Bislang galten Ratten und von ihnen infizierte Flöhe als Überträger des Pest-Erregers, der im Mittelalter Millionen von Menschen dahingerafft hatte. Neueste Forschungen weisen nun auf einen anderen blutsaugenden Parasiten hin: die Kleiderläuse.
Es könnte ein erster Schritt hin zu später Rehabilitation und Absolution für die Ratten werden. Denn die von den meisten Menschen als ziemlich eklig empfundenen Nagetiere scheinen nicht, wie bislang gemeinhin angenommen, einzig und allein die Verursacher der größten Pest-Pandemien der Geschichte gewesen zu sein.
Weltweit kann man drei solcher Pandemien nachweisen: Die sogenannte Justinianische Pest wütete zwischen 541 und 544 n. Chr. Sie wurde bis ins 8. Jahrhundert von weiteren, Europa und dabei vor allem den Mittelmeerraum in Mitleidenschaft ziehenden tödlichen Wellen abgelöst. Noch weitaus verheerender war dann nach einer 500-jährigen Ruhepause der sogenannte Schwarze Tod, bei dem zwischen 1346 und 1353 europaweit jeder Zweite bis Dritte sein Leben verlor, wobei die Schätzungen der Opferzahlen zwischen 20 und 50 Millionen schwanken. Der Schwarze Tod wurde daher zum Inbegriff oder Synonym der Seuche schlechthin.
Schließlich sollte ab Ende des 19. Jahrhunderts noch die sogenannte Dritte Pandemie auftreten, von der vornehmlich Süd- und Ostasien betroffen waren, die aber auch auf Madagaskar und Lateinamerika übergriff. Daneben gab es von der Spätantike bis zur Neuzeit noch eine ganze Reihe von regionalen Pest-Epidemien.
Der Schwarze Tod war mit Abstand die schlimmste Geisel der Menschheit. In Württemberg und der Pfalz wurde die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft, in Bayern, Franken und Schwaben fielen ihr 30 bis 50 Prozent der Bürger zum Opfer. Besonders in Zeiten von Waffengängen wie dem Dreißigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648 erhielt die Seuche in den umkämpften Regionen einen zusätzlichen Zerstörungsschub.
Keine Mutationen entstanden
Als Erreger der Pest sollte der Schweizer Mikrobiologe Alexandre Yersin 1894 das Bakterium Yersinia pestis bei von ihm untersuchten Ratten ausmachen. Spätere wissenschaftliche Untersuchungen konnten den Nachweis erbringen, dass sich der Pest-Erreger etwa um 5.000 v. Chr. aus einem anderen Bakterium entwickelt hat. Es war für eine lebensgefährliche Darmerkrankung verantwortlich gewesen und hatte sich danach in seinem Genom über Jahrtausende hinweg kaum verändert. Im Vergleich zu anderen Krankheitserregern und deren Mutationen stellte das ein ungewöhnliches Phänomen dar. Ziemlich überraschend war zudem die Forschungserkenntnis, dass keine der drei großen Pest-Pandemien ihren Ursprung in Europa hatte. Der Schwarze Tod beispielsweise soll aus Asien stammen, wo er wahrscheinlich um 1330 im Norden von Kirgistan auftauchte und danach seinen Weg über den Seehandel und die Seidenstraße ostwärts antrat.
Bis vor wenigen Jahren hatte in Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit die Lehrmeinung vorgeherrscht, dass die Wanderratte namens Rattus norvegicus oder die Hausratte namens Rattus rattus sowie der Rattenfloh namens Xenopsylla cheopis für die explosionsartige Ausbreitung des Schwarzen Todes verantwortlich gewesen wären. Denn in der Natur kann das Pest-Bakterium verschiedene Arten von Nagetieren befallen, indem es sich zwischen ihnen über die Stiche infizierter Flöhe zu verbreiten pflegt.
Bedingt durch das Verenden seines ursprünglichen Rattenwirts sei der mit dem Pest-Erreger infizierte Rattenfloh auf den Homo sapiens übergesprungen und habe dann den Erreger von Mensch zu Mensch übertragen.
