Marcel Aymé, Arthur Rimbaud und natürlich Marcel Proust: In Paris taucht man ein in die Welt der großen französischen Schriftsteller. Die passenden Unterkünfte für Besucher bietet Jacques Letertre. Er hat drei besondere Literaturhotels eröffnet.
Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen“. Das sind die ersten paar Worte jenes Buches, das neben dem Bett auf dem Nachttisch liegt – vermutlich für den gar nicht so seltenen Fall, dass Reisende die passende Lektüre entweder zu Hause vergessen haben oder einfach nicht mitschleppen wollten. Paris-Besucher kommen zwar in der Regel eher spät zurück ins Hotel, weil die Stadt gerade am Abend ihre Reize hat. Doch das Ergebnis ist anschließend dennoch wie vom Autor beschrieben. „Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht, fielen mir die Augen so rasch zu, dass keine Zeit blieb, mir zu sagen: Ich schlafe ein.“
Gäste können sich mit dem Chef austauschen
Wer sich am nächsten Morgen über das Gelesene unterhalten möchte, findet keinen kompetenteren Gesprächspartner als Jacques Letertre. „Es ist ein Werk wie die Bibel“, sinniert der Hausherr des Hotels „Le Swann“. Der Name ist eine Referenz an „Unterwegs zu Swann“: So lautet der Titel des ersten Bands von Marcel Prousts monumentalem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Obwohl Monsieur Letertre dessen sieben Bände mit ihren vielen tausend Seiten quasi in- und auswendig kennt, macht sich der sympathische Mann keine Illusionen. Über den Roman, einen der wichtigsten des 20. Jahrhunderts, sagt er augenzwinkernd: „Wird zwar oft gekauft, aber selten bis zum Ende gelesen.“
Seiner Passion, die Faszination der Literatur mit vielen Menschen zu teilen, tut das keinen Abbruch. Und so hat der ehemalige Banker in Paris gleich drei Literaturhotels eröffnet, die jeweils einem französischen Schriftsteller gewidmet sind. So würdigt er zum Beispiel Marcel Aymé, der durch das (später mit Heinz Rühmann als Schauspieler verfilmte) Buch „Der Mann, der durch die Wand gehen konnte“ berühmt wurde. Auf der Place Marcel Aymé im Viertel Montmartre lässt sich die Skulptur des Autors bestaunen, der gerade aus einer Mauer hervortritt. Die besondere Fähigkeit verwickelt die Romanfigur in allerlei skurrile Erlebnisse. Wie die Geschichte am Ende ausgeht, kann man dann abends auf dem Zimmer nachlesen. Wer des Französischen nicht mächtig ist, muss übrigens keine Bedenken haben: Natürlich sind auch Übersetzungen verfügbar.
Arthur Rimbaud, den außerhalb Frankreichs nur wenige kennen, wird ebenfalls mit einem Hotel ein Denkmal gesetzt. Ein paar Gehminuten vom Gare de l‘Est entfernt, wo der Lyriker 1871 in Paris ankam, sind nicht nur die Zimmer nach Protagonisten seiner Poesie sowie Freunden und Verwandten benannt. Neben einer Bibliothek mit 500 Bänden des Dichters gibt es im Erdgeschoss auch eine Bar, in der Absinth ausgeschenkt wird. Die mit Anis, Fenchel und Wermut aromatisierte Spirituose war nämlich das Lieblingsgetränk Arthur Rimbauds. Ob das grün gefärbte und deshalb „la fée verte“ genannte Getränk einen wirklich zu intellektuellen Höhenflügen inspiriert oder (Vorsicht, die Süße führt die Sinne in die Irre!) eher für einen Kater sorgt, kann man also selbst herausfinden.
Wer sich ins Paris anderer Literaten einfühlen will, kann mit Victor Hugos „Der Glöckner von Notre-Dame“ im Gepäck an der berühmten Kirche vorbeischauen. Das Gotteshaus wurde durch ein Feuer schwer beschädigt, soll im Dezember aber wiedereröffnen. Anschließend muss man an der Place Saint-Germain-des-Prés auf der Terrasse des „Les Deux Magots“ einen Platz ergattern oder als Alternative um die Ecke am Boulevard Saint-Germain im „Café de Flore“. Beide Lokale waren einst Treffpunkte berühmter Autoren, von Albert Camus über Jean-Paul Sartre bis Ernest Hemingway. Zumindest das „Café de Flore“ mag partiell noch bis zum heutigen Tag als Treffpunkt von Intellektuellen gelten: Der Gewinner des Literaturwettbewerbs „Prix de Flore“ bekommt hier immerhin noch ein Jahr lang ein Glas Weißwein gratis, es ist ein feiner Sauvignon Blanc von der Loire.
Abgesehen von diesem Glückspilz zahlen nun vor allem Touristen aus aller Welt die stolzen Preise. Die Zeiten, in denen Künstler in den Cafés ihr zweites Zuhause hatten, sind wohl vorbei. Aufstrebende Schriftsteller leben heute ohnehin eher in der Provinz als in Paris. Das gleiche Schicksal wie die Cafés hat auch „Shakespeare and Company“ ereilt. Was einst eine ikonische Buchhandlung gewesen sein muss und von James Joyce in „Ulysses“ unsterblich gemacht wurde, macht heute vermutlich mehr Geld mit dem Verkauf von Tote Bags als mit dicken Wälzern. Charme hat der Ort aber immer noch, trotz der Schlange vor dem Eingang.
Ausstellungen und Symposien in den Hotels
Mehr Ruhe hat man dort, wo viele Schriftsteller begraben sind: auf dem Friedhof Père Lachaise. Neben anderen Berühmtheiten finden sich dort die Gräber von Honoré de Balzac, Guillaume Apollinaire, Gertrude Stein und Oscar Wilde. Auch Marcel Proust hat hier seine letzte Ruhestätte. Weil dieser allerdings der Lieblingsautor von Monsieur Letertre ist, gibt es in Paris natürlich auch ein ihm gewidmetes Literaturhotel. Seine Privatbibliothek mit über 40.000 Bänden hat der pensionierte Bankier in der Rue de Constantinople unweit des Parc Monceau zwar nicht untergebracht, stellt dafür aber etliche Preziosen aus der Sammlung vor. Und die besteht nicht nur aus Büchern. Auch ein Samtmantel des Couturiers Jacques Doucet ist dort zu sehen, den dieser für eine jener adeligen Salondamen angefertigt hatte, die Proust in seinem Roman mit treffsicherem Spott beschreibt.
Zwar lässt sich damit kein Geld verdienen, trotzdem gibt es im Hotel regelmäßig Ausstellungen, Buchpräsentationen und Symposien. Wer als Gast mit Marcel Proust schlafen geht (es gibt natürlich eine Madeleine als Betthupferl, weil er das Gebäck in seinem Roman auf gleich mehreren Seiten würdigt), wacht hier am nächsten Tag auch mit Marcel Proust auf und verbringt den ganzen Tag mit ihm. Das liegt an dem historischen Stadtplan von 1891, den einem die Rezeptionistin aushändigt. Darin eingezeichnet: Alle Wohnorte des Schriftstellers, seine von ihm frequentierten Salons und Restaurants sowie Schauplätze aus „Die Suche nach der verlorenen Zeit“.
Sich angeleitet von Biografie und Werk auf den Spuren des Schriftstellers durch die Stadt zu bewegen, wird so zu einem abwechslungsreichen Spaziergang: In Paris braucht man nämlich nicht viel Fantasie, um zurück in die Zeit der Belle Époque zu reisen.