Barry Adamson ist wohl das größte Musik-Genie, das niemand kennt – zumindest ist er im kollektiven Gedächtnis der breiten Öffentlichkeit nicht verankert. Und das, obwohl sich die Liste seiner Zusammenarbeiten und Weggefährten sehen lassen kann: Der 66-jährige Brite war als Bassist Gründungsmitglied von Nick Cave and the Bad Seeds und Magazine sowie auf den ersten beiden Alben von Visage vertreten. Große Regie-Weirdos wie David Lynch, Derek Jarman oder Oliver Stone bedienten sich seiner Werke. Remixe tätigte er etwa für Einstürzende Neubauten und Depeche Mode. Trotzdem wird auch sein zehntes Studioalbum „Cut to Black“ die vorderen Plätze der Charts meilenweit verfehlen.
Das liegt natürlich zum einen an seiner Persönlichkeit, die er bei Auftritten und auf Album-Covern hinter Hüten und Sonnenbrillen versteckt, was ihm eine gewisse Enigmatik verleiht. Das liegt zum anderen aber auch an der Musik, die bei seinen Solowerken stets aus der Zeit gefallen wirkt. Gleichzeitig ist sein Sound irgendwo zwischen 60er-Spionagethriller, Blues, Soul und Rock zeitlos – bei gleichzeitiger Verweigerung des Festlegens auf nur ein Genre. „Es ist alles davon“, sagt Adamson selbst.
Und so legt er auch hier wieder eine Rhythmus-Sektion mit schwerfälligem Schlagzeug und ebenso treibendem wie groovigem Bass vor. Immer wieder schiebt er eingängige Refrains wie bei „One Last Midnight“ oder „Manhattan Satin“ dazwischen, wie um zu zeigen: Ich könnte schon kommerziell abliefern – wenn ich wollte. Doch so kantig, wie er selbst als Typ scheint, lässt er es auch nicht zu, dass sich seine Musik so einfach erschließt. Man muss schon zuhören, wie sich die Songs entfalten, muss auf Details achten und muss gewillt sein, die musikalischen Breitwandbilder vor dem geistigen Auge wirken zu lassen. Ein musikalischer Road Trip: Der Weg ist das Ziel.
Für Einsteiger in das Oeuvre des Multiinstrumentalisten mit der samtigen Stimme und der Phrasierung eines Widerhakens empfiehlt sich „Memento Mori“ (2018), eine Art Best of. Dann gilt es noch, „Oedipus Schmoedipus“ (1996) zu entdecken, das viele als sein bestes Werk empfinden.