Mit ihrem 1889 veröffentlichten Anti-Kriegs-Roman „Die Waffen nieder!“ wurde die damals 46-jährige Bertha von Suttner zur Wegbereiterin der frühen weltweiten Friedensbewegung. 1905 wurde ihr Kampf gegen den Militarismus mit der Verleihung des Friedensnobelpreises honoriert.

Eigentlich träumte Gräfin Bertha Sophie Felicita Kinsky von Wchinitz und Tettau davon, eine berühmte Operndiva zu werden. Fraglos ein ungewöhnlicher Berufswunsch für den Spross einer böhmischen Adelsfamilie. Doch dem am 9. Juni 1843 im Prager Palais Kinsky am Altstädter Ring zur Welt gekommenen Kind hatte von Anfang an ein schwerer Geburtsmakel in Gestalt der bürgerlichen Mutter angehaftet. Der Familie blieb daher die vollwertige Zugehörigkeit zum Hochadel der österreichisch-ungarischen Monarchie verwehrt – vor allem, weil der Vater, ein pensionierter Feldmarschall-Leutnant, kurz vor der Geburt seiner Tochter verstorben war.
Die demonstrative Ausgrenzung wurde der jungen Dame eindrücklich bewusst gemacht, als sie bei ihrem ersten Hofball kein einziges Mal zum Tanzen aufgefordert wurde. Trotz intensiver Musikstudien hatte sich auch die erhoffte Bühnenkarriere mangels ausreichenden Talents schnell erledigt. Aber immerhin erhielt Bertha eine für die damalige Zeit ungewöhnlich fundierte Ausbildung in Fremdsprachen wie Französisch, Englisch oder Italienisch und in Literatur, und zwar nicht im Rahmen der seinerzeit üblichen strengen Klostererziehung, sondern durch liberal gesinnte Gouvernanten in den wechselnden Wohnorten Brünn, Wien und Klosterneuburg.
Die nicht unbeträchtliche väterliche Erbschaft erlaubte es der zu einer bildschönen Frau heranwachsenden Bertha, an der Seite ihrer Mutter häufige Reisen durch Europa zu unternehmen und auch viel Geld für ihre Garderobe auszugeben. Doch schon bald war absehbar, dass die Spielsucht der Mutter, die Stammgast beim Roulette in den Casinos von Wiesbaden und Bad Homburg war, den finanziellen Ruin zur Folge haben würde.
Affäre mit dem Sohn ihres Arbeitgebers
Entsprechend machte sich Bertha ganz gezielt auf die Suche nach einer guten Partie. Allerdings war ihr dabei kein Erfolg beschieden. Gleich drei Verlobungen im Alter von 18, 25 und 29 Jahren, was im adligen Umfeld allein schon mehr als ungewöhnlich war, führten nicht zu Eheschließungen. Im Alter von 30 Jahren war die Kleinfamilie endgültig pleite, weshalb Bertha notgedrungen beschloss, nicht länger als Jungfer zu versauern, sondern ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Sie trat bei der Wiener Industriellenfamilie von Karl Freiherr von Suttner eine – für eine blaublütig Geborene noch halbwegs akzeptable – Stelle als Gouvernante an, wobei ihre Hauptaufgabe darin bestand, den vier Töchtern des Hausherrn Unterricht in Musik und Sprache zu erteilen. Dabei kam ihr ihr hoher Bildungsstand zugute.

Allerdings verliebte sie sich schon bald in den 23-jährigen Sohn ihres Arbeitgebers namens Arthur Gundaccar von Suttner. Als die Liaison aufflog, wurde Bertha gekündigt, da die Familie Suttner eine Beziehung ihres männliches Nesthäkchens mit einer mittellosen Frau nicht dulden wollte.
Immerhin machte die Baronin von Suttner Bertha auf eine Annonce des in Paris weilenden Dynamit-Erfinders Alfred Nobel aufmerksam, der gerade auf der Suche nach einer Privatsekretärin war, und konnte ihr den Job durch Vermittlung verschaffen. Der steinreiche, unverheiratete Industrielle zeigte sich für Berthas Persönlichkeit und körperliche Reize durchaus empfänglich, soll ihr sogar Avancen gemacht haben. Doch schon nach wenigen Tagen kehrte Bertha nach Wien zurück, wo sie am 12. Juni 1876 heimlich Arthur von Suttner heiratete, der daraufhin von seinem Vater enterbt wurde.
Das mittellose Paar fand zunächst Zuflucht bei einer Glücksspiel-Freundin von Berthas Mutter, der Fürstin Jekaterina Dadiani von Mingrelien im fernen Georgien. Dort verbrachten sie mehr als acht Jahre, zuletzt in Tiflis, unter prekären finanziellen Bedingungen. Beide Partner nahmen zur Finanzierung des Lebensunterhalts publizistische Tätigkeiten auf. Bertha verfasste kleinere Romane, Zeitungsartikel und Erbauungsliteratur, gelegentlich widmete sie sich auch Übersetzungen, erteilte Sprachunterricht und erlernte selbst Russisch. Die intensive Beschäftigung mit dem Werk Charles Darwins ließ Bertha in ihrer ureigenen Interpretation der Schriften des Evolutionstheoretikers erstmals zu der Überzeugung gelangen, dass sich auch der Homo sapiens in Richtung eines vernunftbegabten „Edelmenschen“ entwickeln könne und daher künftig keinerlei Kriege mehr führen werde.
Nach der Aussöhnung mit Arthurs Familie kehrte das Ehepaar 1885 nach Österreich zurück und ließ sich auf dem Landsitz der Suttners, dem Schloss Harmannsdorf im Waldviertel, nieder. Dort führten sie ein bescheidenes, aber doch standesgemäßes Leben. Getrübt wurde das Ganze lediglich durch die Anwesenheit von Arthurs Nichte Marie, mit der Berthas Ehemann eine intime Beziehung einging.
Quasi über Nacht Ikone der Friedensbewegung

