Mit sieben Aufführungen startet der rasende Wanderzirkus Teil zwei seiner Europa-Tour. Den Auftakt macht der GP Spanien. Sieger der vergangenen zwei Jahre: Max Verstappen im Red Bull. Zuvor triumphierte Mercedes-Star Lewis Hamilton fünfmal in Folge.

Für spektakuläre Rennen war der Große Preis von Kanada schon immer gut. Zuletzt sogar Qualifikation inklusive. Die Zeitenjagd für die Startplätze hätte nicht spannender und actionreicher sein können. Zwei Piloten fuhren bis auf die Tausendstelsekunde exakt die gleiche Zeit. Mercedes-Jungstar George Russell und Red-Bull-Chefpilot Max Verstappen umrundeten den 4,361 Kilometer langen Circuit Gilles Villeneuve auf der Insel Notre-Dame im Sankt-Lorenz-Strom in Montreal in 1:12.000 Minuten. Beide flogen also exakt gleich schnell über die Ziellinie.
Ein äußerst seltenes Szenario bei dem folgende Regel gilt: Wer als Erster diese Zeit aufstellt, dem gehört die Poleposition. Verstappen musste sich mit Startplatz zwei zufriedengeben. Für Mercedes war es die erste Pole seit Ungarn 2023, damals durch Hamilton.
Der Quali-Wahnsinn in Kanada ließ unweigerlich Erinnerungen an die Zeitenjagd für die Startplätze zum Großen Preis von Europa in Jerez/Spanien aufkommen. Jener Samstagnachmittag am 25. Oktober 1997 war eine unglaubliche Show des Qualifyings, das wie ein Krimi ablief und bis heute unerreichbar ist, Gleich drei (!) Piloten fuhren damals exakt die gleiche Zeit: dreimal 1:21,072 Minuten, die Poleposition mal drei – Jacques Villeneuve (Williams) als Erster vor Michael Schumacher (Ferrari) und Heinz-Harald Frentzen (Williams). Der Gladbacher Frentzen mit der Poleposition-Zeit als Dritter nur in der zweiten Startreihe – ein noch nie dagewesenes Kuriosum. Zurück zum jüngsten Kanada-Grand-Prix.
Die Fahrer hatten 70 Runden lang mit widrigen, immer wieder wechselhaften Witterungsbedingungen auf phasenweiser regennasser Strecke zu kämpfen. Weltmeister Verstappen meisterte diese Verhältnisse am besten. Am Ende ging der Red-Bull-Star aus einer wahren Wasserschlacht mit Safety-Car-Phasen und packenden Duellen auf einer schmierigen, rutschigen Bahn als Sieger hervor. Nach nur Platz sechs zuvor in Monaco hatte Verstappen zurückgeschlagen und wieder für Ordnung im Bullenstall gesorgt. Es war sein dritter Sieg beim Kanada-Grand-Prix in Folge, sein sechster Triumph im neunten Saisonrennen und seine 60. Siegesfahrt in seiner Grand-Prix-Karriere. Nur zwei Fahrer vor ihm haben mehr Siege eingefahren: Hamilton (103) und Michael Schumacher (91). Sebastian Vettel liegt hinter Verstappen auf Rang vier (53).
„Die Verhältnisse waren extrem gemein. Wenn du ein Rennen bei solch tückischen Bedingungen gewinnst, dann ist das sehr erfüllend. Es war sehr leicht, einen kleinen Fehler mit großen Folgen zu machen. Ich will nicht jedes Mal einen so stressigen Grand Prix erleben, aber ich muss auch zugeben, ich hatte sehr viel Spaß“, so der Sieger bei Sky. Für „Bulle Max“ war „ganz wichtig, in diesem turbulenten Rennen einen kühlen Kopf zu behalten, im Auto und am Kommandostand.
