In den Goldenen Zwanzigern galt der vor 120 Jahren geborene Franzose René Lacoste als einer der besten Tennisspieler der Welt. Nach krankheitsbedingtem frühen Ende seiner Sportlerlaufbahn gelang ihm in der Modebranche eine zweite fulminante Karriere. Er selbst bezeichnete sich am liebsten als Erfinder.
Nachdem der 19-jährige René Lacoste an der Seite seines spieltechnisch und stilistisch weitaus begabteren Landsmanns Jean Borotra im Sommer 1923 auf dem heiligen Rasen von Wimbledon gerade das Halbfinale im Tennis-Doppel-Wettbewerb erreicht hatte, wurde er mit einem für ihn inhaltlich überaus erfreulichen Telegramm überrascht. Der Teamchef hatte ihn zum Mitglied und Leader der französischen Davis-Cup-Mannschaft ernannt. Diese sollte als Sieger der Europa-Zone in der US-Metropole Boston gegen Australien, den Gewinner der Amerika-Zone, antreten. Zwischen beiden Teams sollte der finale Herausforderer des Titelverteidigers und Dauer-Triumphators USA ermittelt werden.
Eine unerwartete Ehre und zugleich riesige Herausforderung für den jungen Mann, hatte Lacoste doch erst im Alter von 15 Jahren ernsthaft mit dem Tennisspielen begonnen und sich erst ein Jahr zuvor für eine Profi-Laufbahn im sogenannten Weißen Sport entschieden. Er war daher fast noch ein Nobody, der allerdings schon bei seinen ersten Auftritten auf den Rasenplätzen des Stadions im mondänen Seebad Deauville in der Normandie für Begeisterung bei dem eleganten, auf Holztribünen versammelten Publikum gesorgt hatte. Vor allem beim Finale der Europa-Zone, das Frankreich dank zweier Einzelsiege von Lacoste mit 3:2 gegen Spanien für sich entscheiden konnte. Dass Lacoste so schnell Anschluss an die internationale Spitze finden konnte, lässt sich nur damit erklären, dass die Leistungsdichte damals noch nicht sehr groß war. Erst im Laufe der Roaring Twenties nahm die Hinwendung zu Individualsportarten wie Tennis oder Golf in den gehobenen Gesellschaftsschichten so richtig Fahrt auf.
Anfang August 1923 ging das französische Davis-Cup-Team an Bord des Ozeandampfers „France“, um nach siebentägiger Fahrt von Le Havre nach New York zu gelangen. Nach einem Tag Zwischenstation im Big Apple dauerte die Reise entlang der Küste nach Boston noch einmal sechs Stunden. Der große Aufwand zahlte sich für das französische Team allerdings nicht aus, denn das Kontinentalzonen-Match gegen Australien ging klar mit 1:4 verloren.
Zahlreiche Titel bei grossen Turnieren
Allerdings hatte die USA-Reise für Lacostes persönliche Zukunft doch einen unschätzbar positiven Effekt. Sein Team hatte zur Entspannung vor dem Australien-Spiel einen Spaziergang durch Boston unternommen. Dabei führte der Weg an einem Luxusgeschäft für Reiseartikel vorbei. Vor dem Schaufenster blieb Lacoste wie angewurzelt stehen, weil ihm ein exquisites Gepäckstück aus Krokodilleder ins Auge fiel. Eigentlich hätte sich der Sohn steinreicher Eltern den Kauf des Koffers sicherlich problemlos leisten können. Stattdessen schlug er seinem Teamchef eine Wette vor: „Wenn ich mein Match gegen die Australier gewinne, besorgst Du mir diesen Koffer.“ Dazu kam es bekanntermaßen nicht. Aber US-Journalisten hatten von dem Deal Kenntnis bekommen und verliehen Lacoste wegen seiner auf dem Court eindrücklich unter Beweis gestellten Hartnäckigkeit und Entschlossenheit den Ehrentitel „Alligator“. Woraus wenig später Lacostes Spitzname „Das Krokodil“ abgeleitet wurde.
René Lacoste war kein Tennis-Naturtalent. Seine Erfolge verdankte er vor allem einer eisernen Disziplin, einem hohen Trainingsaufwand und vor allem seinem taktischen Einfühlungsvermögen, das auf einer für die damalige Zeit völlig ungewöhnlichen akribischen Analyse der Stärken und Schwächen seiner jeweiligen Gegner beruhte. Lacoste war als Rechtshänder ein klassischer Grundlinienspieler, der als stärkste Waffen über einen exzellenten Passagierschlag und einen formidablen Rückhand-Slice verfügte. Ein weiterer Pluspunkt war seine Fähigkeit, möglichst wenig vermeidbare Fehler zu machen, weshalb man ihn bewundernd als „Tennismaschine“ bezeichnete.
Lacoste gewann in seiner Karriere dreimal die French Open (1925, 1927, 1929) und jeweils zweimal Wimbledon (1925, 1928) und die US-Open (1926, 1927) im Einzel. Dazu kamen noch die Doppel-Siege bei den French Open (1925, 1929) und in Wimbledon (1925). Gemeinsam mit seinen Kollegen Henri Cochet, Jean Borotra und Jacques Brugnon, bekannt als „Die vier Musketiere“, gelangen ihm Davis-Cup-Erfolge in den Jahren 1927 und 1928 für Frankreich. 1926 und 1927 wurde er von einem kleinen und daher kaum repräsentativen Expertenkreis mangels einer offiziellen Weltrangliste zum besten Tennisspieler des Globus gekürt. Im Alter von gerade einmal 25 Jahren verabschiedete sich Lacoste wegen anhaltender gesundheitlicher Beschwerden, vor allem einer Atemwegserkrankung, vom Profi-Tennissport. 1932 versuchte er ein letztlich erfolgloses Comeback und übernahm 1932 und 1933 das Amt des Chefs des französischen Davis-Cup-Teams. Danach nahm er nahtlos seine Karriere in der Modebranche in Angriff.
