Borussia Mönchengladbach hat eine Saison zum Vergessen hinter sich. Nun bekommt die Mannschaft ein neues Gesicht, an dem sich Sportdirektor Roland Virkus messen lassen muss.
Es waren deutliche Worte: „Wenn man diese Saison gesehen hat, ja. Natürlich muss man sich um die Borussia immer wieder Sorgen machen. Borussia hat die letzten zwei, drei Jahre sehr viel an Boden verloren“, zeigte sich Lothar Matthäus besorgt über die aktuelle Lage seines ehemaligen Vereins Borussia Mönchengladbach. Der Weltmeister von 1990, der einst seine Profi-Karriere bei der Borussia begann, äußerte seine Bedenken bei einem Sponsorenevent in Mönchengladbach. Matthäus betonte, dass die Mannschaft in den letzten Jahren deutlich an Qualität verloren habe. „Borussia Mönchengladbach muss Stabilität finden und sich aus der derzeitigen Krise befreien“, forderte der 63-Jährige. „Angesichts der Vereinsgeschichte sollte das Ziel immer sein, europäische Wettbewerbe zu erreichen.“ Derzeit befinde sich der Verein jedoch im „grauen Niemandsland“, was ihm persönlich sehr wehtue. Matthäus kritisierte die Vereinsführung für strategische und wirtschaftliche Fehlentscheidungen. „Die gesetzten Ziele waren oft zu niedrig, was den Spielern stets eine Ausrede verschaffte“, meinte er. Vor drei Jahren erreichten die Gladbacher noch das Achtelfinale der Champions League, doch seither ging es kontinuierlich bergab. In der letzten Saison konnte sich Borussia Mönchengladbach nur knapp mit einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz vor dem Abstieg retten.
Krauss gewann den letzten Titel
Zu der Lage bei den Fohlen hat sich Bernd Krauss ebenfalls geäußert. Er ist der bislang letzte Trainer, der mit Borussia einen Titel gewann. Krauss, der von November 1992 bis Dezember 1996 den Verein trainierte und 1995 mit einem 3:0-Sieg gegen den VfL Wolfsburg den DFB-Pokal gewann, sieht seinen ehemaligen Verein in einer prekären Lage. „Eine Riesenchance wurde im Pokal vertan, die so schnell nicht wiederkommen wird. Es ist schon 30 Jahre her, dass der Pokal gewonnen wurde, das ist kaum zu fassen“, erklärte der 66-Jährige. Das überraschende Aus im Pokal gegen Saarbrücken sei nur ein Symptom der tiefer liegenden Probleme.
„Jedes Jahr gibt es einen Verein, der überraschend schlecht abschneidet, aber bei Borussia muss alles hinterfragt werden. Es läuft schon seit Jahren nicht gut. Man muss prüfen, ob das Scouting korrekt arbeitet und ob die richtigen Spieler verpflichtet werden. Offenbar nicht, sonst wären nicht alle Trainer gescheitert. Es müssen neue Ideen her“, kritisierte Krauss.
Gerardo Seoane, seit der vergangenen Saison im Amt, ist bereits der dritte Trainer in Folge, der Schwierigkeiten mit dem Verein hat. Das aktuelle Team hat personell kaum noch Ähnlichkeiten mit den Mannschaften, an denen Adi Hütter und Daniel Farke gescheitert sind. Krauss betont, dass das Problem nicht beim Trainer liege. „Seoane ist ein hervorragender Trainer. Er hat in Leverkusen gute Arbeit geleistet. In Gladbach ist jedoch alles zu harmonisch, es gibt keine Reibungspunkte und alles ist festgefahren. In Gladbach ist es fünf vor zwölf“, so Krauss.
Wieviel Zeit hat Seoane noch?
Auch die Fans sind besorgt. Frank Landzettel, Vorsitzender des größten Borussia-Fanclubs „Odenwälder Fohlen“, äußerte sich gegenüber Sport1: „Die Fans waren bereit, den Weg des Umbruchs mitzugehen, und die Stimmung war bis zum Pokal-Aus nicht schlecht. Zwar gab es sportliche Rückschläge, aber das DFB-Pokalfinale war ein erreichbares Ziel. Nach dem Pokal-Aus war die Stimmung am Tiefpunkt, denn die Mannschaft hat komplett versagt und den Rückhalt der Fans verspielt.“ Es fehlen laut Landzettel Führungsspieler, die die Mannschaft mitziehen. „Solche Spieler zu finden sollte eine Hauptaufgabe der Verantwortlichen sein. Über einen erneuten Trainerwechsel nachzudenken, halte ich für unsinnig.“
Der Journalist Karsten Kellermann, der Borussia seit 25 Jahren begleitet, sieht den Abstieg des Vereins in Zusammenhang mit dem Weggang von Max Eberl. „Eberls Abgang hat den Club erschüttert. Die Hoffnung, sich mit Marco Rose oben zu etablieren, war trügerisch. Seitdem fehlt die zuvor aufgebaute Identität, und Borussia ist auf der Suche nach einer neuen, stabilen Identität“, erklärte Kellermann. „Durch die sportliche Talfahrt und die Auswirkungen der Corona-Pandemie fehlt das Geld für große Transfers. Es wird ein langwieriger Wiederaufbau mit dem bereits dritten Trainer.“ Das mittelfristige Ziel müsse sein, sich wieder in der oberen Tabellenhälfte zu etablieren und die unteren internationalen Plätze ins Visier zu nehmen. „Erst einmal geht es jedoch darum, nicht weiter abzurutschen“, betonte Kellermann.
