Die Hauptstadt von Frankreich ist auf der Überholspur in Sachen Eco-Urbanität wie E-Mobilität oder visionäre Stadtbegrünung. Sie hat sich zur Impuls gebenden Metropole für zukunftskompatible Stadtkonzepte entwickelt.

Das Olympiajahr trägt die Etikette der Nachhaltigkeit stolz am Revers. Diese grüne Seite der Medaille ergab sich aber nicht über Nacht. Das Ziel, die Lebensqualität der Stadt an der Seine zu verbessern und sie für zukünftige Generationen lebenswerter zu machen, hatte sich Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, als Aufgabe gesetzt. Seit Beginn ihrer Amtszeit 2014 setzt sie sich für zahlreiche progressive Maßnahmen im Bereich Umwelt und Verkehr ein. Maßgeblich soll die Luftqualität der dicht bevölkerten Stadt durch Emissionsreduzierung verbessert werden. Umgesetzt wird dieses Ziel neben der Einführung erneuerbarer Energien durch eine großflächige Begrünung vieler Hausdächer, Fassaden und Brachen in Gemeinschafts- und Agrikulturgärten. Weitere bereits konsequent umgesetzte Maßnahmen wie die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und der Ausbau von Fahrradwegen sind längst zum Aushängeschild geworden. Bis 2030 sollen die Treibhausgase um 50 Prozent reduziert, und bis 2050 will die zentralistische Metropole laut Klimaplan sogar CO2-neutral werden.
Das große Thema der dicht besiedelten Stadt ist die neue „Mobilité“, von der auch Stadtbesucher profitieren. Mal davon abgesehen, dass man bestens mit dem TGV (Oui) oder Eurostar nach Paris reist und das schon immer gut ausgebauten Metro- oder Bus-Netz nutzt, gibt es mittlerweile eine ganze Invasion von Fahrrädern. Am Boulevard de Sébastopol wurden jüngst 124.000 Radler pro Woche gezählt. Mal davon abgesehen, dass die Pariser selbst natürlich mit den hipsten Vélo-Modellen – passend zum Outfit – und auch mal mit Katze, Hund oder Kakadu im Korb, an der Leine oder auf dem Lenker die Straßen fast so zahlreich wie in Kopenhagen bevölkern, gibt es auch für Touristen viele neue Möglichkeiten der Fortbewegung. Die Leih-Vélos von Vélib Métropole (www.velib-metropole.fr) – stehen rund um die Uhr über eine App im Selbstbedienmodus stunden- und tageweise buchbar, zur Verfügung. Bei anderen Anbietern wie One Bike (one-bike.fr) kann man sich etwas schickere E-Bikes ausleihen. Auch Mountainbikes, Tandems, E-Cargo-Bikes und sogar Kinderanhänger sind im Repertoire der Radverleiher enthalten. Paris Bike Tour (parisbiketour.net/de/) liefert direkt ins Hotel oder sonstige Unterkünfte. In Fahrradcafés kann man mieten, über Routen parlieren und dazu noch einen Café Crème konsumieren. Die Bürgermeisterin hatte während des Lockdowns sogenannte Coronapisten für Radler anlegen lassen.

Einige autofreie Zonen
Aus den anfänglich nur 50 Kilometer an Radwegen hat man mittlerweile ein innerstädtisches Radwegenetz von 1.000 Kilometer (Île-de-France 6.000 Kilometer) geschaffen. Vélo-Piktogramme leiten zu Boulevards und Seitenstraßen. Paris hat seine neue Radkultur längst verinnerlicht und Hidalgos Image-Kampagne „Paris atmet“ lässt sich in der deutlich besseren Luft erschnuppern. Am berührendsten für diejenigen, die Paris noch aus den 90ern und vom Jahrtausendwechsel her kennen, funktioniert das Radeln oder Flanieren in den verkehrsberuhigten Arealen wie der 13 Kilometer Georges-Pompidou-Route bestens. Auf den einst stark befahrenen Quais entlang der rechten Seite der Seine gab es früher nur Stau und dicke Luft. Den Auftakt der verkehrsfreien Zone machte 2002 das nur im Sommer stattfindende Stadtstrand-Projekt Paris Plage. Auch die einst viel befahrene Achse zwischen Hôtel de Ville und der Place de la Concorde ist inzwischen autofrei. Und parallel zu den Champs-Élysées führt ein durch Bäume von der neu angelegten, „nur noch“ sechsspurigen Straße abgegrenzter Radweg direkt zum Arc de Triomphe. Einmal pro Monat gibt’s hier einen autofreien Sonntag.