Hamilton sieht eine positive Entwicklung

Bullen-Stallkollege Sergio Perez erlebte nach Monaco auch in Montreal sein zweites Desaster-Wochenende in Folge. Im ersten Quali-Abschnitt schon ausgeschieden, startete der Mexikaner von Platz 16. Im Rennen leistete er sich in Runde 52 einen Dreher. „Checo“ (Abkürzung für Sergio) war mit dem Heck in die Streckenbegrenzung eingeschlagen. Er schaffte es mit dem „signifikant beschädigtem Auto“ (so die Stewards) noch in die Box und stellte seinen Wagen, an dem mehrere Autoteile fehlten, ab. Sein Team hatte ihn dazu aufgefordert, in die Box zu kommen, um eine erneute Safety-Car-Phase zu verhindern. Diese Aufforderung kostet das Team eine Geldstrafe in Höhe von 25.000 Dollar. Perez kam ebenfalls nicht ungeschoren davon. Bulle „Checo“ wird in der Startaufstellung zum Spanien-Grand-Prix um drei Plätze nach hinten strafversetzt, da er seinen stark beschädigten Boliden nach dem Einschlag nicht abgestellt hatte. Perez darf aber zwei weitere Jahre für die Bullen fahren. Sein Vertrag wurde im Vorfeld des Kanada-Grand-Prix bis Ende 2026 verlängert. Damit bleibt der Mexikaner auch im fünften Jahr Teamkollege von Weltmeister Verstappen. Zweiter in Montreal wurde McLaren-Pilot Lando Norris. Der Brite führte zwischendurch das Feld sogar an, bis Verstappen ihn überholte. Norris sagte nach starker Fahrt, seinem 18. Podestplatz und den ersten Punkten für McLaren in Montreal seit zehn Jahren: „Das war pures Chaos, so viel ist in diesem Grand Prix vorgefallen! Ich finde, ich habe ein gutes Rennen gezeigt, ich konnte irren Speed aus dem Wagen holen. Aber hinter dem Lenkrad war es ziemlich stressig. Leider ist in der Safety-Car-Phase für mich alles schiefgegangen. Ich hatte nicht das nötige Glück wie in Miami zu gewinnen.“
Von Platz eins gestartet, wurde Russell Dritter. Mit diesem Platz bescherte der Brite seinem Team Mercedes das erste Podium in dieser Saison. Russell in der Mercedes-Presseaussendung: „Ich bin von mir selbst enttäuscht. Ich habe zu viele Fehler gemacht, die uns zurückgeworfen und uns die Chance auf den Sieg gekostet haben. Meine Fehler hatten Konsequenzen, denn dadurch konnten andere Autos an mir vorbeiziehen. Ich bin da draußen wirklich bis ans Limit gegangen. Die Poleposition zu holen und auf dem Podium zu stehen ist wirklich ermutigend.“ Sein Teamkollege Hamilton, von Platz sieben gestartet, sah als Vierter die Zielflagge und kassierte den Bonuspunkt für die schnellste Rennrunde. Der Altmeister: „Es sieht so aus, als ob wir in Kanada einen Schritt näher an die Spitze herangekommen sind.“ Hamilton selbstkritisch: „Was mich betrifft, war es nicht das beste Wochenende. Ich habe alles in allem zu viele Fehler gemacht, aber das Positive, das ich mitnehmen werde, ist die Performance des Autos.“ Für Teamchef Toto Wolff war Montreal ein „ermutigendes Wochenende. Wir haben in letzter Zeit die richtigen Schritte unternommen und Updates eingeführt, die gut funktionieren. Wir scheinen bei jedem Grand Prix an Fortschritten nachzulegen. Das Rennen war eine Herausforderung. Wir hätten mehr erreichen können, eventuell sogar um den Sieg kämpfen können. Es ist also ein bisschen bittersüß.“ Auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya hat Mercedes am Sonntag (15 Uhr/Sky) die Gelegenheit, seinen Aufwärtstrend zu bestätigen und die Sterne erneut etwas funkeln zu lassen. Das Ergebnis des vergangenen Jahres soll die Sternfahrer beflügeln und Mut machen. 2023 kamen Hamilton und Russell hinter Verstappen auf die Plätze zwei und drei ins Ziel.

