Warum Teilhabe im Alter besonders wichtig ist – eigentlich
Jedes Jahr im Frühling war der alte Mann ins Büro des Sportvereins gekommen, um seine Tennismarke abzuholen. Ohne Aufkleber für die Freiluftsaison auf seiner Abteilungskarte, die ihn in jüngerem Alter zeigt, darf er nicht auf die Courts.
Jetzt ist er 85 Jahre, kann nicht mehr „reisen“, wie er sagt, um für seinen Verein eine gute Platzierung bei Mannschaftsturnieren zu erkämpfen. Doch treffen möchte er sie doch noch, seine „zehn oder so Freunde“, mit denen er so lange schon einmal in der Woche für zwei Stunden trainiert. Und mit ihnen Tennis spielen. Auf den Sandplätzen des Vereins, wie seit 45 oder 35 Jahren: Er weiß nicht genau, wie lange schon. So sehr ist diese wöchentliche Begegnung von Mai bis Oktober ein Teil seines Lebens geworden.
Teilhabe. So wichtig für Senioren, deren Umfeld und Welt enger geworden sind. Doch Teilhabe kostet. Deshalb ist der 85-Jährige in diesem Frühling gekommen, um seine Kündigung abzugeben. Irgendwo in Deutschland, wo sich die wärmende Sonne allmählich in einsamer werdende Tage kämpft. „Geben Sie her“, wird er beschieden, als sich Vereinsmitarbeiterinnen zögerlich von der „kleinen Geburtstagsfeier“ lösen, bei der im Bürohintergrund gerade die Sektgläser frisch gefüllt worden sind.
Der alte Mann hält seine Kündigung fest. Seine Hand zittert leicht. „Ja, geben Sie her“, wird er angeraunzt. Schließlich gibt er das kleine, ordentlich ausgefüllte Trennungsformular her. Nach 45 oder 35 Jahren. Ohne dass ein gewaltiges Gewitter losbricht. Ohne dass die Schneeflocken im Sonnenschein vor den Fenstern zu mahnenden Geistern werden, die fordern, einem langjährigen Vereinsmitglied Respekt beim Abschied zu zollen. Ihm wenigstens ein paar freundliche Worte mitzugeben.
„Aber da wäre doch noch was“, sagt der Tennisveteran. Er wirkt halb entschlossen, halb fassungslos, deutet in Richtung des Zettels. Jetzt endlich zeigt eine Mitarbeiterin ein wenig Empathie, stellt ihr Sektglas weg, geht mit ihm zum Tresen der Geschäftsstelle. Sie bietet ihm an, nicht ganz zu kündigen. Sondern Rückengymnastikkurse zu belegen, wenn er nicht mehr Tennis spielen wolle. Um fit zu bleiben.
Er will doch aber noch Tennis spielen. Seine Leute zum Mannschaftstraining treffen, auch wenn er nicht mehr „reisen“ kann. Und (sich) nicht mehr alles leisten kann, was so ein Verein als vorbildlich und als Vorgabe fordert. Denn da wäre noch etwas: „Gibt es nicht so etwas wie Freiplätze, wenn man schon so lange dabei war und so alt ist?“ Dem entschiedenen „Nein“ der Bürodame folgt die geschäftsmäßige Empfehlung, ab und zu als Gast auf den vertrauten Plätzen zu spielen. Mit einem Bekannten, der noch Mitglied ist. Auch dafür gebe es Marken. Zu kaufen.
„Aber meine Mannschaft, darf ich da nicht mehr mitmachen, wenn ich kündige?“, wagt der 85-Jährige einen letzten, mutigen Vorstoß in die steinernen Fassaden der Vereinsregularien. Nein. Da sieht die Mitgliedsmarke zum vollen Erwachsenentarif oder die Gastmarke ohne Abschlag als Voraussetzungen vor. Auch wenn die Rente das nicht mehr hergibt.
Die älteren Mitglieder tragen seit den Zeiten, als Tennis mit Boris Beckers Wimbledon-Sieg zu boomen begann, Abteilungen in den Sportvereinen sowie Tennisvereine mit. Sie trugen zu deren Erfolg bei, engagierten sich, erhielten Plätze und Positionierungen. Einem Menschen, dem in so hohem Alter aus Geldmangel nichts als die Kündigung bleibt, keine kostenfreie Mitgliedschaft anzubieten, ist ein Versagen von Vereinsstrukturen. Wo er so gerne noch teilhaben würde am Sport mit seinen Freunden, zu mehreren auf einem Court.
Stichwort: Gemeinwohl. Vereine erhalten staatliche Förderung, damit sie den Menschen Teilhabe und Sport ermöglichen, die für Glück und Gesundheit so wichtig sind. Kann man diesen 85-Jährigen nicht dabeibleiben lassen? Und auch anderen im Alter solche freudigen Stunden weiter gönnen?