Wer nicht selbst in die Pedale treten will, sollte sich mit einer dreirädrigen Schildkröte chauffieren lassen, die mit einem bis zu 25 km/h schnellen E-Motor ausgestattet ist. In den Vélotaxis von Turtle geht’s maximal zu zweit und sehr langsam durch die Zone urbaine. Ein Dach schützt vor Wind und Regen (goturtle.fr/nos-services-velo-cab). Abgeguckt haben sich die Franzosen das Prinzip so einer Vélotaxi-Stadttour übrigens aus Deutschland.
Wer sich die Stadt von der Seine aus ansehen möchte: Green River Cruises (greenriver-paris.fr) bietet eine zu 100 Prozent elektrische Bootstour. Die in jedes Boot integrierten Solarzellen sorgen für zehn Stunden Fahrt. Autofahren ist in Paris so unnötig wie das ungezügelte Fahren auf „trottinettes“: Die E-Tretroller sind bereits seit 2023 tabu. Und wie sehr die Pariser die SUVs lieben, hat Anfang 2024 die Volksabstimmung gezeigt, bei der die protzigen Stadtluft-Verpester nun schlappe 18 Euro pro Stunde fürs Parken in der Innenstadt zahlen dürfen. Wer doch ein E-Auto mieten möchte, dem sei die Plattform Caocao Mobility Paris (caocao.fr) empfohlen, die eine ganze Flotte von Fahrzeugen mit Elektromotoren und Plug-in-Hybriden anbietet. Immer mehr Ladestationen sind in der Stadt zu finden. In bestimmten Umweltzonen dürfen nur Fahrzeuge mit „Crit‘Air“-Vignette mit niedrigem Emissions-Ausstoß fahren. Alle anderen nur eingeschränkt oder gar nicht. Auch in der neuen ZFE (Zone à faibles émissions) des neuen Großraum Paris werden strengere Regeln gelten.

Begrünung von Dächern
Ein weiteres wichtiges stadtplanerisches Konzept für das freiere Atmen in Frankreichs Hauptstadt und um dem Klimawandel entgegenzuwirken sind die Grünflächen und Parks. Fast 500 Grünanlagen gibt es bereits. Immer mehr Straßen werden zu Fußgängerzonen, und die Begrünung von Fassaden und Dächern schreitet voran – alles soll öffentlich zugängig sein und einen pädagogischen Mehrwert bieten. Der Bois de Boulogne ist mit seinen 8,46 Quadratkilometern das größte Naherholungsgebiet der Stadt. Die grüne Lunge von Paris liegt am westlichen Stadtrand. Wo im 7. Jahrhundert die französischen Könige das Jagdhorn schmetterten, passiert hier heute das Gegenteil: Die von Filmemacher und Naturschützer Yann Arthus-Bertrand („Nomaden der Lüfte“) 2005 gegründete „Fondation Good-Planet“ (goodplanet.org) und ihre 2017 eröffnete Verortung in der Domaine de Longchamp gilt mit 3,5 Hektar Land als erste „Bulle Verte“: ein gemeinnütziger Ort für Ökologie und Solidarität. Die Stiftung möchte Menschen sensibilisieren, selbst konkrete Maßnahmen für die Erde und ihre Bewohner zu ergreifen. Sie empfängt heute 60.000 Besucher und 12.000 Schulklassen im Jahr. Der Eintritt zu den Ausstellungen, Workshops und Permakultur-Gemüsegärten ist frei.
Weihnachtsbäume als Dünger

Wer in Paris den angehenden Gärtnern, Parkpflegern, Gemüsebauern, oder zukünftigen Stadtbauern in ihren grünen Laboratorien begegnen möchte, kann bei Führungen, die auch auf Englisch stattfinden, die „Plantation Paris“ (cultivate.fr) von „Viparis“ (Paris Expo Porte de Versailles) besichtigen. Auf der größten urbanen Farm in Europa und dem wohl eindrucksvollsten Dachstadtgarten der „Nature Urbaine“ werden auf 14.000 Quadratmetern zwölf Tonnen Obst und Gemüse pro Jahr geerntet. Mit neuesten Kreislauf-Gartenanbaumethoden wie Aeroponik, bei denen die Wurzeln von Pflanzen frei in der Luft schweben, oder Tröpfchenbewässerung gedeihen hier Gemüse, essbare Blumen und Kräuter für Hotels und Gastronomie im Umfeld, Biodiversität und Luftqualität werden verbessert.
In der 1867 vom großen Architekten und Stadtpark-Initiator Georges-Eugène Haussmann gegründeten stadtältesten Schule École du Breuil im südöstlich gelegenen Bois de Vincennes befinden sich auf zehn Hektar die täglich geöffneten Gartenanlagen und Lehrparzellen sowie ein 13 Hektar großes Arboretum und drei Gartenschulen für etwa 3.000 Fachschüler und erwachsene Berufsumsteiger.

Schuldirektor Léon Garaix kam ursprünglich aus dem Stadtbegrünungs-Komitee der Hauptstadt und ergreift Maßnahmen wissenschaftlicher Art: In Experimentierparzellen auf dem Gelände werden mehrjährige Studien zum Auffangen der Wassermengen über die sogenannten Regengärten durchgeführt. Oder Versuche zur methodischen Dekontaminierung von ausgegrabenen Stadtböden für das 2030 anstehende Stadterweiterungsprojekt „Grand Paris“. Als Dünger werden geschredderte Weihnachtsbäume genutzt. „Es müssten bald weitere Berufe für die städtische Biodiversität erfunden werden“, so der Direktor. Immer freitags gibt es hier einen Wochenmarkt. Mit den Gemeinschaftsgärten „Les jardins passagers“ im Parc de la Villette gehört Breuil zu den 75 „Jardins remarquables“ und ist im Guide der „Potagers de France“ (potagers-de-france.fr) als einer der „schönsten Gemüse und Obst-Gärten“ Frankreichs zu finden. „Beekeeper“ Pierre Merlet hat im größten Stadtpark 2020 seine Stadtimkerei „Ruches Villette“ (ruches-lavillette.com) gegründet und bietet Workshops für nachhaltige Bienenzucht: Für den Villette-Honig fliegen seine Bienen in bis zu drei Kilometer entfernte Parks. Auch Paris ist der neue Eco-Überflieger. In der dichten, aber grün umrankten Metropole kann man nun beherzt freier atmen.