Und auf der Suche nach Verstärkungen wird die Borussia so langsam fündig und hat bereits zwei neue Spieler verpflichtet. Nach Philipp Sander vom Aufsteiger Holstein Kiel wechselt auch der 30-jährige Österreicher Kevin Stöger ablösefrei vom VfL Bochum zu den Fohlen. Stögers Vertrag läuft bis zum 30. Juni 2027. Mit 148 Bundesligaspielen für Fortuna Düsseldorf, Mainz 05 und Bochum bringt Stöger viel Erfahrung mit. Obwohl er auf den ersten Blick wie ein durchschnittlicher Bundesligaspieler wirken mag, hätte Gladbach ihn zu Zeiten ihrer Europapokal-Teilnahmen möglicherweise nicht ins Auge gefasst. Allerdings lobte Taktik-Analyst Tobias Escher Stöger bereits im April 2019 in einem Beitrag für den „Spiegel“ als „den besten Bundesligaspieler, den kaum jemand kennt“. Und das aus gutem Grund: Stöger führte die Bundesliga in der Anzahl der erfolgreichen Flanken (53) und der kreierten Torchancen nach Standardsituationen (59) an. Zudem war er nach Florian Wirtz (70) der zweitbeste Spieler in Bezug auf die aus dem Spiel heraus kreierten Chancen (68). Stöger initiierte 17 Großchancen, was nur Julian Brandt (18) und sein zukünftiger Mitspieler Franck Honorat (19) übertrafen. Darüber hinaus spielte er die meisten Pässe (einschließlich Flanken) in den Strafraum (395) und gehörte zu den Spielern mit den siebtmeisten erfolgreichen Pässen ins letzte Drittel (489). Diese beeindruckenden Statistiken sollten den Gladbach-Fans Hoffnung geben. Stöger, der als offensiver Mittelfeldspieler auf der Zehn oder als Achter eingesetzt werden kann, ist ein kreativer Kopf für das Gladbacher Zentrum. Während Manu Koné und Rocco Reitz eher als Balltreiber agieren, zeichnet sich Stöger durch sein passgenaues, offensives Spiel aus und sucht gezielt die Angreifer, um aus dem Mittelfeld heraus die gegnerische Abwehr zu überwinden. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Veränderungen im Mittelfeld und anderen Mannschaftsteilen vorgenommen werden.
Viele Hoffnungen ruhen auf Stöger
Im Sturm ist Gladbach ebenfalls auf der Suche nach Verstärkungen und hat Tim Kleindienst vom 1. FC Heidenheim ins Visier genommen. Der Mittelstürmer erzielte in der vergangenen Bundesliga-Saison zwölf Tore und bereitete fünf weitere in 33 Spielen vor. Zum Vergleich: Alassane Plea war der beste zentrale Angreifer von Gladbach mit sieben Treffern. Laut „Sky“ laufen bereits Gespräche zwischen den Parteien, und Heidenheim wurde über das Interesse der Gladbacher informiert. Kleindiensts Vertrag bei Heidenheim läuft bis 2027, enthält jedoch eine Ausstiegsklausel, die bei etwa sieben bis acht Millionen Euro liegen soll. In einem Interview im Frühjahr sagte Kleindienst, dass er sich einen Wechsel durchaus vorstellen könne, es jedoch auf die Umstände ankomme: „Ich kann es mir natürlich vorstellen, ob es Sinn macht, ist eine andere Frage. Wenn Angebote reinkommen, guckt man sich die immer an, das liegt in der Natur eines Fußballers. Jeder strebt nach dem Maximum in seiner Karriere, das ist bei mir nicht anders. Angucken schadet nicht, aber man muss bei sich bleiben und schauen, was man hat. Man wird leider nicht jünger, deshalb muss man abwägen, was passt und was nicht.“ Bei der Borussia hat im vergangenen Jahr nicht viel gepasst, ob es im kommenden Jahr besser wird, steht in den Sternen. Stöger und eventuell Kleindienst sind da wohl ein Schritt in die richtige Richtung – es dürfen aber nicht die einzigen bleiben.