Die Ergebnisse der Europawahl haben tiefe Spuren bei den Koalitionspartnern hinterlassen. Bei den Haushaltsberatungen stecken sie im Dilemma – keiner kann sich einen Koalitionsbruch erlauben.
Es war direkt nach der ersten Hochrechnung am Wahlabend ein typischer Olaf Scholz: Auf die Bitte nach einem Kommentar zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Europawahl gab es vom Bundeskanzler ein schlichtes „Nö“. Anschließend ließ er die Reporter einfach stehen und verschwand.
Bei den Sozialdemokraten ist man zunehmend beunruhigt über die verbale Performance ihres Kanzlers, ganz abgesehen von dem dürftigen Ergebnis bei der Europawahl und den jüngsten Umfragen. Vor allem bei den SPD-Bundestagsabgeordneten geht die Angst um. Sollten sich die jüngsten Umfragewerte von um die 16 Prozent bei der Bundestagswahl in gut einem Jahr bewahrheiten, dann müssten mindestens ein Drittel der 206 Bundestagsabgeordneten ihre Koffer in Berlin packen und nach Hause fahren. Auch das ein Grund, warum sich die SPD-interne Debatte zunehmend verschärft. Zumal die Sozialdemokraten mit Boris Pistorius jemanden haben, der seit langem die Rangliste der beliebtesten Politiker anführt, sicher auch, weil der kommunikativ das genaue Gegenbild des Kanzlers abgibt.
Kommunikatives Defizit des Kanzlers
Allerdings steht Verteidigungsminister Pistorius derzeit vor einer harten Bewährungsprobe: den Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2025, die bis Mitte Juli, also vor der Sommerpause, abgeschlossen sein sollen. Sein Ministerium muss zwar nicht sparen wie alle anderen Ressorts, doch verlangt der Verteidigungsminister erheblich mehr Geld als in den bisherigen Planungen vorgesehen. Zwischen mindestens 4 und 6,5 Milliarden Euro solle die Bundeswehr im kommenden Jahr mehr bekommen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat diesem Ansinnen schon im Vorfeld eine Absage erteilt, es sei denn, in anderen Ressorts würde mehr gespart, um unterm Strich die Schuldenbremse einzuhalten.
Jetzt liegt es am Kanzler, seinem Verteidigungsminister Pistorius doch noch den Weg für mehr Geld zu ebnen. Da sich aber nun abzeichnet, dass der Verteidigungsminister mit einem solchen Erfolg zum Konkurrenten als Kanzlerkandidat aufwachsen könnte, wird Olaf Scholz wenig Lust haben, sich mit seinem FDP-Finanzminister diesbezüglich anzulegen, um zusätzliche Mittel für die Verteidigung rauszuschlagen. Die geforderten 6,5 Milliarden müssten folglich, wie der Finanzminister fordert, an anderer Stelle gespart werden – doch wo? Nach interner Logik der Koalition könnte das nur in den SPD-geführten Ressorts erfolgen. Grüne und FDP werden aus ihren Haushalten kaum etwas abgeben wollen.
Genauso schwierig wie die derzeitige Gemengelage bei der SPD sieht es derzeit auch bei den Grünen aus. Bei der Europawahl 8,6 Prozentpunkte verloren, da ist die Stimmung ebenfalls parteiintern nicht gut, zumal in den Landesverbänden, die in neun Kommunalwahlen ebenfalls erheblich an Stimmen verloren haben.
Co-Parteichef Omid Nouripour musste nach dem Wahldesaster immer wieder vor die Mikrofone und erklären, woran es gelegen hat oder haben könnte. Das ist offensichtlich die Arbeitsteilung zwischen den beiden Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour: Die guten Ereignisse oder Ergebnisse im politischen Leben sind eher weiblich, wenn es holprig wird, ist das dann Männersache.