Zweifel an dieser Lehrmeinung wurden zuletzt durch diverse Bedenken genährt. So gebe es in zeitgenössischen Berichten über den Schwarzen Tod keinerlei Angaben über Rattenepidemien, zudem könnten die klimatischen Bedingungen Nordeuropas nicht gerade günstig für eine gigantische Ausbildung einer vom Pest-Erreger betroffenen Rattenpopulation gewesen sein. Daher spreche Vieles für einen anderen, viel direkteren Übertragungsweg des Erregers von Mensch zu Mensch, was ohnehin bei der Lungenpest, bei der das Pest-Bakterium mittels einer Tröpfcheninfektion zwischen den menschlichen Spezies weitergegeben werde, die Regel sei. Während die Beulenpest mit einer gänzlich anders verlaufenden Krankheitsform nur dann entsteht, wenn ein blutsaugendes Insekt den Pesterreger in die Haut injizieren kann, die Bakterien danach zu den Lymphknoten transportiert werden und sich schließlich die charakteristischen Abszesse, Schwellungen oder Beulen in den Lymphknoten bilden können.
Kleiderläuse allgegenwärtig
Auch wenn die Beulenpest typischerweise von Nagetieren und ihren infizierten Flöhen auf den Menschen übertragen werden kann, so tauchten zuletzt immer mehr Vermutungen in der Forschung auf, dass eine Übertragung des Pest-Erregers von Mensch zu Mensch auch durch sogenannte menschliche Ektoparasiten (Außenschmarotzer, sprich Parasiten, die auf der Haut eines Wirtes leben) wie menschliche Flöhe namens Pulex irritans, Körperläuse namens Pediculus humanus humanus oder Kleiderläuse namens Pediculus humanus corporis erfolgt sein könnte. Schon 2018 hatten Forscher der Universität Oslo für die rasche Ausbreitung des Schwarzen Todes über ganz Europa vorwiegend blutsaugende Menschenflöhe und Kleiderläuse verantwortlich gemacht, die im Mittelalter wegen der meist unzureichenden Hygiene gleichsam allgegenwärtig und ursächlich für verschiedenste Krankheiten gewesen waren. Und daher nach Meinung der Wissenschaftler auch für den Schwarzen Tod: „Diese Epidemie verlief anders als bei den späteren, eindeutig mit Ratten assoziierten Seuchenzügen.“ Denn die Fallzahlen waren viel schneller als bei den anderen Pandemien in die Höhe geschossen und die Übertragungsrate war innerhalb der Haushalte ungewöhnlich hoch.
„Mit unseren Ergebnissen demonstrieren wir“, so die norwegischen Forscher, „dass nicht Ratten, sondern Ektoparasiten des Menschen der dominante Übertragungsweg während der zweiten Pandemie waren.“
Ektoparasiten primäre Vektoren
Zum gleichen Ergebnis kamen jüngst Forscher um David Bland vom in der Stadt Bethesda (US-Bundesstaat Maryland) ansässigen US National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) und publizierten ihre diesbezügliche Studie im Fachmagazin „PLOS Biology“: „Hier zeigen wir, dass menschliche Ektoparasiten wie Körperläuse oder menschliche Flöhe mit größerer Wahrscheinlichkeit als Ratten die sich schnell entwickelnden Epidemien im vorindustriellen Europa verursacht haben…Unsere Ergebnisse stützen die Annahme, dass menschliche Ektoparasiten während der zweiten Pandemie, einschließlich des Schwarzen Todes (1346-1353), primäre Vektoren für die Pest waren, was letztendlich die Annahme infrage stellt, dass die Pest in Europa hauptsächlich von Ratten verbreitet wurde.“ Als überholt gilt somit die bislang geltende Vermutung, dass menschliche Ektoparasiten als Überträger von Pest-Bazillen wegen ihrer vermeintlichen Ineffizienz weitestgehend ausgeschlossen werden können.
