Schweizer Forscher haben eine neue, sogenannte Kakaofruchtschokolade entwickelt, für deren Herstellung nicht nur die Bohne, sondern auch weitere Bestandteile wie das Fruchtfleisch und die Schalen-Innenseite verwendet werden. Schokolade wird so gesünder und nachhaltiger.
Etwa fünf Millionen Tonnen Kakao, der ursprünglich aus dem Amazonasgebiet stammt und dort neuesten archäologischen Forschungen zufolge bereits vor 5.000 Jahren kultiviert wurde, werden jährlich geerntet, um die weltweit hohe und noch immer wachsende Nachfrage, vor allem durch die neuen Märkte China und Indien, stillen zu können. Die Urvölker Mittel- und Südamerikas, deren Eliten geradezu verrückt nach dem nicht alltäglichen Genussmittel waren, pflegten ihr oft nicht süßes, dafür aber mit Chili scharf gewürztes Kakaogetränk allerdings nicht wie heute üblich mit Milch zuzubereiten, sondern kochten es mit Wasser auf. Allerdings ist die Kakaopflanze – sprich der Kakaobaum mit seinen ovalen, zwischen 15 und 25 Zentimeter langen und von gerieften Schalen ummantelten Früchten, in deren Innerem die Kakaobohnen in einem weißen Fruchtmark namens Pulpe eingebettet sind – ausgerechnet in ihrer ursprünglichen Heimat Mittel- und Südamerika und in weiteren tropischen Anbaugebieten wie Westafrika oder Indonesien durch die steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels bedroht.
Kakaopreis auf Rekordhoch
Aktuelle Klimamodelle prognostizieren, dass die weltweite Kakaoproduktion zwischen 2030 und 2050 stark zurückgehen wird. Was speziell die beiden Staaten Ghana und Elfenbeinküste, in denen mehr als 60 Prozent der globalen Kakaoerträge erwirtschaftet werden, arg in Mitleidenschaft ziehen dürfte. Der Kakaobaum reagiert auf steigende Temperaturen mit abnehmenden Erträgen und wird zudem durch eine Vielzahl von Pflanzenkrankheiten geplagt. Weshalb inzwischen recht erfolgreich resistente Kakaobäume gezüchtet wurden und vor allem in Südamerika auch schon angepflanzt wurden. In Westafrika dagegen, wo der Kakaobaum erst Anfang des 20. Jahrhunderts in größerem Stil kultiviert wird, hat ein für die Pflanze tödliches, von Schmierläusen übertragenes Virus (sogenannte CSSD-Badnaviren) schon viele Anbauer ruiniert, von denen manche daher auf den weniger pflegeintensiven Kautschuk umgestiegen sind.
Die Märkte reagieren inzwischen schon ziemlich nervös auf Produktionsrückschläge, wie sie Ghana und die Elfenbeinküste 2023 zu verkraften hatten. Im vergangenen April stieg der Kakaopreis auf ein Rekordhoch. Auf den Spotmärkten wurden 11.000 Dollar pro Tonne gezahlt – viermal so viel wie noch ein halbes Jahr zuvor. Experten gehen davon aus, dass Schokolade deutlich teurer werden wird. Sie halten preisliche Aufschläge von bis zu 30 Prozent für wahrscheinlich.
Womöglich ist es daher gar nicht so sehr dem Zufall geschuldet, dass ausgerechnet jetzt eine vielversprechende Innovation bekannt geworden ist, die künftig die Engpässe auf dem Schokoladenmarkt etwas beheben könnte. Dafür spricht auch, dass die Industrie in Gestalt des renommierten Schweizer Schoko-Herstellers Felchlin und des Start-ups Koa, das sich für eine verantwortungsvolle Wertschöpfung der Kakaofrucht einsetzt, an einer im Fachmagazin „Nature Food“ veröffentlichten Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich unter Federführung des Lebensmittelverarbeitungsingenieurs Kim Mishra und des emeritierten ETH-Professors Erich Windhab beteiligt war. Und bestimmt ist es kein Zufall, dass das neue Produkt, das von den beteiligten Wissenschaftlern auf den Namen „Kakaofruchtschokolade“ getauft wurde, in der Schweiz entwickelt wurde. Das Land der Eidgenossen steht schließlich schon traditionell weltweit als Synonym für höchste Schokoladenqualität. Schon 2019 hatte die in Zürich ansässige Firma Barry Callebaut, einer der größten Schoko-Produzenten der Welt, eine Schokoladensorte präsentiert, für deren Herstellung nicht nur wie traditionell üblich die Bohnen, sondern auch weitere Bestandteile der Kakaofrucht verwendet wurden. Dem gleichen Ansatz folgte nun das Team um Kim Mishra, das sich ebenfalls überlegt hatte, ob man eventuell neben den aus der Bohne gewonnenen Hauptbestandteilen der Schokolade – Kakaomasse und Kakaobutter – weitere wertvolle, bislang ungenutzte Inhaltsstoffe der Kakaofrucht in einem neuen Produkt verarbeiten könnte.