Auch bei den Grünen geht es um die Spitzenkandidatur bei der kommenden Bundestagswahl, die spätestens im September 2025 stattfinden wird, wenn es nicht zu vorzeitigen Neuwahlen kommt. Derzeit sprechen die Mitarbeiter in der Parteizentrale der Grünen am Platz vor dem neuen Tor direkt neben der Charité in Berlin Mitte eher von Spitzen- als von Kanzlerkandidatur. Kein Wunder bei den Wahlergebnissen und aktuellen Umfragewerten. Intern hat einer dabei ziemlich schlechte Karten: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Unterschwellig ist man in der Darstellung immer bemüht, ihm politisch den schwarzen Peter zuzuschieben, wenn es bei den Grünen mal nicht so richtig rund läuft. Innerhalb der Partei meint man es nicht wirklich gut mit Habeck. Alle zum Skandal aufgeblasenen Affären wurden aus den Reihen der Grünen selbst an Journalisten durchgestochen. Der Vorwurf der Vetternwirtschaft war so ein Beispiel. Von der Causa Graichen, Staatssekretär im Ministerium von Habeck, haben die Berliner Politik-Reporter vor allem aus den Reihen der Grünen selbst erfahren. Politische Beobachter kommen deshalb zu dem Schluss, dass es die Grünen vermutlich noch einmal mit Annalena Baerbock, der Außenministerin, als Spitzen- oder auch Kanzlerkandidatin versuchen wollen.
Doch davor stehen noch drei Landtagswahlen, die nicht nur die Grünen laut Umfragen wenig hoffnungsfroh stimmen. Am ersten September wird in Sachsen und Thüringen, dann drei Wochen später in Brandenburg ein neues Landesparlament gewählt. Es sieht nicht gut aus für die Grünen – und erst recht nicht für die FDP in diesen drei Ländern. Da liegen auch bei den Liberalen die Nerven blank. Sie haben die Europawahl mit 5,2 Prozent halbwegs brauchbar über die Bühne gebracht, doch die Umfragen für die drei anstehenden Landtagwahlen versprechen wenig Gutes. Dazu kommt, dass die FDP, nachdem man Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach Brüssel geschickt hat, endgültig eine One-Man-Show mit FDP-Chef Christian Lindner ist. Darum wird der Bundesfinanzminister in den anstehenden Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2025 sehr genau darauf achten, dass er sein Versprechen hält: Die Schuldenbremse steht und wird nicht angetastet, komme, was da wolle.
Bundeshaushalt 2025 als Bewährungsprobe
Allerdings haben auch die Liberalen, wie auch die beiden anderen Ampel-Koalitionäre, kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen nach einem möglichen Koalitionsbruch. Nach Lage der Dinge würden alle drei Parteien dabei nur verlieren können. Der FDP würde sogar drohen, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Somit stehen die Partner vor dem Dilemma, einerseits in den Haushaltsberatungen für die eigenen politischen Projekte Profil zeigen zu müssen, um ihre Ausgangslage zu verbessern, und andererseits aber einen Bruch der Koalition zu vermeiden.
Letzteres wiederum erfordert ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft.
Ein Ausweg könnte deshalb ein weiteres sogenanntes Sondervermögen sein. Damit könnte im Kernhaushalt die Schuldenbremse formal eingehalten werden, andere Aufgaben dann durch Schulden in einem Sondervermögen finanziert werden.
Hinter vorgehaltener Hand werden dafür schon Aufgaben wie eben die schon erwähnte Bundeswehr oder auch Infrastrukturprojekte, etwa Straßen, Brücken und Schienen gehandelt.
Nur hat das mit dem Sondervermögen seine juristischen Tücken, was wiederum die Opposition einmal mehr zu einem Gang nach Karlsruhe bewegen könnte, um die Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen.
Da hat es bekanntlich schon einmal ein böses Erwachen für die Ampel gegeben, als die Karlsruher Richter die Umwidmung von Corona-Sondervermögen zu Klima-Sondervermögen für unzulässig erklärt hatten.