Er ist einer der meistgelesenen Kinderbuchautoren der Welt: Erich Kästner aus Dresden. Seine Heimatstadt hat ihm manches Denkmal gesetzt – und feiert dieses Jahr seinen 125. Geburtstag.
Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es“, schrieb er. Seinen Spuren in Dresden zu folgen, ist ganz einfach: über die Elbe in die Neustadt, in das schlichte Gründerzeitviertel mit den „Hungerbarock“-Fassaden. Und wartet dort, bis die Kinderstraßenbahn „Lottchen“ mit aufgemaltem Löwenkopf angerattert kommt. Horden aufgeregter Kinder speit sie aus, die – „Emil und die Detektive“ im Kopf – mit roten Gesichtern die Spur des Autors aufnehmen. Ein „unterschätzter, deutscher Dichter“ hatte Marcel Reich-Ranicki befunden. Den Dichter kennen die kleinen Fahrgäste wohl kaum, aber sicherlich den, der für sie geschrieben hat, den Vater von Emil und Pony Hütchen, von Pünktchen und Anton und dem „dobbelden Loddschn“ Luise und Lotte.
Seine Mutter legte Wert auf Bildung
In jeder seiner Figuren steckt etwas von dem kleinen Jungen aus der Königsbrücker Straße und von den Menschen, denen er täglich begegnete. Am Haus Nummer 66 erinnert eine Tafel an den Tag seiner Geburt, den 23. Februar 1899, später lebte er mit seinen Eltern nebenan in den Häusern Nummer 48 und 38 in kleinbürgerlich-proletarischen Verhältnissen. Die mehrstöckigen Mietskasernen – ein seltenes Stück Vorkriegsdresden – mit gebohnerten Stufen, Hinterhöfen mit Klopfstangen, den winzigen Lädchen und Kneipen im Kiez haben ihn geprägt. Selten verließ er sein vertrautes Viertel, eigentlich nur, wenn er mit seiner Mutter Ida Stehplätze in der Oper zu ergattern suchte oder wenn er zur Weihnachtszeit genüsslich über die „abendlich funkelnde Prager Straße“ bummelte. Und so schrieb Kästner später: „Ich selber bin, was sonst ich auch wurde, eines immer geblieben: ein Kind der Königsbrücker Straße“. Seine Mahnung „Lasst euch die Kindheit nicht austreiben, nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch!“ ist heute so frisch wie damals.
Seine Jugend war nicht ganz so fröhlich wie die der kleinen Detektive heute. Sein Vater Emil brachte als Fabrikarbeiter nur spärliches Geld nach Hause, die heiß geliebte Mutter schuftete erst an der Nähmaschine, später als Hausfriseurin und trug so zeitlebens zum Familieneinkommen bei – auch um dem Sohn den Besuch von Schule und Uni zu ermöglichen. Während sie die Nachbarinnen ondulierte und frisierte, verschlang Klein-Erich, ehrgeizig und wissbegierig, jedes Buch, das er in die Hand bekam. „Ich las, las und las.“ Bildung und Ausbildung waren Mutters oberstes Ziel, ihr Junge sollte ein ganz Großer werden. Und als er es war und längst in München lebte, besuchte er sie treu und brav btin der sowjetisch besetzten Zone, schrieb ihr tagtäglich Briefe privaten und beruflichen Inhalts.
Kästner hatte positiven Blick auf das Leben
Wo die Königsbrücker Straße beginnt, in einem zweistöckigen Haus mit der stolzen Adresse Antonstraße Nummer 1 wohnte Kästners betuchter Onkel Franz Augustin, der im Pferdehandel reich geworden war. Mit Eifer und Freude verbrachte der Neffe Erich mit seinen Eltern viel Zeit in der stattlichen Villa, die an den Albertplatz grenzte. Dort machte er erste Beobachtungen, die seine schriftstellerische Laufbahn wohl begründeten. „Am liebsten hockte ich auf der Gartenmauer und schaute dem Leben und Treiben auf dem Albertplatz zu. Die Straßenbahnen, Hunderte von Menschen, Lastwagen, Kutschen, Autos und Fußgänger … hielten dicht vor meinen Augen, als täten sie’s mir zuliebe.“ Der Albertplatz war die Bühne, die er in seinem Buch „Als ich ein kleiner Junge war“ beschreibt und in dem er den Kindern auch einiges aus seiner Kindheit erzählt. „Nur einiges, nicht alles. Sonst würde es eines der dicken Bücher, die ich nicht mag“. Die Dresdner und Touristen tun es ihm auch heute noch zuliebe; und der kindliche Beobachter hockt noch auf der Mauer unter einem Fliederbaum als bronzenes Denkmal, geschaffen von Mátyás Varga.
