Der neue Trainer Cristian Fiél soll den aktiven Ansatz von Hertha BSC weiterentwickeln – und die Rückkehr in die Bundesliga schaffen.
Es gibt sie noch – diese Momente, in denen deutlich wird, dass Hertha BSC immer noch über eine gewisse Strahlkraft im deutschen Fußball verfügt. Das offenbarte sich jüngst beim Transfer von Kevin Sessa: Der 23-Jährige verbrachte gerade erst seine erste Spielzeit mit dem 1. FC Heidenheim in der Fußball-Bundesliga und hatte dort bereits seit Jahresbeginn ein Angebot zur Vertragsverlängerung vorliegen. Auch Vereine aus dem Ausland sollen interessiert gewesen sein an dem Mittelfeldspieler, der in seinem Debütjahr in der Erstklassigkeit auf 30 Einsätze kam. Erst vergleichsweise spät intensivierte Hertha BSC das Werben um den in diesem Sommer ablösefreien Profi – und machte das Rennen. Zum Glücksgefühl über solch einen Coup dürften sich außerdem bei den Fans der Blau-Weißen feuchte Augen gesellt haben angesichts der Stellungnahme Sessas: „Der Verein war der springende Punkt in meinen Überlegungen: wie riesig er ist und welche Kraft er besitzt, dazu die Fans, das Stadion und die Stadt – ich hatte direkt Lust darauf“, begründete er seinen Wechsel vom Ober- ins Unterhaus des deutschen Fußballs. „Kevin besitzt ein sehr spannendes, vielseitiges Profil, hat trotz seines jungen Alters bereits reichlich Erfahrungen gesammelt und seine Qualitäten sowohl in der 1. als auch in der 2. Bundesliga unter Beweis gestellt“, listete Herthas Sportdirektor Benjamin Weber die Vorzüge des zweiten Neuzugangs für kommende Spielzeit nach Luca Schuler (24, Angriff – vom 1. FC Magdeburg) in einer Vereinsmitteilung auf.
Und auch beim neuen Trainer des Berliner Zweitligisten scheint die Entscheidung durch einen besonderen Reiz motiviert gewesen zu sein – schließlich war Cristian Fiél zum Beispiel eigentlich noch bis Sommer 2025 beim Ligakonkurrenten 1. FC Nürnberg vertraglich gebunden. Außerdem hatte der „Club“ ihm vor der Arbeit bei den Männern obendrein die Gelegenheit zum Neueinstieg in den Trainerbereich gegeben: Denn nach zehn Monaten im Amt bei Dynamo Dresden war Fiél im Anschluss anderthalb Jahre ohne Amt geblieben, ehe er im Sommer 2021 beim FCN für die zweite Mannschaft ausgewählt worden war. Der damalige Sportvorstand Dieter Hecking hatte den Ex-Profi – der in seiner aktiven Vita auch eine zumindest im blau-weißen Teil der Hauptstadt wahrscheinlich als „Schönheitsfleck“ empfundene Station beim 1. FC Union (Juli 2001 bis Januar 2003) vorweist – an die Noris geholt. Später machte Hecking ihn zu seinem Assistenten, als der sich im Februar 2023 in sportlicher Not dazu gezwungen sah, wieder den Platz auf dem Trainerstuhl der Nürnberger zu übernehmen. Nach gelungener „Mission Klassenerhalt“ beschränkte sich der Sportvorstand dann wieder auf die operative Ebene und machte den im schwäbischen Esslingen geborenen Spanier vor der abgelaufenen Saison zum Cheftrainer. Fiél passte gut zum Suchprofil der Franken, mit vorwiegend jungen Spielern einen aktiven Fußball präsentieren zu wollen. Jedoch glich die Saison des 1. FC Nürnberg dann einer Achterbahnfahrt, ein Schnitt von 1,18 Punkten pro Partie brachte das auch in nüchternen Zahlen zum Ausdruck. Allerdings stellten die Nürnberger auch den viertjüngsten Kader der