Was aber war bloß mit Ferrari los? Die Roten erlebten ein schwarzes Wochenende. Nach dem Sieg von Charles Leclerc in Monaco landete der stolze Traditionsrennstall in Montreal wieder auf dem harten Boden der Tatsachen. Ein tiefer Fall, Absturz aus den Punkten, erstmals seit Melbourne 2023 nichts Zählbares, totaler Sturzflug im Rennen, Doppelausfall, erstmals seit Baku 2022 beide Ferraris nicht im Ziel. Das Desaster zeichnete sich schon im Qualifying ab: Nur die Startplätze elf (Leclerc) und zwölf (Sainz). Im Rennen kämpfte der Monegasse vom Start weg mit Motorproblemen, gab in Runde 41 nach Überrundung und Strategie-Slapstick in Sachen Reifenwahl auf und stellte den Ferrari in der Box ab. „Ich habe 1,2 Sekunden pro Runde auf den Geraden verloren. Das war ziemlich nervig. Ich habe pro Runde zehn verschiedene Motoreinstellungen versucht, aber alle sind links und rechts an mir vorbeigepfiffen“, erklärte Leclerc sein Debakel bei Sky. Insgesamt ein frustrierendes Wochenende.“
Ferrari sieht keinen generellen Trend
Das Aus von Teamkollege Sainz verlief etwas anders. In Runde 53 verlor der Australien-Sieger die Kontrolle über seinen Ferrari, drehte sich von der Piste. Dabei räumte der Madrilene Williams-Pilot Alex Albon ab. Das Aus beider Piloten war besiegelt. Im Gegensatz zu Leclerc hatte Sainz keine technische Ausrede. „Das war ein Rennen zum Vergessen. Wir wussten, dass es nicht einfach werden würde, denn wir hatten schon das ganze Wochenende hindurch Mühe mit dem Grip und dem Fahrverhalten“, fasste Sainz danach enttäuscht zusammen. „Das Rennen war am Limit, als ich versucht habe, mehr Risiken einzugehen, machte ich einen Fahrfehler und drehte mich. Ich rutschte sehr viel herum. Uns fehlte die Pace, zu überholen. Wir hatten mehr Tempo erwartet“, so das Kanada-Fazit des 29-Jährigen. Was die Leistung des Ferrari betrifft, so bemängelte Teamchef Fred Vasseur den Verlust von etwa 80 PS, die durch einen Fehler im Motorsteuerungs-System verloren gingen. Dennoch blickt Sainz zuversichtlich auf sein Heimrennen am Sonntag. „Die schlechte Form wird sich nicht wiederholen“, ist der dreimalige Grand-Prix-Sieger überzeugt. Er erwartet, dass „Ferrari in Barcelona wieder da weitermacht, wo wir normalerweise stehen.“

Für Max Verstappen hat der Circuit de Catalunya eine ganz besondere Bedeutung. Als der Toro Rosso-Pilot nach seiner F1-Debütsaison 2015 ein Jahr später nach dem vierten Saisonrennen in den Bullenstall befördert wurde und in Spanien seinen ersten Grand Prix für sein neues Team bestritt, bedankte er sich gleich mit einem Sieg. Mit 18 Jahren und 228 Tagen war Neu-Bulle Verstappen der bis dahin jüngste Formel-1-Sieger. Für die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ ist Verstappen „der Fahrer, der nie Fehler macht. Der nicht verzeiht.“ Gleichzeitig warnt das Blatt den Rest des Feldes und bemerkt: „Verstappen ist der Fahrer, der seit 750 Tagen die Weltmeisterschaft anführt, die Führung 2022 in Barcelona übernommen hat und keine Absicht hat, sie abzugeben.“
Vor dem Spanien-Grand-Prix führt der Weltmeister die Fahrerwertung mit 56 Punkten Vorsprung auf Leclerc (194:138) an. Norris folgt als WM-Dritter (131) vor Sainz (108) und Perez (107). Haas-Pilot Nico Hülkenberg verpasste in Kanada als Elfter knapp den letzten Punkt, belegt Platz 14 (sechs WM-Punkte). In der Markenwertung der Konstrukteure liegt Red Bull mit 301 Punkten auf Platz eins, gefolgt von Ferrari (252) und McLaren (212). Das ehemalige WM-Team Mercedes aktuell auf Platz vier, hat mit 124 Punkten nur fast halb so viel Zähler wie sein Kundenteam McLaren das mit Mercedes-Motoren befeuert wird.