Verbesserung oder gar ein Weiterleben ermöglicht wurde. Trotz eines leichten Anstiegs der Zahlen von zehn auf elf Spendende pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner sind es immer noch zu wenig. Im Jahr 2022 waren 743 auf der Warteliste stehende Personen verstorben.
Angehörige über den Wunsch informieren

Im Saarland ist das Infoteam Organspende schon seit mehr als 15 Jahren mit Aufklärungs-Aktionen und Informations-Kampagnen unterwegs. „Das Tattoo ist eine weitere von vielen Aktionen, die zur Sensibilisierung der Bevölkerung und zu einer positiven Grundhaltung beitragen können“, sagt Klaus Schmitt vom Infoteam. „Ich glaube zwar, dass das Tattoo nur eine begrenze Wirkung auf die Steigerung der absoluten Spenderzahlen in Deutschland haben wird. Auf der anderen Seite ist es natürlich gut, die Entscheidung zu dokumentieren und darüber mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.“ Im Saarland ist er stolz darauf, dass es mit weiteren Maßnahmen und gebündelten Aktionen gelungen sei, die Anzahl der Spender pro eine Million Einwohner von 9,2 im Jahr 2013 auf über 21 im Jahr 2023 zu steigern. Damit liege das Saarland im Bundesvergleich auf dem zweiten Platz. „Wir haben ein starkes Netzwerk aller Beteiligten aufgebaut – von der Selbsthilfe über die Krankenhäuser bis zur Politik. Alle ziehen an einem Strang.“
Einig sind sich alle Beteiligten, dass es – unabhängig von allen Rahmenbedingungen – wichtig ist, über die Entscheidung mit seinen Angehörigen zu sprechen, damit sie Bescheid wissen, wenn sie im Fall der Fälle gefragt werden. „Etwa die Hälfte der potenziellen Organspenden werden abgelehnt, weil die Angehörigen nicht Bescheid wissen über die Wünsche der Verstorbenen“, sagt Anna Barbara Sum. „Das Tattoo kann also Anlass für ein Gespräch mit dem eigenen Umfeld sein.“
Auch Simone Deppner und ihre Kundin haben das besondere Motiv genutzt, um in ihrem Bekanntenkreis über das Thema Organspende zu reden. „Ich habe allen davon erzählt“, sagt die junge Frau. „Die meisten wussten gar nicht, dass es so etwas gibt. Aber ich bin überall auf Zustimmung gestoßen. Vielleicht kann ich es mit diesem Schritt ja tatsächlich schaffen, einen kleinen Beitrag zu leisten.“