Die Villa beherbergt das Erich-Kästner-Museum, einzigartig auf der Welt in seiner Form als „mobiles, interaktives Mikromuseum“. Längst zählt er zu den Klassikern der deutschen Literatur. Wie kann man sein Erbe weitergeben? „Wir wollen seinen Facettenreichtum nachbilden, seinen Humor, seinen scharfen Verstand, die kreative Sprache und seine Sicht auf Schule und Bildung“, erklärt Andrea O’Brien, Geschäftsführerin des Museums. Die Ausstellungsfläche, nicht größer als ein Wohnzimmer, bietet ein neuartiges Konzept. „Bei uns sollen die Besucher mit den Exponaten, die sie in den verschiedenfarbigen Schubläden der schmalen Holztürme finden, eine selbst gebastelte Reise zu „ihrem“ Kästner erleben. Und was fasziniert an dem Autor? Er hat „das lachende Auge“. Sein positiver Blick aufs Leben. Und er geht mit Humor und Satire auch an ernste Themen ’ran.
Quer über den Albertplatz, an der Ecke zur Alaunstraße, steht ein weiteres Denkmal, ein Schriftstellerleben in Bronze gegossen von Wolf-Eike Kuntsche: ein Kaffeehaus-Tisch mit 37 Büchern, die aus der Nähe betrachtet Kästners Gesamtwerk aufblättern, den Stift, Schreibblock, eine gerollte Zeitung, eine Kaffeetasse und ein Glas für Wasser – oder Whisky, von dem er zum Ende seines Lebens mehr trank, als ihm guttat.
„Ja, Dresden war eine wunderbare Stadt“
Vieles hat sich seit Kästners Zeiten in der Neustadt verändert, doch einiges ist noch zu entdecken wie der Schulweg des Jungen: „Die 4. Bürgerschule in der Tieckstraße, ein vornehm düsteres Gebäude mit einem Portal für Mädchen und einem für Knaben, gibt es nicht mehr“, erzählt er in seinem Werk. Sein Turnverein in der Alaunstraße musste dem heutigen Kulturzentrum des Szeneviertels, der Scheune, weichen. Aber die gewaltigen Sandsteinbögen der Augustusbrücke sind noch da und beeindrucken; über die lief Erich ins Hochkunst-Dresden. Nicht wenige Male suchte er verzweifelt die Elbbrücken nach seiner lebensmüden Mutter ab, fand sie meistens und konnte sie im Leben halten. Kompensierend gleichsam ließ er seinen Romanhelden „Fabian“ sich von der Brücke in den breiten Strom stürzen und ertrinken.
Der Blumenladen der „klitzekleinen Frau Stammnitz“ in der Louisenstraße 21 gehört zu jeder Kästner-Tour. Noch immer wollen Leute wissen, welche Sonntagsblumen der kleine Erich seiner Mutter kaufte. Ach, und die Kneipe „Sybillenort“ Ecke Jordanstraße, wo er Bier für die bescheidenen Familienfeiern holte, und die Bäckerei Wirth mit der Bäckersfrau, die Mutter Ida frisiert hatte und mit der Erich bis zu ihrem Tod 1971 Briefe wechselte. Alle die Lädchen gibt es noch immer.
Über die unsagbare, groteske Zerstörung von Elbflorenz schrieb Kästner viel; mit Mitte 50 im Rückblick auf seine Jugend auch eine Liebeserklärung: „Ich musste, was schön sei, nicht erst aus Büchern lernen … ich durfte die Schönheit einatmen wie Försterkinder die Waldluft. Ja, Dresden war eine wunderbare Stadt.“