Stilisiertes Reptil als Markenzeichen
Jean René Lacoste wurde am 2. Juli 1904 im 10. Pariser Arrondissement geboren. Seinem Vater Jean-Jules war der Aufstieg von bescheidenen, beruflichen Anfängen zum wohlsituierten Geschäftsführer des Automobil-Konzerns Hispano-Suiza gelungen und hatte sich mit seiner Familie in Courbevoie unweit der französischen Hauptstadt niedergelassen. Auch sein Sohn René blieb bis zu seiner Heirat mit der Golfspielerin Simone Thion de La Chaume und seinen vier Kindern bis 1930 dort wohnen. Der junge René legte am Pariser Lycée Condorcet das Abitur ab. Danach sollte er den Vorstellungen des Vaters gemäß eigentlich ein Ingenieurstudium an der renommierten Pariser École Polytechnique aufnehmen. Doch René hatte andere Pläne, weil ihm seine Mutter Marie Madeleine im Alter von 14 Jahren den ersten Tennisschläger geschenkt hatte, mit dem er zunächst nur die Bälle gegen eine Garagenwand gedroschen hatte.
Ein Jahr später schloss er sich der Tennisabteilung des Pariser Stade Français an, wo er sogleich als frühe Tennis-Innovation seinen Schläger zur Verbesserung der Griffigkeit mit chirurgischem Klebeband, das er später durch perforierte Lederstreifen ersetzte, umwickelte. Der Vater, der in seiner Jugend selbst ein recht erfolgreicher Ruderer gewesen war, gab dem Drängen seines Sohnes, Profi-Tennisspieler werden zu wollen, schließlich nach – allerdings mit der klaren Vorgabe, dass es René innerhalb von fünf Jahren in die absolute Weltklasse schaffen müsse.
Lacostes Spitzname „Krokodil“ hatte den mit dem Tennisstar befreundeten französischen Designer Robert George, der selbst ein erstklassiger Eishockey-Spieler gewesen war, 1927 auf die Idee gebracht, ein stilisiertes Reptil zu entwerfen. Lacoste ließ sich dieses Emblem sogleich auf seinen weißen Blazer sticken, den er bei allen großen Turnieren zu tragen pflegte. Es wurde schnell zu seinem persönlichen Markenzeichen, mit dem er bald auch seine im privaten Umfeld getragenen, neuartigen weißen Polo-Hemden auf der linken Brustseite direkt oberhalb des Herzens schmückte. Auch im Freundeskreis ließ er solche Krokodil-Oberteile verteilen. Polo-Shirts in Gestalt von hüftlangen Rundkragen-T-Shirts, mit langen Ärmeln und aus festem Wollstoff gefertigt, waren zwar schon im Polo-Sport gebräuchlich. Doch das Polo-Hemd, wie wir es heute kennen– mit Knopfleiste und kurzem Arm–war eine Erfindung von René Lacoste. Er revolutionierte die konventionell-elegante Tenniskluft, bestehend aus langärmeligen Hemden und plissierten Hosen, durch die Verkürzung der Ärmel zu Gunsten von mehr Komfort. Schon bei den French Open 1927 sorgte Lacoste in seinem nicht regelgemäßen Polo-Hemd für Empörung.
Um dieses neue Kleidungsstück im großen Stil vermarkten zu können, nahm Lacoste Kontakt zum Unternehmer André Gillier auf, der in Troyes eines der größten Strumpfwaren-Unternehmen des Landes aufgebaut hatte. Gemeinsam gründeten sie 1933 in Troyes ein ursprünglich auf den Namen Société Chemise Lacoste getauftes Unternehmen. Dieses sorgte schon bald mit seinem weißfarbenen Polo-Hemd aus atmungsaktivem Baumwoll-Reliefstrick names „Petit Piqué“ für Furore und sicherte sich einen Eintrag in die Modegeschichtsbücher.
Gestorben im hohen Alter von 92 Jahren
Es war das erste Kleidungsstück überhaupt, das mit einem sichtbaren Logo, eben dem Krokodil, versehen war. Zudem war das Lacoste-Polo-Hemd, das erst ab 1951 auch in anderen Farben erhältlich wurde, das Modeteil, das die Entstehung der Sportbekleidung am besten repräsentieren konnte. Es wurde zudem bald auch fester Bestandteil der Alltagsgarderobe. Daneben entwarf Lacoste 1927 die erste Tennis-Ballwurfmaschine. 1963 stellte er den weltweit ersten Metallschläger vor. Insgesamt meldete Lacoste Patente auf mehr als 30 Erfindungen an. Später war er nebenbei auch noch an der Perfektionierung der Triebwerke für Langstreckenflugzeuge sowie bei der Entwicklung der Concorde beteiligt. „Wenn ich auf meiner Visitenkarte einen Beruf angeben müsste, dann wäre es die Profession des Erfinders“, sagte Lacoste einmal. 1964 übertrug er die Leitung seines Modeunternehmens an seinen Sohn Bernard. Am 12. Oktober 1996 verstarb Lacoste im hohen Alter von 92 Jahren in Saint-Jean-de-Luz.