Wobei die Forscher für ihre Studien die auf den Menschen spezialisierte und als Überträger des Pest-Bakteriums bekannte Kleiderlaus benutzt hatten. Dabei handelt es sich um einen drei bis vier Millimeter großen, flügellosen Ektoparasiten, der sich in Gesellschaften mit mangelhafter Hygiene bevorzugt in den Gewebefasern der Kleidung niederlässt, aber auch gelegentlich an Körperhaaren oder in Betten anzutreffen ist. Die drei Beinpaare der Kleiderlaus sind mit Klammerorganen ausgestattet, die ihr zwar eine flinke Bewegung zwischen den Textilien und der Haut erlauben, ihr es aber unmöglich machen zu hüpfen. Kleiderläuse sind als permanente Parasiten von ihrem Wirt, der für sie eine ständig anzapfbare Nahrungsquelle darstellt, vollkommen abhängig. Fünf- bis sechsmal am Tag müssen sie mit Hilfe ihrer stechend-saugenden Mundwerkzeuge Blut von ihrem Wirt gewinnen. Bei vom Pest-Bakterium befallenen Läusen reichert sich der Erreger im Darm an und infiziert auch die im Kopf befindlichen Sekretdrüsen, die auch Pawlowsky-Drüsen genannt werden, die eine Art von Gleitfilm als Schmiermittel auf den Saugrüssel der Mundwerkzeuge abgeben. Die US-Forscher konnten mittels fluoreszierender Flüssigkeit die Verbreitung des Pesterregers im Körper der Kleiderlaus nachweisen. Demnach kann das Bakterium nicht nur über Kot und Speichel des Parasiten übertragen werden, sondern auch über das Sekret des Saugrüssels, der nach einem Biss zur effektivsten Pest-Pumpe werden kann. „Das war unerwartet“, so die Forscher, „denn wir kannten bisher keine mikrobiellen Infektionen, die Strukturen im Kopf der Läuse befallen.“
Kleiderflöhe ausgeschlossen
Für ihre Untersuchungen markierten die Forscher zunächst die Pest-Bakterien mit einem Fluoreszenz-Farbstoff und mischten sie mit menschlichem Blut. Dieses infizierte Blut mussten dann die Kleiderläuse durch eine hautähnliche Membran saugen. Danach wurden die Läuse in zwei Gruppen aufgeteilt. „Wir entschieden uns, zwei Szenarien zu vergleichen, durch die Menschen während eines Pestausbruchs mit infizierten Läusen in Kontakt kommen können“, so David Brad. Im ersten Szenario wurde nachgeahmt, dass die Kleiderlaus unmittelbar nach ihrer Blutmahlzeit den Wirt wechselte, beispielsweise infolge eines direkten Körperkontaktes zwischen zwei Personen. Rund drei Stunden nach ihrer eigenen Infektion erfolgte daher die nächste Blutmahlzeit an einem noch nicht infizierten Opfer, wofür im Experiment ein neuer, nicht von Pest-Bakterien befallener Blutbehälter mit der entsprechenden Mem-bran verwendet wurde. Im zweiten Szenario wurde die Möglichkeit nachgespielt, dass die Läuse über längere Zeit in ihren Verstecken, in Kleidung oder Bettzeug, auf ihr Opfer warten mussten. Wobei sie im Versuch nach einer ihnen verschriebenen Fastenperiode von 18 Stunden auf einen neuen Wirt angesetzt wurden. Die Analyse der beiden Szenarien ergab, dass 33 bis 46 Prozent der Kleiderläuse infolge der Pest-Infektion verstorben waren. Die restlichen Parasiten hatten jedoch nicht nur überlebt, sondern darüber hinaus eine chronische Infektion entwickelt. „40 bis 60 Prozent dieser Läuse in beiden Gruppen blieben auch eine Woche später noch infiziert“, so das Forscher-Team. Beim Blutsaugen konnten diese Läuse während der gesamten Zeit mittlere bis hohe Dosen des Pest-Erregers auf die Blut-Reservoire der künstlich simulierten Wirte übertragen. „Rund 20 Stunden nach ihrer Infektion hatten die Läuse den Erreger auf 100 Prozent der Reservoire übertragen“, so die Wissenschaftler. Die Menge der Pest-Bakterien wäre in beiden Gruppen mehr als ausreichend gewesen, um eine menschliche Infektion zu bewirken. Wobei die Läuse aus der Gruppe mit der anfänglichen Fastenperiode sogar noch effizienter als die Parasiten aus der zweiten Gruppe gewesen waren.
„Unsere Ergebnisse legen nahe“, so die Forscher, „dass Kleiderläuse bessere Überträger von Pestbakterien sind als man zuvor dachte. Dies stützt die Hypothese, nach der diese Läuse als Vektoren an früheren Pestausbrüchen beteiligt waren.“ Zudem spricht für die Hypothese, dass Kleiderläuse ein von Pestbakterien fraglos besonders bevorzugtes Lebewesen gewesen sein könnten. Weil ihnen wichtige Immungene fehlen, was eine erfolgreiche Gegenwehr gegen eine Infektion durch Bakterien wie Yersinia pestis ausschloss und damit Infektion und Vermehrung des Erregers im Körper begünstigt haben dürfte. Wohingegen die Hypothese, dass auch der Menschenfloh eine wichtige Rolle beim Ausbruch des Schwarzen Todes gespielt haben könnte, von den Wissenschaftlern nicht bestätigt werden konnte. „Der Menschenfloh Pulex irritans war zwar während der mittelalterlichen Pest-Epidemie in den Haushalten weit verbreitet“, so das Team, „Aber wir haben die Vektor-Kompetenz des Menschenflohs noch einmal näher untersucht. Und ihn als eher schlechten Überträger der Pestbakterien eingestuft.“