Zweiten Liga – mit letztlich 40 Punkten und der drittschlechtesten Rückrundenbilanz musste man jedoch länger zittern, als den Verantwortlichen lieb war. Daher kam es bereits kurz vor Saisonende zur Abberufung von Hecking durch den Aufsichtsrat – möglicherweise auch ein Punkt, der Fiél ins Grübeln gebracht hat. Dem Spanier werden außerdem freundschaftliche Bande zu Herthas Leiter der Lizenzspielerabteilung, Andreas „Zecke“ Neuendorf, nachgesagt – was die Gerüchteküche nach Bekanntgabe der Nichtverlängerung mit Trainer Pal Dardai in der Hauptstadt natürlich befeuerte. Doch aus Nürnberg waren zu dem Thema zunächst nur Dementis zu vernehmen – erst, als dort Ende Mai der Posten des Sportvorstands mit Joti Chatzialexiou neu besetzt worden war, kam Bewegung in die Angelegenheit. Der frühere sportliche Leiter beim DFB teilte jedenfalls kurz nach seinem Amtsantritt mit, dass Cristian Fiél zur kommenden Saison eine neue Herausforderung suche – damit war der Weg gegen eine Ablösesumme von etwa 400.000 Euro an die Spree frei.
Fiél soll mutigen Fußball spielen lassen
„Wir haben nach einem Trainer gesucht, der mutigen und offensiven Fußball spielen lässt, der bereits Erfahrung in der 2. Bundesliga besitzt und für die Entwicklung junger Spieler steht“, erklärte Sportdirektor Benjamin Weber die Wahl der Verantwortlichen bei Hertha BSC. Und auch der „Wunschkandidat“, wie ihn Geschäftsführer Thomas E. Herrich ausdrücklich nannte, fand warme Worte für seine Entscheidung: „Ich war letztens erst mit Nürnberg im Olympiastadion: Abendspiel, volles Haus, ein Wahnsinnserlebnis – die Größe und Strahlkraft dieses Clubs sind bekannt, jetzt bin ich Cheftrainer dieses Vereins: ohne Worte“, so Fiél. Der 44-Jährige bringt dabei den Portugiesen Jaime Monroy als Assistenten mit, wird ansonsten mit dem bekannten Hertha-Staff der letzten Jahre – bestehend aus Torwarttrainer Andreas Menger sowie den beiden Athletiktrainern Henrik Kuchno und Hendrik Vieth – zusammenarbeiten. Ursprünglich stand dabei auch eine Beförderung von U19-Coach Oliver Reiß zum Assistenten bei den Zweitligaprofis zur Debatte – doch der ebenso ehrgeizige wie erfolgreiche Übungsleiter hat sich nun doch für eine neue Herausforderung entschieden und Hertha BSC abgesagt. In jedem Fall wird die Aufgabe für Cristian Fiél fordernd im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, attraktiven Fußball mit jungen Fußballern zu bieten, und dem klaren Ziel der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga am Ende des zweiten Jahrs im Unterhaus. Sollten dabei Zweifel vor allem am Aufstieg aufkommen, wird sich dabei nicht nur der neue Trainer schnell mit kritischen Fragen konfrontiert sehen – sondern auch die Verantwortlichen, die für die Personalie eine Abkehr von „Vereinsikone“ Pal Dardai in Kauf genommen haben. Nach der Klärung der sportlich wichtigsten Position kann man sich nun aber immerhin noch intensiver auf dem Transfermarkt umsehen beziehungsweise -hören – die eine oder andere Einsparung beziehungsweise Einnahme durch die Abgabe von Spielern gehört dabei ebenso dazu, wie die akribische Suche nach möglichen Neuzugängen. Die letzte Eloge eines verpflichteten Profis auf die Strahlkraft von Hertha BSC diesen Sommer soll die von Kevin Sessa jedenfalls noch nicht gewesen sein.