Schokolade gesünder machen
Die dahinter stehende Hauptzielsetzung der Wissenschaftler war es, einerseits die Wertschöpfung des Kakaoanbaus zu erhöhen und dabei den enormen CO2-Fußabdruck der beliebten Süßspeise zu verringern und andererseits die Schokolade zugleich gesünder zu machen. Beim CO2-Fußabdruck schneidet Schokolade bislang ähnlich schlecht ab wie Käse, Lamm- und Rindfleisch. Dafür spielt vor allem die Beifügung des aus Zuckerrüben und Zuckerrohr gewonnenen Kristallzuckers die entscheidende Rolle: „Jede Verringerung des Zuckergehalts in Schokolade oder der Ersatz von raffiniertem Rohr- oder Rübenzucker durch andere Süßungsmittel kann zu einer erheblichen Verbesserung in Sachen Nachhaltigkeit führen“, so Prof. Alejandro Marangoni von der University of Guelph im kanadischen Ontario in einem Kommentar zu der Studie seiner Schweizer Kollegen. Auch aus gesundheitlicher Sicht ist vor allem der sämtlichen herkömmlichen Schokoladen beigefügte Kristallzucker das Hauptproblem, weil nicht so sehr der Kakao mit seinem Fettanteil, sondern noch mehr der Zucker bei reichhaltigem Schoko-Konsum den Zeiger der Waage nach oben katapultieren kann. Vielen Menschen fällt es schwer, beim Schokoladefuttern Maß zu halten, weil der leckeren Süßspeise viele positive Nebenwirkungen wie Stimmungsaufhellung oder Stressabbau zugeschrieben werden.
Die Schweizer Forscher wollten bei der Rezeptur für ihre neue Kakaofruchtschokolade möglichst all die genannten Problematiken aus dem Weg schaffen. Kim Mishra als Hauptautor der Studie vergleicht die Kakaofrucht mit einer länglichen Honigmelone: „Die Früchte sind ähnlich aufgebaut. Beide haben eine harte äußere Schicht. Schneidet man sie auf, sieht man das Fruchtfleisch und im Inneren die Kakaobohnen beziehungsweise die Melonenkerne und die Pulpe.“
Während bei herkömmlicher Schokolade nur die Bohnen verarbeitet werden, verwendeten die Schweizer Wissenschaftler für ihr neues Produkt auch das Pulpe genannte Fruchtfleisch und Teile der Innenschicht der Fruchtwand namens Endokarp. Letztere wurde dafür zu Pulver vermahlen und anschließend mit einem Teil der Pulpe zu einem Gelee vermischt. Dieses ist vergleichsweise süß und erlaubt daher bei der neuen Kakaofruchtschokolade den Verzicht auf die Beifügung des üblichen Kristallzuckeranteils.
Dennoch dürfte der Geschmack noch ziemlich gewöhnungsbedürftig sein. Denn die Süße rangiert noch ein ganzes Stück unterhalb von handelsüblichen Zartbitterschokoladen, bei denen locker 30 bis 40 Prozent Kristallzucker beigesetzt sein können. Mit seiner Süßkraft, die gerade mal fünf bis zehn Prozent Kristallzucker-Beimischung entspricht, ist das neue Produkt geschmacklich doch ziemlich herb. Das konnte durch eine zusätzliche Beimengung von Kakaobutter etwas ausgeglichen werden. Die optimale Rezeptur im Labor herauszufinden, sollte für die Forscher zu einer sehr arbeitsintensiven Aufgabe werden. Weil sie genau die goldene Mitte aus Süße und Konsistenz finden mussten. Es wäre kein Problem gewesen, den Süßanteil durch eine Erhöhung des Pulpe-Anteils zu vergrößern, doch führte dies zu einer Verklumpung der Schokoladenfruchtmasse, was bei Zugabe von Kristallzucker nicht einzutreten pflegt. Die Forscher gelangten schließlich zu der Erkenntnis, dass maximal 20 Prozent Gelee beigefügt werden konnten, ohne die Konsistenz zu beeinträchtigen. Sie ließen ihre Kakaofruchtschokolade im Verlauf des Entwicklungsprozesses ständig durch geschulte Degustierer einer Berner Fachhochschule verkosten. „So konnten wir die Süßkraft unserer Rezeptur, ausgedrückt in Kristallzuckeräquivalenten, empirisch ermitteln.“ Aus gesundheitlicher Sicht kann sich das Ergebnis wahrlich sehen lassen, enthält das neue Produkt doch bis zu einem Drittel weniger Zucker als die durchschnittliche handelsübliche Schokolade.