Bertha stürzte sich zunehmend in ihre publizistische Arbeit. Diese wurde immer politischer. Vor allem das Friedensthema veränderte den Stil und den Ton ihrer Prosa, die fortan von einem neu erworbenen Realismus geprägt wurde. Diese Entwicklung war schon in ihrem 1883 veröffentlichten Roman „Inventarium einer Seele“ zu erahnen, in dem ihr Glaube an die Entwicklung des Menschen zum Besseren erstmals aufschien. In „High Life“ thematisierte sie 1886 den Respekt vor dem Menschen und seiner freien Entscheidungskraft. In ihrem unter dem Pseudonym „Jemand“ 1889 publizierten politischen Essay „Das Maschinenzeitalter“ schrieb sie gegen nationale und reaktionäre Sichtweisen an.
Im gleichen Jahr folgte dann der Paukenschlag in Gestalt ihres berühmtesten Werkes „Die Waffen nieder!“, das seinerzeit in der größtenteils militaristisch geprägten Welt einen Skandal auslöste. Dennoch stieg es mit 37 Auflagen allein bis zum Jahr 1905 und Übersetzungen in 15 Sprachen zu einem Weltbestseller auf und blieb bis zur Veröffentlichung von Erich Maria Remarques Opus „Im Westen nichts Neues“ 1928 der global wichtigste Anti-Kriegs-Roman.
„Das Werk hatte eine ähnliche Wirkmächtigkeit auf den Beginn der Friedensbewegung“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“, „wie einst der Roman ‚Onkel Toms Hütte‘ im Kampf gegen die Sklaverei.“ Nie zuvor waren die Gräuel des Krieges in einem Buch so schonungslos und realistisch aufgezeigt worden, wobei die Geschichte in Form einer Autobiografie des adligen Mädchens Martha erzählt wird, deren erster Ehemann 1859 in der Schlacht von Solferino gefallen war und deren zweiter Gatte 1870 im Deutsch-Französischen Krieg sein Leben verlor.
„Berühmteste Frau Österreichs“

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Quasi über Nacht wurde die 46-jährige Bertha von Suttner zur Ikone der gerade im Entstehen begriffenen internationalen Friedensbewegung. Das brachte ihr allerdings nicht nur Lob, sondern noch viel mehr Anfeindungen und Schmähungen wie die Titulierung als „Friedensbertha“ ein. Selbst prominente Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke, Karl Kraus oder Stefan Zweig beteiligten sich an der Hetze gegen Bertha. Später wurde sie noch mit weiteren Verhöhnungen bedacht. So wurde sie wegen ihres Eintretens gegen Antisemitismus als „Judenbertha“ und wegen ihrer offenen Sympathien für den Sozialismus sowie ihrer Bewunderung für Rosa Luxemburg als „Rote Bertha“ verunglimpft. Auch im Kampf gegen die Benachteiligung der Frauen, gegen religiösen Fanatismus, gegen Verletzungen der Menschenrechte, gegen soziale Ungleichheit, gegen die Praxis der Tierversuche oder gegen die repressive Sexualmoral erhob Bertha von Suttner ihre Stimme. Sie sprach sich zudem für die Entwicklung eines Weltbürgertums abseits des Nationalismus, für eine föderale Union der europäischen Staaten als Zwischenschritt zu einer globalen Union sowie für eine vegetarische Ernährungsweise aus.
Dennoch ist Betha von Suttner vor allem als nimmermüde Friedensaktivistin im Gedächtnis geblieben. Auf sie gingen zwischen 1891 und 1895 Gründungen von Friedensgesellschaften in Österreich, Deutschland und Ungarn zurück. Ab 1892 war sie Herausgeberin der dem Frieden gewidmeten Zeitschrift „Die Waffen nieder!“. Sie hielt unzählige Vorträge zu Friedensfragen und war selbst in den USA, wo sie 1904 und 1912 auf wochenlangen Tourneen unterwegs war und dabei sogar von Präsident Theodor Roosevelt empfangen wurde, eine gefragte Persönlichkeit. Sie war eine der wesentlichen Initiatoren der Ersten Haager Friedenskonferenz in Den Haag 1899 und nahm auch an der Zweiten Haager Friedenskonferenz 1907 teil, auf der die Einrichtung eines von Bertha stets geforderten Schiedsgerichthofs verabschiedet wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war sie längst zur „berühmtesten Frau“ Österreichs und zum „Generalissimus der Friedensbewegung“ aufgestiegen, so die in Wien erscheinende „Neue Freie Presse“. Denn nach dem Tod ihres Mannes 1902 und dem Umzug aus dem mit Schulden belasteten Schloss nach Wien wurde sie 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dessen Etablierung durfte sie sich durch Gespräche und Briefe mit Alfred Nobel, den sie für die Ziele und die finanzielle Unterstützung der Friedensbewegung gewinnen konnte, auf die eigene Fahne schreiben. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges verstarb Bertha von Suttner am 21. Juni 1914 in Wien im Alter von 71 Jahren an einem Krebsleiden.