Darüber hinaus gibt es dank der Verwendung des Kakaogelees noch weitere positive gesundheitliche Aspekte. So enthält das neuartige Produkt einen höheren Anteil an Ballaststoffen oder einen höheren Nahrungsfasergehalt, nämlich 15 statt (wie in handelsüblichen Marken) 12 Gramm pro 100 Gramm Schokolade. Das soll laut Kim Mishra „die Darmaktivität auf natürliche Weise regulieren und den Blutzuckerspiegel beim Verzehr von Schokolade weniger schnell ansteigen“ lassen. Zudem ist der Anteil an gesättigten Fettsäuren, deren Verzehr im Übermaß ein Gesundheitsrisiko darstellen kann, um ein knappes Drittel niedriger als bei durchschnittlichen dunklen Schokoladen. „Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem erhöhten Konsum gesättigter Fettsäuren und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, so Kim Mishra. Die Kakaofruchtschokolade enthält nur 23 Gramm gesättigte Fettsäuren gegenüber 33 Gramm einer handelsüblichen dunklen Schokolade. „Das heißt“, so die ETH-Pressemitteilung, „die ETH-Forschenden konnten den Nahrungsfasergehalt um rund 20 Prozent erhöhen und gleichzeitig den Anteil an gesättigten Fettsäuren um rund 30 Prozent senken“.
Mehr Profit für Kleinbauern
Ein weiterer positiver Nebenaspekt der neuen Schokoladenrezeptur betrifft die für den Anbau des Kakaobaums verantwortlichen und vom Preisanstieg des Kakaos bislang überhaupt nicht profitierenden Kleinbauern. Denn wenn künftig nicht mehr nur die Bohnen für die Schokoladenproduktion genutzt werden sollten, sondern auch weitere Bestandteile der Frucht, könnten die Landwirte ihre Produktpalette diversifizieren und dadurch ihr Einkommen erhöhen. Wird ein Großteil der Frucht für die Herstellung der Kakaofruchtschokolade genutzt, bleibt nur noch die Fruchtschale übrig, die traditionell vor allem als Brennmaterial verwendet oder auch kompostiert wird. „Die Bauern könnten also neben dem Handel mit Kakaobohnen auch den Saft aus der Pulpe verwenden sowie das Endokarp trocknen, es zu Pulver mahlen und verkaufen“, so Kim Mishra, „damit könnten sie insgesamt drei Wertschöpfungsströme generieren. Und wenn die Wertschöpfung der Kakaofrucht höher ist, ist dies auch nachhaltiger.“
Dennoch dürfte es noch eine geraume Zeit dauern, bis die Kakaofruchtschokolade im Handel verfügbar sein wird. „Wir haben zwar gezeigt, dass unsere Schokolade attraktiv und sensorisch vergleichbar ist“, so Kim Mishra, „doch nun muss erst einmal die gesamte Wertschöpfungskette vervollständigt werden, angefangen bei den Kakaobauern, die Trocknungsanlagen benötigen. Erst wenn vom lebensmittelverarbeitenden Betrieb genug Pulver hergestellt wird, kann die Kakaofruchtschokolade in größerem Maßstab durch einen Schokoladenproduzenten hergestellt und vermarktet werden.“ Doch ein erster Schritt dahin ist gemacht, die ETH hat ihr Produkt daher auch schon mal als Patent angemeldet. „Insgesamt ist die Entwicklung der Kakaofruchtschokolade ein vielversprechendes Beispiel dafür“, so die ETH-Pressemitteilung, „wie Technologie, Ernährung, Umweltverträglichkeit und Einkommensdiversifizierung für Kleinbauern zusammenwirken können, um die gesamte Wertschöpfungskette des Kakaos zu verbessern.“